Grammatiktheorie - German Grammar Group FU Berlin - Freie ...
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344 11 Diskussion<br />
nur jeweils ein Parameter geändert werden (Single Value Constraint), was große Sprünge<br />
zu extrem anderen Grammatiken ausschließen soll (siehe jedoch Berwick und Niyogi:<br />
1996, 612–613). Das reduziert den Verarbeitungsaufwand, aber bei 40 Parametern könnte<br />
der schlimmste Fall immer noch der sein, dass man 40 Parameterwerte einzeln testen muss,<br />
d. h. versuchen muss, den Satz mit 40 verschiedenen Grammatiken zu parsen. Dieser Verarbeitungsaufwand<br />
ist immer noch unrealistisch, weshalb Gibson und Wexler (1994, 442)<br />
zusätzlich annehmen, dass nur jeweils eine Hypothese für einen Eingabesatz getestet wird.<br />
Eine weitere Modifikation des Modells besteht in der Annahme, dass bestimmte Parameter<br />
erst mit einer gewissen Reifung des Kindes beginnen, eine Rolle zu spielen. Zu einem<br />
bestimmten Zeitpunkt könnte es dann nur einige wenige zugängliche zu setzende Parameter<br />
geben. Nach einer Fixierung dieser Parameter könnten dann neue Parameter verfügbar<br />
werden.<br />
Gibson und Wexler zeigen in ihrem Aufsatz, dass das Zusammenspiel von Input und Parameterfixierung<br />
keinesfalls trivial ist. In ihrem Beispielszenario mit drei Parametern kann<br />
es unter bestimmten Umständen dazu kommen, dass ein Lerner einen Parameter setzt, weil<br />
er einen neuen Satz dann analysieren kann, dass das Setzen dieses Parameters aber dazu<br />
führt, dass die Zielgrammatik nicht mehr erworben werden kann, was damit zusammenhängt,<br />
dass jeweils nur ein Wert geändert werden darf und dass eine Änderung auch nur<br />
dann erfolgen darf, wenn dadurch mehr Sätze als vorher analysiert werden können. Der<br />
Lerner erreicht in den problematischen Fällen ein sogenanntes lokales Maximum. 55 Gibson<br />
und Wexler schlagen dann vor, bestimmten Parametern einen Default-Wert zu geben,<br />
wobei der Default-Wert der Wert ist, von dem aus man nicht in Problemsituationen geraten<br />
kann. Für V2 nehmen sie den Wert ‘−’ als Default an.<br />
Berwick und Niyogi (1996) zeigen, dass Gibson und Wexler die problematischen Zustände<br />
falsch berechnet haben und dass man, wenn man ihre Annahmen teilt, mit ihrem<br />
Beispiel-Parametersatz in noch mehr Fällen in Parameterkombinationen geraten kann, aus<br />
denen man durch Umsetzen einzelner Parameterwerte bestimmte Zielgrammatiken nicht<br />
erreichen kann. Sie zeigen, dass unter den von Gibson und Wexler nicht berücksichtigten<br />
problematischen Zuständen auch −V2-Zustände sind (S. 609), so dass die Annahme<br />
eines Default-Wertes für einen Parameter das Problem nicht löst, da sowohl ‘+’ als auch<br />
‘–’ als V2-Wert zu problematischen Parameterwertkombinationen führen kann. 56 In ihrem<br />
Aufsatz zeigen Berwick und Niyogi, dass Lerner im Beispielszenario mit drei Parametern<br />
schneller die zu erwerbende Grammatik finden, wenn man Greediness bzw. das Single<br />
Value Constraint aufgibt. Sie schlagen ein Verfahren vor, das einfach zufällig einen Parameterwert<br />
umsetzt, wenn ein Satz nicht analysierbar ist (Random Step, S. 615–616). Die<br />
Autoren stellen fest, dass dieses Verfahren die Probleme mit lokalen Maxima in Gibson<br />
und Wexlers Beispielszenarien nicht hat und schneller zum Ziel führt als das von Gibson<br />
und Wexler vorgestellte. Die Tatsache, dass Random Step schneller konvergiert, hängt allerdings<br />
mit der Beschaffenheit des untersuchten Parameterraumes zusammen (S. 618). Da<br />
es in der Theoriebildung keine Einigkeit über Parameter gibt, lässt sich letztendlich auch<br />
nicht beurteilen, wie sich ein Gesamtsystem verhält.<br />
55 Wenn man sich den Spracherwerbsprozess wie das Erklimmen eines Hügels vorstellt, dann bewirkt das<br />
Greediness Constraint, dass man nur bergauf gehen darf. Dabei kann es passieren, dass man einen falschen<br />
Berg besteigt, von dem man dann nicht mehr herunter kommt.<br />
56 Kohl (1999; 2000) hat dieses Erwerbsmodell in einem Parameterraum mit zwölf Parametern untersucht.<br />
Von 4096 möglichen Grammatiken sind 2336 (57%) nicht lernbar, wenn man die besten Ausgangswerte für<br />
Parameter annimmt.<br />
11.4 Spracherwerb 345<br />
Yang (2004, 453) kritisiert das klassische Prinzipien & Parameter-Modell, da ein abruptes<br />
Umschalten zwischen Grammatiken nach der Fixierung eines Parameterwertes nicht<br />
nachweisbar ist. Er schlägt stattdessen folgenden Lernmechanismus vor:<br />
(107) Für einen Eingabesatz s tut das Kind Folgendes:<br />
1. Mit der Wahrscheinlichkeit Pi wählt es die Grammatik Gi.<br />
2. Es analysiert mit Gi die Eingabe s.<br />
3. Wenn das erfolgreich ist, wird Pi erhöht, sonst verringert.<br />
Yang diskutiert als Beispiel den Pro-Drop- und den Topic-Drop-Parameter. In Pro-Drop-<br />
Sprachen (z. B. Italienisch) kann man das Subjekt weglassen, in Topic-Drop-Sprachen<br />
(z. B. Chinesisch) kann man sowohl das Subjekt als auch das Objekt weglassen, wenn<br />
es sich dabei um ein Topik handelt. Yang vergleicht englischsprachige mit chinesischsprachigen<br />
Kindern und stellt fest, dass englischsprachige Kinder in einem frühen Sprachstadium<br />
sowohl Subjekte als auch Objekte weglassen. Er führt das darauf zurück, dass die<br />
englischen Kinder anfangs die chinesische Grammatik benutzten.<br />
Der Pro-Drop-Parameter ist der im Zusammenhang mit der Prinzipien & Parameter-<br />
Theorie am häufigsten diskutierte Parameter, weshalb er hier etwas ausführlicher besprochen<br />
werden soll: Es wird angenommen, dass Sprecher des Englischen erlernen müssen,<br />
dass alle Sätze im Englischen ein Subjekt haben müssen, wohingegen Sprecher des Italienischen<br />
lernen, dass Subjekte weggelassen werden können. Man kann beobachten, dass<br />
sowohl Englisch als auch Italienisch lernende Kinder Subjekte weglassen (deutsche Kinder<br />
übrigens auch). Objekte werden ebenfalls weggelassen, aber deutlich seltener als Subjekte.<br />
Es gibt zwei Arten von Erklärungsversuchen: kompetenzbasierte und performanzbasierte.<br />
In kompetenzbasierten Ansätzen wird davon ausgegangen, dass die Kinder eine Grammatik<br />
verwenden, die es ihnen erlaubt, Subjekte wegzulassen, und erst später die richtige<br />
Grammatik erwerben (durch Parameterfixierung oder durch die Erweiterung des Regelapparates).<br />
In performanzbasierten Ansätzen wird der Wegfall der Subjekte dagegen darauf<br />
zurückgeführt, dass Kinder aufgrund ihrer beschränkten Gehirnkapazität noch nicht in der<br />
Lage sind, lange Äußerungen zu planen und zu produzieren. Da zu Beginn einer Äußerung<br />
der kognitive Aufwand am größten ist, führt das dazu, dass Subjekte verstärkt weggelassen<br />
werden. Valian (1991) hat die diversen Hypothesen untersucht und gezeigt, dass die<br />
Frequenz, mit der Kinder, die Englisch bzw. Italienisch lernen, das Subjekt weglassen,<br />
nicht gleich ist. Subjekte werden häufiger weggelassen als Objekte. Sie kommt zu dem<br />
Schluss, dass alle kompetenzbasierten Erklärungsversuche empirisch nicht adäquat sind.<br />
Das Weglassen von Subjekten ist vielmehr als Performanzphänomen einzustufen (siehe<br />
auch Bloom: 1993). Für den Einfluss von Performanzfaktoren spricht auch die Tatsache,<br />
dass in Subjekten Artikel häufiger weggelassen werden als in Objekten (31% vs. 18%,<br />
siehe hierzu Gerken: 1991, 440). Wie Bloom anmerkt, wurde bisher noch kein Subjekt-<br />
Artikel-Drop-Parameter vorgeschlagen. Erklärt man dieses Phänomen als Performanzphänomen,<br />
so ist ein entsprechender Einfluss für weggelassene Subjekte ebenfalls plausibel.<br />
Gerken (1991) hat gezeigt, dass metrische Eigenschaften von Äußerungen eine Rolle<br />
spielen: In Experimenten, in denen Kinder Sätze wiederholen sollten, haben sie Subjekte<br />
bzw. Artikel in Subjekten häufiger weggelassen als Objekte bzw. Artikel in Objekten.<br />
Dabei spielt eine Rolle, ob Betonungsmuster jambisch (schwach-stark) oder trochaisch<br />
(stark-schwach) sind. Auch bei einzelnen Wörtern lässt sich beobachten, dass Kinder<br />
schwache Silben öfter am Wortanfang weglassen als am Wortende. So ist es wahrscheinli-