Grammatiktheorie - German Grammar Group FU Berlin - Freie ...
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276 11 Diskussion<br />
kritisiert, dass die Komplexität von Analysen dadurch verschleiert wird, dass ein Großteil<br />
der Stipulationen einfach in der UG verortet werden. Als Karikatur bestimmter Argumentationen<br />
für GB-Analysen kann man Folgendes angeben:<br />
1. Ich habe eine Analyse für das Phänomen P in der Sprache S entwickelt.<br />
2. Die Analyse ist elegant/konzeptuell einfach/von mir 2 .<br />
3. Es gibt keine Möglichkeit, die entsprechenden Strukturen und Prinzipien zu lernen.<br />
4. Also müssen die Annahme A1 bis An, die für die Analyse gemacht werden müssen,<br />
Bestandteil des angeborenen Wissens sein.<br />
Dadurch, dass man beliebige Annahmen der UG zuordnet, kann man die restliche Analyse<br />
sehr einfach halten. Im folgenden Abschnitt sollen die Argumente für sprachspezifisches<br />
angeborenes Wissen kurz aufgeführt werden. Es wird sich zeigen, dass keins dieser Argumente<br />
von allen Linguisten akzeptiert wird. In den sich anschließenden Abschnitten<br />
diskutiere ich Grundfragen der Grammatikarchitektur, die Kompetenz/Performanz-Unterscheidung<br />
und die Modellierung von Performanzphänomenen, Spracherwerbstheorien und<br />
allgemeine Fragen, die immer wieder kontrovers diskutiert werden, z. B. die Frage danach,<br />
ob es zulässig ist, leere Elemente in linguistischen Beschreibungen anzunehmen, und ob<br />
Sprache hauptsächlich über die Eigenschaften von Wörtern oder über phrasale Muster zu<br />
erklären ist.<br />
11.1 Angeborenheit sprachspezifischen Wissens<br />
In der Literatur gibt es die folgenden Argumente dafür, dass es sprachspezifisches angeborenes<br />
Wissen gibt:<br />
• die Existenz syntaktischer Universalien,<br />
• die Geschwindigkeit des Spracherwerbs,<br />
• die Tatsache, dass es eine „kritische“ Periode für den Spracherwerb gibt,<br />
• die Tatsache, dass fast alle Kinder Sprache lernen, aber Primaten nicht,<br />
• die Tatsache, dass Kinder spontan Pidgin-Sprachen regularisieren,<br />
• die Lokalisierung der Sprachverarbeitung in speziellen Gehirnbereichen,<br />
• die angebliche Verschiedenheit von Sprache und allgemeiner Kognition:<br />
– das Williams-Syndrom,<br />
– die KE-Familie mit FoxP2-Mutation und<br />
• das Poverty-of-the-Stimulus-Argument.<br />
Pinker (1994) gibt eine gute Übersicht über diese Argumente. Kritik findet man u. a. bei<br />
Tomasello: 1995. Die einzelnen Punkte sollen im Folgenden besprochen werden.<br />
2 Siehe auch http://www.youtube.com/watch?v=cAYDiPizDIs. 20.03.2010.<br />
11.1 Angeborenheit sprachspezifischen Wissens 277<br />
11.1.1 Syntaktische Universalien<br />
Aus der Existenz syntaktischer Universalien wurde auf angeborenes sprachspezifisches<br />
Wissen geschlossen (z. B. Chomsky: 1998, 33; Pinker: 1994, 237–238). In der Literatur<br />
finden sich verschiedene Behauptungen dazu, was universal und für Sprache spezifisch ist.<br />
Die prominentesten Kandidaten für Universalien sind: 3<br />
• der Kopfstellungsparameter<br />
• X-Strukturen<br />
• Grammatische Funktionen wie Subjekt und Objekt<br />
• Bindungsprinzipien<br />
• Eigenschaften von Fernabhängigkeiten<br />
• Grammatische Morpheme für Tempus, Modus und Aspekt<br />
• Wortarten<br />
• Rekursion bzw. Selbsteinbettung<br />
Diese angeblichen Universalien sollen im Folgenden jeweils kurz besprochen werden und<br />
es soll darauf hingewiesen werden, dass keineswegs Einigkeit darüber herrscht, dass sie<br />
universal gelten bzw. dass es sich bei entsprechend beobachtbaren Eigenschaften um Eigenschaften<br />
handelt, die angeborenes sprachliches Wissen erfordern. Eine aktuelle Diskussion<br />
zu Universalien findet man auch bei Evans und Levinson: 2009a.<br />
11.1.1.1 Der Kopfstellungsparameter<br />
Chomsky (1986b, 146; 1988, 70), Radford (1990, 21–22), Pinker (1994, 234, 238), Baker<br />
(2003, 350) und andere Autoren behaupten, dass es in allen Sprachen einen Zusammenhang<br />
zwischen der Rektionsrichtung von Verben und der Rektionsrichtung von Adpositionen<br />
gibt, d. h., Sprachen mit Verbletztstellung haben Postpositionen und Sprachen mit<br />
VO-Stellung haben Präpositionen. Diese Behauptung lässt sich sehr schön am Sprachpaar<br />
Englisch/Japanisch demonstrieren: Das Japanische hat eine Struktur, die genau dem Spiegelbild<br />
des Englischen entspricht.<br />
3 In Konstanz unterhält Frans Plank ein Archiv mit Universalien (Plank und Filimonova: 2000): http://typo.<br />
uni-konstanz.de/archive/intro/. Am 06.03.2010 enthielt es 2029 Einträge. Die Einträge sind in Bezug auf ihre<br />
Qualität annotiert und aus den entsprechenden Einträgen geht hervor, dass viele der Universalien statistische<br />
Universalien sind, d. h., sie gelten in der überwiegenden Mehrzahl der Sprachen, aber es gibt Ausnahmen.<br />
Einige der aufgeführten Universalien sind als fast absolut markiert, d. h., man kennt einige wenige Ausnahmen.<br />
1153 Einträge waren als absolut oder absolut mit Fragezeichen erfasst. 1021 davon als absolut ohne<br />
Fragezeichen. Viele der erfassten Universalien sind konditionale Universalien, d. h., sie haben die Form,<br />
wenn eine Sprache die Eigenschaft X hat, dann hat sie auch die Eigenschaft Y. Die im Archiv aufgeführten<br />
Universalien sind zum Teil sehr spezifisch und beziehen sich mitunter auch auf die diachrone Entwicklung<br />
bestimmter grammatischer Eigenschaften. Als Beispiel sei der Eintrag vier genannt: If the exponent of vocative<br />
is a prefix, then this prefix has arisen from 1st person possessor or a 2nd person subject.<br />
Zu Markiertheitsuniversalien vom Typ Sprachen mit einem Dual haben auch einen Plural. siehe Levinson<br />
und Evans: 2010, 2754.