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Nietzsche, Friedrich - Di...

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spricht, gewiss nicht vom Geiste der Mildherzigkeit und Güte eingegeben − noch auch, wie<br />

es sich von selber versteht, vom Geiste überhaupt. − Zuletzt ist wenig an der Philosophie<br />

eines Künstlers gelegen, falls sie eben nur eine nachträgliche Philosophie ist und seiner<br />

Kunst selber keinen Schaden thut. Man kann sich nicht genug davor hüten, einem Künstler<br />

um einer gelegentlichen, vielleicht sehr unglücklichen und anmaasslichen Maskerade<br />

willen gram zu werden; vergessen wir doch nicht, dass die lieben Künstler sammt und<br />

sonders ein wenig Schauspieler sind und sein müssen und ohne Schauspielerei es<br />

schwerlich auf die Länge aushielten. Bleiben wir Wagnern in dem treu, was an ihm wahr<br />

und ursprünglich ist, − und namentlich dadurch, dass wir, seine Jünger, uns selber in dem<br />

treu bleiben, was an uns wahr und ursprünglich ist. Lassen wir ihm seine intellectuellen<br />

Launen und Krämpfe, erwägen wir vielmehr in Billigkeit, welche seltsamen Nahrungen<br />

und Nothdürfte eine Kunst, wie die seine, haben darf, um leben und wachsen zu können!<br />

Es liegt Nichts daran, dass er als Denker so oft Unrecht hat; Gerechtigkeit und Geduld sind<br />

nicht seine Sache. Genug, dass sein Leben vor sich selber Recht hat und Recht behält: −<br />

dieses Leben, welches Jedem von uns zuruft: "Sei ein Mann und folge mir nicht nach, −<br />

sondern dir! Sondern dir!" Auch unser Leben soll vor uns selber Recht behalten! Auch wir<br />

sollen frei und furchtlos, in unschuldiger Selbstigkeit aus uns selber wachsen und blühen!<br />

Und so klingen mir, bei der Betrachtung eines solchen Menschen, auch heute noch, wie<br />

ehedem, diese Sätze an's Ohr: "dass Leidenschaft besser ist, als Stoicismus und Heuchelei,<br />

dass Ehrlich−sein, selbst im Bösen, besser ist, als sich selber an die Sittlichkeit des<br />

Herkommens verlieren, dass der freie Mensch sowohl gut als böse sein kann, dass aber der<br />

unfreie Mensch eine Schande der Natur ist, und an keinem himmlischen noch irdischen<br />

Troste Antheil hat; endlich dass Jeder, der frei werden will, es durch sich selber werden<br />

muss, und dass Niemandem die Freiheit als ein Wundergeschenk in den Schooss fällt".<br />

(Richard Wagner in Bayreuth S− 94.)<br />

100.<br />

<strong>Nietzsche</strong><br />

Huldigen lernen. − Auch das Huldigen müssen die Menschen lernen wie das Verachten.<br />

Jeder, der auf neuen Bahnen geht und Viele auf neue Bahnen geführt hat, entdeckt mit<br />

Staunen, wie ungeschickt und arm diese Vielen im Ausdruck ihrer Dankbarkeit sind, ja wie<br />

selten sich überhaupt auch nur die Dankbarkeit äussern kann. Es ist als ob ihr immer, wenn<br />

sie einmal reden will, Etwas in die Kehle komme, sodass sie sich nur räuspert und im<br />

Räuspern wieder verstummt. <strong>Di</strong>e Art, wie ein Denker die Wirkung seiner Gedanken und<br />

ihre umbildende und erschütternde Gewalt zu spüren bekommt, ist beinahe eine Komödie;<br />

mitunter hat es das Ansehen, als ob <strong>Di</strong>e, auf welche gewirkt worden ist, sich im Grunde<br />

dadurch beleidigt fühlten und ihre, wie sie fürchten, bedrohte Selbständigkeit nur in allerlei<br />

Unarten zu äussern wüssten. Es bedarf ganzer Geschlechter, um auch nur eine höfliche<br />

Convention des Dankes zu erfinden: und erst sehr spät kommt jener Zeitpunct, wo selbst in<br />

die Dankbarkeit eine Art Geist und Genialität gefahren ist: dann ist gewöhnlich auch Einer<br />

da, welcher der grosse Dank−Empfänger ist, nicht nur für Das, was er selber Gutes gethan<br />

hat, sondern zumeist für Das, was von seinen Vorgängern als ein Schatz des Höchsten und<br />

100. 72

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