Grammatiktheorie - German Grammar Group FU Berlin - Freie ...
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110 3 Transformationsgrammatik – Government & Binding<br />
erste Liste zeigen, dass es sich um ein einzelnes oder um koordinativ verbundene Hilfsverben<br />
handelt. Man würde dann ein rekursives Prädikat aux_verbs benötigen, das irgendwie<br />
prüft, ob z. B. die Sequenz could or should eine wohlgeformte Folge von Hilfsverben ist.<br />
Das sollte aber nicht durch ein Spezialprädikat sondern durch syntaktische Regeln sichergestellt<br />
werden, die Hilfsverben koordinieren. Die Alternative zu einer Regel wie (81a) ist<br />
die Regel in (83):<br />
(83) s → v(aux+), np, vp.<br />
Eine solche Regel würde auch mit Koordinationsdaten wie (82) zurechtkommen, da die<br />
Koordination mehrerer Hilfsverben wieder ein Objekt von der Kategorie v(aux+) ergibt<br />
(zur Koordination siehe Abschnitt 11.11.7). Wenn die Inversion ohnehin in einer Spezialregel<br />
wie (81a) stipuliert wird, ist nicht einzusehen, warum man nicht gleich die transformationslose<br />
Regel in (83) verwenden soll.<br />
Auch andere Implementationen weichen von den transformationsbasierten Analysen,<br />
die wir in diesem Kapitel kennengelernt haben, ab. Kolb und Thiersch (1991, 265, Abschnitt<br />
4) kommen z. B. zu dem Schluss, dass eine deklarative, d. h. beschränkungsbasierte<br />
Sicht auf die GB-Theorie angebrachter ist, als eine derivationelle. Johnson (1989)<br />
schlägt einen Parsing as Deduction-Ansatz vor, der die GB-Teiltheorien (X-Theorie, Theta-Theorie,<br />
Kasustheorie, . . . ) als logische Aussagen formuliert. 41 Diese können dann unabhängig<br />
voneinander in einem logischen Beweis verwendet werden. In Johnsons Ansatz<br />
wird die GB-Theorie als ein Beschränkungssystem verstanden. Aus den Beschränkungen<br />
für S-Struktur und D-Struktur werden gemeinsame Beschränkungen extrahiert, die dann<br />
direkt zum Parsing verwendet werden können. Das heißt, es werden nirgendwo im Parser<br />
direkt Transformationen durchgeführt. Wie Johnson selbst anmerkt, ist das modellierte<br />
Sprachfragment sehr klein. Zum Beispiel enthält es keine Beschreibung der wh-Bewegung<br />
(S. 114).<br />
Die wohl umfassendste Implementation aus der GB/Barriers-Tradition ist Stablers Prolog-Implementation<br />
(1992). Stablers Leistung ist beeindruckend, das Buch bestätigt aber<br />
das bisher Gesagte: Stabler muss viele Dinge, die in Barriers nicht explizit gemacht werden,<br />
einfach festlegen (z. B. die Verwendung von Merkmal-Wert-Paaren für die Formalisierung<br />
der X-Theorie, die er von der GPSG übernimmt), und manche Annahmen lassen<br />
sich nicht formalisieren und werden einfach ignoriert (siehe hierzu im Detail Briscoe:<br />
1997).<br />
Stabler (2001) zeigt, wie man Kaynes Theorie der Restbewegung formalisieren und implementieren<br />
kann. In Stablers Implementationen 42 gibt es aber auch keine transderivationellen<br />
Beschränkungen, keine Numerationen 43 usw. Für Stablers System zur Verarbeitung<br />
41 Siehe auch Crocker und Lewin: 1992, 511 und Fordham und Crocker: 1994, 38 für einen beschränkungsbasierten<br />
Parsing-as-Deduction-Ansatz.<br />
42 Sein System kann man von seiner Web-Seite herunterladen: http://www.linguistics.ucla.edu/people/stabler/<br />
coding.html. 31.03.2010.<br />
43 Bei Veenstra (1998, Kapitel 9) gibt es ein Numerationslexikon. Dieses Lexikon besteht aus einer Menge<br />
von Numerationen, welche die funktionalen Köpfe enthalten, die in einem Satz eines bestimmten Typs gebraucht<br />
werden. So nimmt Veenstra z. B. Numerationen für Sätze mit transitiven Verben und Subjekt in<br />
Initial-Stellung, für eingebettete Sätze mit intransitiven Verben, für w-Fragesätze mit intransitivem Verb und<br />
für Entscheidungsfragesätze mit intransitivem Verb an. Ein Element aus dieser Menge von Numerationen<br />
entspricht einer bestimmten Konfiguration und damit einer phrasalen Konstruktion im Sinne der Konstruktionsgrammatik.<br />
Veenstras Ansatz ist keine Formalisierung des Numerationskonzepts, das man in anderen<br />
Minimalistischen Ansätzen findet. Normalerweise wird davon ausgegangen, dass eine Numeration alle Le-<br />
3.7 Zusammenfassung und Einordnung 111<br />
von Minimalist <strong>Grammar</strong>s gilt genauso wie für GB-Systeme: Es gibt keine großen Grammatiken.<br />
Stablers Grammatiken sind kleine Grammatiken, die eher als Proof of Concept<br />
gelten können, und sie sind rein syntaktisch. Es gibt keine Morphologie 44 , keine Behandlung<br />
von Mehrfach-Kongruenz (Stabler: erscheint b, Abschnitt 4.3) und vor allem keine<br />
Semantik. PF- und LF-Prozesse sind nicht modelliert. 45 Die Vergleichsgrößen sind hier<br />
implementierte Grammatiken in beschränkungsbasierten Theorien. Zum Beispiel, die in<br />
den 90er Jahren im Rahmen von Verbmobil (Wahlster: 2000) für die Analyse gesprochener<br />
Sprache entwickelten HPSG-Grammatiken für das Deutsche, Englische und Japanische<br />
oder die LFG- bzw. CCG-Systeme mit großer Abdeckung. Diese Grammatiken<br />
können zum Teil über 83 % von Äußerungen in gesprochener Sprache (bei Verbmobil<br />
aus dem Bereich der Terminvereinbarung/Reiseplanung) bzw. in geschriebener Sprache<br />
analysieren. Das linguistische Wissen wird sowohl zur Analyse als auch zur Generierung<br />
sprachlicher Strukturen verwendet. In der einen Richtung bekommt man semantische Repräsentationen<br />
zu einer Wortfolge und in der anderen Richtung erzeugt man eine Wortfolge<br />
für eine bestimmte semantische Repräsentation. Für die Verarbeitung natürlich vorkommender<br />
Daten ist bei Sprachen mit einem ausgebauten morphologischen System eine<br />
morphologische Analyse unabdingbar. Die in anderen Theorien entwickelten Grammatiken<br />
und entsprechende Verarbeitungssysteme werden am Anfang der jeweiligen Kapitel<br />
in diesem Buch besprochen.<br />
Der Grund für das Fehlen großer Fragmente im Rahmen von GB/MP dürfte darin zu<br />
suchen sein, dass die Grundannahmen, die innerhalb der Minimalistischen Community<br />
gemacht werden, sich schnell ändern:<br />
In Minimalism, the triggering head is often called a probe, the moving element is<br />
called a goal, and there are various proposals about the relations among the features<br />
that trigger syntactic effects. Chomsky (1995, p. 229) begins with the assumption that<br />
features represent requirements which are checked and deleted when the requirement<br />
is met. The first assumption is modified almost immediately so that only a proper<br />
subset of the features, namely the ‘formal’, ‘uninterpretable’ features are deleted by<br />
checking operations in a successful derivation (Collins, 1997; Chomsky: 1995, §4.5).<br />
Another idea is that certain features, in particular the features of certain functional<br />
xikoneinträge enthält, die für die Analyse eines Satzes gebraucht werden. Wie (i) zeigt, können in natürlichsprachlichen<br />
Sätzen Kombinationen verschiedener Satztypen vorkommen:<br />
(i) Der Mann, der behauptet hat, dass Maria gelacht hat, steht neben der Palme, die im letzten Jahr gepflanzt<br />
wurde.<br />
In (i) gibt es zwei Relativsätze mit Verben mit verschiedener Valenz, einen eingebetteten Satz mit intransitivem<br />
Verb und den Matrixsatz. Bei einem traditionellen Verständnis von Numerationen müsste Veenstra also<br />
ein unendliches Numerationslexikon annehmen, das alle Kombinationsmöglichkeiten verschiedener Satztypen<br />
enthält.<br />
44 Die Testsätze haben die Form in (i).<br />
(i) a. the king will -s eat<br />
b. the king have -s eat -en<br />
c. the king be -s eat -ing<br />
d. the king -s will -s have been eat -ing the pie<br />
45 Siehe z. B. Sauerland und Elbourne (2002) für Vorschläge zu PF- und LF-Bewegung, die Löschung von<br />
Teilen von Kopien einschließt (S. 285). Die Umsetzung dürfte nicht trivial sein.