Nietzsche, Friedrich - Di...
Nietzsche, Friedrich - Di...
Nietzsche, Friedrich - Di...
Erfolgreiche ePaper selbst erstellen
Machen Sie aus Ihren PDF Publikationen ein blätterbares Flipbook mit unserer einzigartigen Google optimierten e-Paper Software.
Nützlichkeits−Calcul seinen Ursprung genommen haben, sondern vielmehr trotzdem, dass<br />
ihm die Unnützlichkeit und Gefährlichkeit des "Willens zur Wahrheit", der "Wahrheit um<br />
jeden Preis" fortwährend bewiesen wird. "Um jeden Preis": oh wir verstehen das gut<br />
genug, wenn wir erst einen Glauben nach dem andern auf diesem Altare dargebracht und<br />
abgeschlachtet haben! − Folglich bedeutet "Wille zur Wahrheit" nicht ich will mich nicht<br />
täuschen lassen", sondern − es bleibt keine Wahl − "ich will nicht täuschen, auch mich<br />
selbst nicht": − und hiermit sind wir auf dem Boden der Moral. Denn man frage sich nur<br />
gründlich: "warum willst du nicht täuschen?" namentlich wenn es den Anschein haben<br />
sollte, − und es hat den Anschein! − als wenn das Leben auf Anschein, ich meine auf<br />
Irrthum, Betrug, Verstellung, Blendung, Selbstverblendung angelegt wäre, und wenn<br />
andrerseits thatsächlich die grosse Form des Lebens sich immer auf der Seite der<br />
unbedenklichsten polÝtfopoi gezeigt hat. Es könnte ein solcher Vorsatz vielleicht, mild<br />
ausgelegt, eine Don Quixoterie, ein kleiner schwärmerischer Aberwitz sein; er könnte aber<br />
auch noch etwas Schlimmeres sein, nämlich ein lebensfeindliches zerstörerisches Princip...<br />
"Wille zur Wahrheit" − das könnte ein versteckter Wille zum Tode sein.− Dergestalt führt<br />
die Frage: warum Wissenschaft? zurück auf das moralische Problem− wozu überhaupt<br />
Moral, wenn Leben, Natur, Geschichte "unmoralisch" sind? Es ist kein Zweifel, der<br />
Wahrhaftige, in jenem verwegenen und letzten Sinne, wie ihn der Glaube an die<br />
Wissenschaft voraussetzt, bejaht damit eine andre Welt als die des Lebens, der Natur und<br />
der Geschichte; und insofern er diese "andre Welt" bejaht, wie? muss er nicht eben damit<br />
ihr Gegenstück, diese Welt, unsre Welt − verneinen?... Doch man wird es begriffen haben,<br />
worauf ich hinaus will, nämlich dass es immer noch ein metaphysischer Glaube ist, auf<br />
dem unser Glaube an die Wissenschaft ruht, − dass auch wir Erkennenden von heute, wir<br />
Gottlosen und Antimetaphysiker, auch unser Feuer noch von dem Brande nehmen, den ein<br />
Jahrtausende alter Glaube entzündet hat, jener Christen−Glaube, der auch der Glaube<br />
Plato's war, dass Gott die Wahrheit ist, dass die Wahrheit göttlich ist... Aber wie, wenn<br />
dies gerade immer mehr unglaubwürdig wird, wenn Nichts sich mehr als göttlich erweist,<br />
es sei denn der Irrthum, die Blindheit, die Lüge, − wenn Gott selbst sich als unsre längste<br />
Lüge erweist? −<br />
345.<br />
<strong>Nietzsche</strong><br />
Moral als Problem. − Der Mangel an Person rächt sich überall; eine geschwächte, dünne,<br />
ausgelöschte, sich selbst leugnende und verleugnende Persönlichkeit taugt zu keinem guten<br />
<strong>Di</strong>nge mehr, − sie taugt am wenigsten zur Philosophie. <strong>Di</strong>e "Selbstlosigkeit" hat keinen<br />
Werth im Himmel und auf Erden; die grossen Probleme verlangen alle die grosse Liebe,<br />
und dieser sind nur die starken, runden, sicheren Geister fähig, die fest auf sich selber<br />
sitzen. Es macht den erheblichsten Unterschied, ob ein Denker zu seinen Problemen<br />
persönlich steht, so dass er in ihnen sein Schicksal, seine Noth und auch sein bestes Glück<br />
hat, oder aber "unpersönlich": nämlich sie nur mit den Fühlhörnern des kalten neugierigen<br />
Gedankens anzutasten und zu fassen versteht. Im letzteren Falle kommt Nichts dabei<br />
heraus, so viel lässt sich versprechen: denn die grossen Probleme, gesetzt selbst, dass sie<br />
345. 147