Grammatiktheorie - German Grammar Group FU Berlin - Freie ...
Grammatiktheorie - German Grammar Group FU Berlin - Freie ...
Grammatiktheorie - German Grammar Group FU Berlin - Freie ...
Sie wollen auch ein ePaper? Erhöhen Sie die Reichweite Ihrer Titel.
YUMPU macht aus Druck-PDFs automatisch weboptimierte ePaper, die Google liebt.
310 11 Diskussion<br />
in der Verbalprojektion haben muss, die ein Hilfs- bzw. Modalverb selegiert. Ist diese<br />
Information gelernt, ist es irrelevant, wie komplex die eingebetteten Verbalprojektionen<br />
sind: may kann mit einem Vollverb im Infinitiv (37b) oder mit einem Hilfsverb im Infinitiv<br />
(37c,d) kombiniert werden.<br />
11.1.8.2.3 Referenz von one<br />
Die dritte Fallstudie, die Pullum und Scholz untersuchen, beschäftigt sich mit dem Pronomen<br />
one im Englischen. Baker (1978, 413–425, 327–340) behauptet, dass Kinder nicht<br />
lernen können, dass sich one wie in (40) auf Konstituenten beziehen kann, die größer als<br />
ein Wort sind.<br />
(40) a. I would like to tell you another funny story, but I’ve already told you the only<br />
one I know.<br />
b. The old man from France was more erudite than the young one.<br />
Baker (S. 416–417) behauptet weiter, dass sich one nie auf einzelne Nomina innerhalb von<br />
NPen beziehen kann, und stützt das mit Beispielen wie (41):<br />
(41) * The student of chemistry was more thoroughly prepared than the one of physics.<br />
Nach Baker benötigen Lerner negative Daten, um das Wissen in Bezug auf die Ungrammatikalität<br />
erwerben zu können. Da Lerner – so die Argumentation – nicht über negative<br />
Evidenz verfügen, können sie das entsprechende Wissen nicht erworben haben, mussten<br />
es also bereits besitzen.<br />
Pullum und Scholz (2002, 33) weisen nun darauf hin, dass es gleich strukturierte Beispiele<br />
gibt, die akzeptabel sind (Pullum und Scholz: 2002, 33):<br />
(42) a. I’d rather teach linguistics to a student of mathematics than to one of any<br />
discipline in the humanities.<br />
b. An advocate of Linux got into a heated discussion with one of Windows NT<br />
and the rest of the evening was nerd talk.<br />
Das heißt, dass es in Bezug auf die Wohlgeformtheit der syntaktischen Struktur von (41)<br />
nichts zu lernen gibt. Aber auch für den Erwerb der Tatsache, dass sich one auf größere<br />
Konstituenten beziehen kann, ist die Datenbasis nicht so hoffnungslos, wie von Baker<br />
(S. 416) behauptet: Es gibt durchaus Belege, die nur Interpretationen zulassen, in denen<br />
sich one auf eine größere Wortgruppe bezieht. Pullum und Scholz liefern Belege aus diversen<br />
Korpora. Sie geben auch Beispiele aus dem CHILDES-Korpus, einem Korpus, das<br />
Kommunikation mit Kindern enthält (MacWhinney: 1995). Das folgende Beispiel ist aus<br />
einer Fernsehserie, die tagsüber gelaufen ist:<br />
(43) A: “Do you think you will ever remarry again? I don’t.”<br />
B: “Maybe I will, someday. But he’d have to be somebody very special. Sensitive<br />
and supportive, giving. Hey, wait a minute, where do they make guys like this?”<br />
A: “I don’t know. I’ve never seen one up close.”<br />
Hier ist klar, dass sich one nicht auf guys bezieht, da A sicher schon guys gesehen hat.<br />
Vielmehr geht es um einen guys like this, also um Männer, die sensibel und hilfsbereit<br />
sind.<br />
11.1 Angeborenheit sprachspezifischen Wissens 311<br />
Auch hier bleibt wieder die Frage, wie viele Belege ein Lerner hören muss, damit das<br />
als Evidenz im Sinne der PSA-Vertreter gilt.<br />
11.1.8.2.4 Stellung von Hilfsverben in Entscheidungsfragen<br />
Das vierte PoS-Argument, das Pullum und Scholz diskutieren, stammt von Chomsky und<br />
betrifft die Anordnung des Hilfsverbs in Entscheidungsfragen im Englischen. Wie auf Seite<br />
71 dargestellt, geht man in der GB-Theorie davon aus, dass ein Entscheidungsfragesatz<br />
durch die Umstellung des Hilfsverbs aus der I-Position an die Satzspitze in die C-Position<br />
abgeleitet wird. In früheren Versionen der Transformationsgrammatik sahen die konkreten<br />
Analysen noch anders aus, aber der Kernpunkt der Analyse war immer, dass das strukturell<br />
höchste Hilfsverb an die Satzspitze gestellt wird. Chomsky (1971, 29–33) diskutiert<br />
die Sätze in (44) und behauptet, dass Kinder wissen, dass sie das strukturell höchste Hilfsverb<br />
voranstellen müssen, ohne je positive Evidenz dafür gefunden zu haben. Wenn sie<br />
zum Beispiel die Hypothese hätten, dass man das erste Hilfsverb im Satz nach vorn stellen<br />
muss, dann würde diese Hypothese für (44a) das richtige Ergebnis (44b) liefern, würde<br />
aber bei (44c) versagen, denn die Entscheidungsfrage muss (44d) sein und nicht (44e).<br />
(44) a. The dog in the corner is hungry.<br />
b. Is the dog in the corner hungry?<br />
c. The dog that is in the corner is hungry.<br />
d. Is the dog that is in the corner hungry?<br />
e. * Is the dog that in the corner is hungry?<br />
Chomsky behauptet, dass Kinder keine Evidenz dafür haben, dass die Hypothese, dass das<br />
erste Hilfsverb vorangestellt werden muss, falsch ist, weshalb sie in einem datengetriebenen<br />
Lernprozess die Hypothese verfolgen könnten, dass das linear erste Hilfsverb vorangestellt<br />
werden muss. Er geht sogar soweit zu behaupten, dass Sprecher des Englischen<br />
in ihrem ganzen Leben nur sehr wenige und eventuell sogar gar keine Belege wie (44d)<br />
äußern (Chomsky in Piattelli-Palmarini: 1980, 114–115). Pullum (1996) hat mit Hilfe von<br />
Korpusdaten und plausibel konstruierten Beispielen gezeigt, dass diese Aussage eindeutig<br />
falsch ist. Pullum (1996) liefert Belege aus dem Wall Street Journal und Pullum und<br />
Scholz (2002) diskutieren entsprechende Belege ausführlicher und erweitern sie durch Belege<br />
aus dem CHILDES-Korpus, die zeigen, dass Erwachsene entsprechende Sätze nicht<br />
nur produzieren können, sondern dass diese auch im Input von Kindern vorkommen. 28<br />
Beispiele für CHILDES-Belege, die die Hypothese widerlegen, dass das erste Hilfsverb<br />
vorangestellt werden muss, zeigt (45): 29<br />
(45) a. Is the ball you were speaking of in the box with the bowling pin?<br />
b. Where’s this little boy who’s full of smiles?<br />
c. While you’re sleeping, shall I make the breakfast?<br />
28 Siehe zu diesem Punkt auch schon Sampson: 1989, 223. Sampson gibt eine Stelle aus einem Gedicht von<br />
William Blake an, das in England in der Schule behandelt wird, und zitiert auch eine Kinderenzyklopädie.<br />
Diese Beispiele spielen im Erwerb der Hilfsverbstellung aber sicher keine Rolle, da die Umstellung mit 3;2<br />
Jahren erworben wird, d. h. im Schulalter bereits erworben ist.<br />
29 Siehe Lewis und Elman: 2001. Die Spracherwerbsforscher sind sich inzwischen jedoch darüber einig, dass<br />
die Frequenz solcher Beispiele in der Kommunikation mit Kindern in der Tat sehr niedrig ist. Siehe z. B.<br />
Ambridge et al.: 2008, 223.