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Grammatiktheorie - German Grammar Group FU Berlin - Freie ...

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428 11 Diskussion<br />

das Verb in Erststellung verlangt einen Satz ohne sichtbares finites Verb.<br />

Im Abschnitt 8.1.5 wurde ein kleiner Ausschnitt aus einer Vererbungshierarchie vorgestellt.<br />

Der angegebene Teil enthält Typen, die wohl in allen Grammatiken von natürlichen<br />

Sprachen eine Rolle spielen werden: Kopf-Argument-Kombinationen gibt es in allen<br />

Sprachen. Ohne eine solche Kombinationsoperation könnte man keine Beziehung zwischen<br />

zwei Konzepten herstellen. Die Möglichkeit, solche Beziehungen herzustellen, ist<br />

aber eine Grundeigenschaft von Sprache.<br />

Die Typhierarchie für eine bestimmte Sprache enthält aber neben solchen allgemeinen<br />

Typen auch sprachspezifische bzw. sprachklassenspezifische. Alle Sprachen dürften einund<br />

zweistellige Prädikate haben, bei vielen Sprachen (vielleicht bei allen) ist es sinnvoll<br />

von Verben zu reden. Man kann dann natürlich von ein und zweistelligen Verben<br />

reden. Je nach Sprache kann man die Verben auch in intransitive und transitive unterteilen.<br />

Für die jeweiligen Typen werden Beschränkungen formuliert, die allgemein gültig oder<br />

sprachspezifisch sein können. So müssen im Englischen Verben vor ihren Komplementen<br />

stehen, haben also den INITIAL-Wert +, im Deutschen sind Verben INITIAL − und erst die<br />

Lexikonregel für die Erststellung leitet ein Verb mit INITIAL-Wert + ab.<br />

Die unterschiedliche Festlegung des INITIAL-Wertes für das Deutsche und das Englische<br />

erinnert an die Parameter aus der GB-Theorie. Es gibt jedoch einen entscheidenden<br />

Unterschied: Es wird nicht angenommen, dass der INITIAL-Wert für alle Köpfe ein<br />

für alle Mal vom Sprachlerner gesetzt wird. Die Verwendung eines INITIAL-Wertes ist<br />

kompatibel mit Erwerbsmodellen, die davon ausgehen, dass Lerner einzelne Wörter mit<br />

ihren Stellungseigenschaften erwerben. Die jeweiligen Wörter können durchaus auch unterschiedliche<br />

Werte für ein bestimmtes Merkmal aufweisen. Generalisierungen für das<br />

Stellungsverhalten ganzer Wortklassen werden dann erst zu einem späteren Zeitpunkt im<br />

Spracherwerbsprozess erworben.<br />

Eine zu der von Croft vorgeschlagenen analoge Hierarchie (siehe Abschnitt 11.11.4)<br />

zeigt Abbildung 11.47. Für Wörter, die flektiert sind, werden entsprechende Wurzeln ins<br />

sign<br />

stem word phrase<br />

root complex-stem headed-phrase<br />

noun-root verb-root head-argument-phrase<br />

intransitive-verb transitive-verb<br />

strict-intr-verb strict-transitive-verb ditransitive-verb<br />

schlaf- lieb- geb-<br />

Abbildung 11.47: Ausschnitt einer Vererbungshierarchie mit Lexikoneinträgen und Dominanzschemata<br />

Lexikon eingetragen. Beispiele sind schlaf -, lieb- und geb-. In Abbildung 11.47 gibt es<br />

11.12 Universalgrammatik 429<br />

verschiedene Untertypen von root, dem allgemeinen Typ für Wurzeln: intrans-verb für intransitive<br />

Verben und trans-verb für transitive Verben. Die transitiven Verben lassen sich<br />

weiter einteilen in strikt transitive Verben, also solche mit Nominativ und Akkusativargument,<br />

und ditransitive Verben, also solche, die zusätzlich zum Nominativ und zum Akkusativ<br />

noch ein Dativargument verlangen. Die abgebildete Hierarchie muss natürlich noch<br />

wesentlich verfeinert werden, denn es gibt sowohl für die intransitiven Verben als auch<br />

für die transitiven Verben noch feinere Unterklassen. Zum Beispiel teilt man die intransitiven<br />

Verben in unakkusativische und unergativische ein und auch für die strikt transitiven<br />

Verben muss man weitere Subklassen annehmen (siehe z. B. Welke: 2009, Abschnitt 2).<br />

Neben einem Typ für Wurzeln enthält die Abbildung Typen für Stämme und Wörter.<br />

Komplexe Stämme sind komplexe Objekte, die aus einfachen Wurzeln abgeleitet sind,<br />

aber noch flektiert werden müssen (lesbar-, besing-). Wörter sind Objekte, die nicht flektiert<br />

werden. Beispiele sind die Pronomina er, sie usw. sowie Präpositionen. Aus einem<br />

Verbstamm kann eine flektierte Form gebildet werden (geliebt, besingt). Flektierte Wörter<br />

können mittels Derivationsregeln wieder zu (komplexen) Stämmen in Beziehung gesetzt<br />

werden. So kann geliebt zu einem Adjektivstamm umkategorisiert werden, der dann mit<br />

Adjektivendungen verbunden werden muss (geliebte). Die entsprechenden Beschreibungen<br />

für komplexe Stämme bzw. Wörter sind Untertypen von complex-stem bzw. word. Diese<br />

Untertypen beschreiben, welche Form komplexe Wörter wie geliebte haben müssen. Zu<br />

einer technischen Ausarbeitung siehe Müller: 2002, Abschnitt 3.2.7. Alle Wörter können<br />

mittels der Dominanzschemata zu Phrasen kombiniert werden. Die angegebene Hierarchie<br />

ist natürlich nicht vollständig. Es gibt viele weitere Valenzklassen und man könnte<br />

auch allgemeinere Typen annehmen, die einfach einstellige, zweistellige bzw. dreistellige<br />

Prädikate beschreiben. Solche Typen sind wahrscheinlich für die Beschreibung anderer<br />

Sprachen sinnvoll. Hier soll nur ein kleiner Ausschnitt der Typhierarchie gezeigt werden,<br />

um einen Vergleich zur Croftschen Hierarchie zu haben: In Abbildung 11.47 gibt es keine<br />

Typen für Satzmuster der Form [Sbj IntrVerb], sondern Typen für lexikalische Objekte mit<br />

einer bestimmten Valenz (V[SUBCAT 〈 NP[str] 〉]). Auf die entsprechenden lexikalischen<br />

Objekte können dann Lexikonregeln angewendet werden, die Objekte mit anderer Valenz<br />

lizenzieren oder Flexionsinformation beisteuern. Die vollständigen Wörter werden in der<br />

Syntax mit z. T. ziemlich allgemeinen Regeln kombiniert, z. B. in Kopf-Argument-Strukturen.<br />

Die Probleme, die rein phrasale Ansätze haben, werden auf diese Weise vermieden.<br />

Generalisierungen in Bezug auf Lexemklassen und damit auch auf bildbare Äußerungen<br />

lassen sich aber dennoch in der Hierarchie erfassen.<br />

Zu den Vererbungshierarchien kommen Prinzipien: Die Prinzipien zur Konstruktion der<br />

Semantik, die in Abschnitt 8.1.6 vorgestellt wurden, gelten für alle Sprachen. Das Kasus-<br />

Prinzip, das wir kennengelernt haben, ist eine Beschränkung, die nur für eine bestimmte<br />

Sprachklasse – die Nominativ-Akkusativ-Sprachen – gilt. Andere Sprachen haben z. B.<br />

ein Ergativ-Absolutiv-System.<br />

Für die hier skizzierte Theorie von Sprache ist die Annahme angeborenen sprachlichen<br />

Wissens nicht notwendig. Wie die Diskussion gezeigt hat, ist die Frage, ob es solches<br />

Wissen gibt, noch nicht abschließend beantwortet. Sollte sich herausstellen, dass es solches<br />

Wissen gibt, stellt sich natürlich die Frage, was genau angeboren ist. Plausibel wäre<br />

dann, dass der Teil der Vererbungshierarchie, der für alle Sprachen gilt, zusammen mit<br />

entsprechenden Prinzipien angeboren ist. Es könnte aber auch sein, dass nur ein Teil der<br />

allgemeingültigen Typen und Prinzipien angeboren ist, denn daraus, dass es etwas in allen

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