Grammatiktheorie - German Grammar Group FU Berlin - Freie ...
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84 3 Transformationsgrammatik – Government & Binding<br />
(46) Burzios Generalisierung (modifiziert):<br />
Wenn V kein externes Argument nimmt, dann weist es auch keinen (strukturellen)<br />
Akkusativ zu.<br />
Koster (1986, 12) hat darauf hingewiesen, dass das Passiv im Englischen nicht aus der<br />
Kasustheorie abgeleitet werden kann, denn wenn man für das Englische so wie für das<br />
Deutsche und Niederländische leere expletive Subjekte zulässt, bekommt man Analysen<br />
wie in (47):<br />
(47) np was read the book.<br />
Koster geht vielmehr davon aus, dass man für das Englische verlangen muss, dass die Subjekte<br />
entweder nicht expletiv oder lexikalisch (d. h. mit sichtbarem Material) gefüllt sein<br />
müssen. Damit wäre dann die Struktur in (47) ausgeschlossen und es wäre sichergestellt,<br />
dass the book vor das finite Verb gestellt werden muss, damit die Subjektsposition gefüllt<br />
ist.<br />
3.5 Lokale Umstellung<br />
Die Argumente im Mittelfeld können prinzipiell in nahezu beliebiger Abfolge angeordnet<br />
werden. (48) zeigt die entsprechenden Beispiele:<br />
(48) a. [weil] der Mann der Frau das Buch gibt<br />
b. [weil] der Mann das Buch der Frau gibt<br />
c. [weil] das Buch der Mann der Frau gibt<br />
d. [weil] das Buch der Frau der Mann gibt<br />
e. [weil] der Frau der Mann das Buch gibt<br />
f. [weil] der Frau das Buch der Mann gibt<br />
In (48b–f) muss man die Konstituenten anders betonen und die Menge der Kontexte, in<br />
denen der Satz mit der jeweiligen Abfolge geäußert werden kann, ist gegenüber (48a)<br />
eingeschränkt (Höhle: 1982). Die Abfolge in (48a) wird deshalb auch Normalabfolge bzw.<br />
die unmarkierte Abfolge genannt.<br />
Für die Analyse dieser Abfolgen sind zwei Vorschläge gemacht worden: Der erste Vorschlag<br />
geht davon aus, dass fünf der Abfolgen in (48) von einer zugrundeliegenden Abfolge<br />
mittels move α abgeleitet sind (Frey: 1993). Ein Argument, das lange zur Stützung<br />
dieser Analyse vorgebracht wurde, ist, dass es nach der Umstellung von Argumenten Skopusambiguitäten<br />
gibt, die es bei Sätzen in Grundstellung nicht gibt. Die Erklärung der<br />
Ambiguitäten wurde darin gesehen, dass der Skopus von Quantoren in Abhängigkeit von<br />
ihrer Stellung in der Oberflächenstruktur und von ihrer Stellung in der Tiefenstruktur bestimmt<br />
werden kann. Wenn die Stellung in Oberflächenstruktur und Tiefenstruktur dieselbe<br />
ist, d. h., wenn keine Umstellung stattgefunden hat, dann gibt es nur eine Lesart, wenn<br />
Umstellung stattgefunden hat, sind dagegen zwei Lesarten möglich (Frey: 1993):<br />
(49) a. Es ist nicht der Fall, daß er mindestens einem Verleger fast jedes Gedicht anbot.<br />
b. Es ist nicht der Fall, daß er fast jedes Gedichti mindestens einem Verleger _i<br />
anbot.<br />
3.6 Neue Entwicklungen und Theorievarianten 85<br />
Es hat sich aber herausgestellt, dass Ansätze, die Spuren annehmen, problematisch sind,<br />
denn sie sagen unter gewissen Annahmen für Sätze, in denen es mehrere Spuren gibt,<br />
Lesarten voraus, die nicht wirklich vorhanden sind (siehe Kiss: 2001, 146 und Fanselow:<br />
2001, Abschnitt 2.6). So könnte z. B. in (50) mindestens einem Verleger an der Stelle von<br />
_i interpretiert werden, was dann zur Folge hätte, dass man eine Lesart bekommt, in der<br />
fast jedes Gedicht Skopus über mindestens einem Verleger hat.<br />
(50) Ich glaube, dass mindestens einem Verlegeri fast jedes Gedichtj nur dieser Dichter<br />
_i _j angeboten hat.<br />
Eine solche Lesart gibt es aber nicht.<br />
Sauerland und Elbourne (2002, 308) diskutieren analoge Beispiele aus dem Japanischen,<br />
die auf Kazuko Yatsushiro zurückgehen. Sie entwickeln eine Lösung, in der in<br />
einem ersten Schritt das Akkusativobjekt vor das Subjekt gestellt wird. Danach wird das<br />
Dativobjekt davor gestellt, und in einem dritten Schritt wird dann das Akkusativobjekt<br />
noch einmal umgestellt. Für die letzte Umstellung gilt, dass sie entweder als Umstellung<br />
zur Konstruktion der S-Struktur 18 erfolgen kann, oder als Umstellung zur Konstruktion der<br />
Phonologischen Form. Im letzten Fall hat die Umstellung keine Auswirkung auf die Semantik.<br />
Diese Analyse kann somit die Lesarten richtig vorhersagen, setzt allerdings viele<br />
Umstellungen mit Zwischenschritten voraus.<br />
Die Alternative zur Bewegungsanalyse ist die sogenannte Basisgenerierung: Als Basis<br />
werden die Ausgangsstrukturen bezeichnet, die durch die Phrasenstrukturgrammatik<br />
erzeugt (generiert) werden können. Eine Variante der Basisgenerierung ist anzunehmen,<br />
dass ein Verb mit jeweils einem Argument kombiniert wird und diesem dann eine θ-Rolle<br />
zuweist. Die Reihenfolge der Kombination ist nicht vorgegeben, weshalb alle Abfolgen<br />
in (48) direkt ohne Transformationen erzeugt werden (vergleiche auch Grammatik (6) auf<br />
Seite 39). Eine solche Analyse wurde im Rahmen der GB von Fanselow (2001) vorgeschlagen.<br />
19 Zur Diskussion verschiedener Ansätze zur Beschreibung der Konstituentenstellung<br />
siehe auch Fanselow: 1993.<br />
3.6 Neue Entwicklungen und Theorievarianten<br />
Chomsky hat zu Beginn der 90er Jahre dazu aufgefordert, die theoretischen Grundannahmen<br />
der GB-Theorie zu überdenken und nur die Theoriebestandteile beizubehalten,<br />
die aus konzeptuellen Gründen zwingend notwendig sind. Die Motivation für tiefgreifende<br />
Revisionen der GB-Theorie gibt Chomsky im Minimalistischen Programm (Chomsky:<br />
1993; 1995). Bis zum Beginn der 90er Jahre ging man davon aus, dass die Kasus-Theorie,<br />
das Theta-Kriterium, die X-Theorie, Subjazenzbeschränkungen, Bindungstheorie, Kontrolltheorie<br />
usw. zu den angeborenen Sprachfähigkeiten gehören (Richards: In Vorbereitung).<br />
Hier stellt sich natürlich die Frage, wie dieses sehr spezielle linguistische Wissen<br />
18 Die Autoren arbeiten im Rahmen des Minimalismus. Dort wird nicht mehr von S-Struktur gesprochen. Ich<br />
habe die Begriffe in die hier verwendeten übersetzt.<br />
19 Die Basisgenerierungsanalyse ist auch die natürliche Analyse im Rahmen der HPSG. Sie wurde bereits 1986<br />
von Gunji für das Japanische ausgearbeitet und wird im Abschnitt 8.4 genauer besprochen. Sauerland und<br />
Elbourne (2002, 313–314) behaupten, dass sie gezeigt hätten, dass Syntax derivationell sein muss, d. h., dass<br />
eine Folge von Bäumen abgeleitet werden muss. Ich denke, dass man das allgemein nicht zeigen kann. Im<br />
konkreten Fall gibt es die Analyse von Kiss (2001), die zeigt, dass man die Skopusphänomene durchaus<br />
beschränkungsbasiert erklären kann.