Grammatiktheorie - German Grammar Group FU Berlin - Freie ...
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30 1 Einleitung und Grundbegriffe<br />
(103) a. Sie nannte ihn einen Lügner.<br />
b. Er wurde ein Lügner genannt.<br />
Nur ihn lässt sich in (103a) als Objekt bezeichnen. ihn wird in (103b) zum Subjekt und<br />
steht deshalb im Nominativ. einen Lügner bezieht sich auf ihn bzw. er und stimmt mit<br />
seinem Bezugsnomen im Kasus überein. Man spricht hier auch von Kongruenzkasus.<br />
Zu weiteren Prädikativen siehe Duden: 2005, § 1206.<br />
1.7.5 Bezeichnungen für Valenzklassen<br />
In Abhängigkeit davon, wie viele Argumente ein Verb braucht und welche Eigenschaften<br />
diese Argumente haben müssen, teilt man Verben noch in Unterklassen ein. Die klassische<br />
Einteilung ist, dass man all die Verben, die ein Objekt verlangen, das bei Passivierung zum<br />
Subjekt wird, als transitiv bezeichnet. Beispiele sind lieben und schlagen. Die intransitiven<br />
Verben sind dagegen die Verben, die entweder kein Objekt oder eins, das bei Passivierung<br />
nicht zum Subjekt wird, haben. Beispiele sind schlafen, helfen, gedenken. Eine Unterklasse<br />
der transitiven Verben stellen die ditransitiven Verben dar (geben, zeigen).<br />
Leider wird die Terminologie nicht einheitlich verwendet. Mitunter werden für das<br />
Deutsche zweistellige Verben mit Dativ- und Genitivobjekt ebenfalls zu den transitiven<br />
Verben gezählt. Die Begriffe intransitives, transitives bzw. ditransitives Verb sind dann<br />
synonym zu einstelliges, zweistelliges bzw. dreistelliges Verb.<br />
Dass dieses terminologische Wirrwarr auch zu Missverständnissen zwischen etablierten<br />
Linguisten führen kann, zeigt die Kritik Culicovers und Jackendoffs (2005, 59) an Chomsky.<br />
Chomsky schreibt, dass im Englischen das Hilfsverb be + Verb mit Passivmorphologie<br />
nur für transitive Verben verwendet werden kann. Culicover und Jackendoff behaupten,<br />
dass das falsch sei, da es auch transitive Verben wie weigh und cost gebe, die nicht passivierbar<br />
sind:<br />
(104) a. This book weighs ten pounds / costs ten dollars.<br />
b. * Ten pounds are weighed / ten dollar are cost by this book.<br />
Culicover und Jackendoff verwenden transitiv im Sinne von zweistellig. Wenn man aber<br />
nur die Verben transitiv nennt, deren Objekt bei Passivierung zum Subjekt werden kann,<br />
dann sind weigh und cost per Definition keine transitiven Verben, und die Kritik unberechtigt.<br />
17 Dass die Nominalphrasen in (104) keine normalen Objekte sind, sieht man daran,<br />
dass sie sich nicht pronominalisieren lassen. Deshalb lässt sich der Kasus auch nicht feststellen,<br />
da Kasus im Englischen nur an den Pronomina realisiert wird. Überträgt man die<br />
englischen Beispiele ins Deutsche erhält man Sätze mit Akkusativen:<br />
(105) a. Das Buch kostete einen Taler.<br />
b. Das Buch wiegt einen Zentner.<br />
Die Akkusative sind im Deutschen ebenfalls nicht durch Personalpronomina ersetzbar. Sie<br />
werden zu den adverbialen Akkusativen gezählt, die Maßangaben, Gewichte und Zeitan-<br />
17 Die Kritik wäre übrigens auch bei der Verwendung von transitiv mit der Bedeutung zweistellig ungerechtfertigt,<br />
denn wenn man behauptet, dass ein Verb im Englischen mindestens zweistellig sein muss, damit es<br />
passivierbar ist, hat man nicht behauptet, dass alle zwei- oder mehrstelligen Verben auch passivierbar sind.<br />
Die Mehrstelligkeit ist eine Voraussetzung, die erfüllt sein muss, es ist allerdings nicht die einzige.<br />
1.8 Ein topologisches Modell des deutschen Satzes 31<br />
gaben ausdrücken können (Duden: 2005, §1246), sind also keine Objekte, die bei Passivierung<br />
zum Subjekt werden könnten.<br />
Im Folgenden werde ich transitiv im ersteren Sinn benutzen, d. h., Verben mit einem<br />
Objekt, das bei Passivierung mit werden zum Subjekt wird, werden transitiv genannt.<br />
Wenn ich mich gleichzeitig auf Verben wie helfen (Nominativ, Dativ) und schlagen (Nominativ,<br />
Akkusativ) beziehen will, spreche ich von zweistelligen bzw. bivalenten Verben.<br />
1.8 Ein topologisches Modell des deutschen Satzes<br />
In diesem Abschnitt werden die topologischen Felder eingeführt. Diese werden in den<br />
kommenden Kapiteln immer wieder benutzt, wenn von bestimmten Bereichen im Satz<br />
die Rede ist. Andere, ausführlichere Einführungen in die Topologie deutscher Sätze findet<br />
man in Reis: 1980, Höhle: 1986 und Askedal: 1986.<br />
1.8.1 Verbstellungstypen<br />
Man teilt deutsche Sätze in Abhängigkeit von der Stellung des finiten Verbs in drei verschiedene<br />
Klassen ein:<br />
• Sätze mit Verbendstellung<br />
• Sätze mit Verberststellung<br />
• Sätze mit Verbzweitstellung<br />
Beispiele dafür sind folgende Sätze:<br />
(106) a. (Peter hat erzählt,) dass er das Eis gegessen hat.<br />
b. Hat Peter das Eis gegessen?<br />
c. Peter hat das Eis gegessen.<br />
1.8.2 Satzklammer, Vorfeld, Mittelfeld und Nachfeld<br />
Man kann feststellen, dass das finite Verb nur in (106a) direkt neben seinem verbalen<br />
Komplement gegessen steht. In (106b) und (106c) hängen Verb und verbale Komplemente<br />
nicht zusammen, sind diskontinuierlich. Man teilt den deutschen Satz auf Grundlage dieser<br />
Verteilungen in mehrere Bereiche ein. In (106b) und (106c) rahmen die Verbteile den<br />
Satz ein. Man spricht deshalb von der Satzklammer. Das finite Verb bildet in (106b) und<br />
(106c) die linke Satzklammer, das infinite Verb die rechte. Sätze mit Verbendstellung werden<br />
meistens durch Konjunktionen wie weil, dass, ob oder dergleichen eingeleitet. Diese<br />
Konjunktionen stehen an der Stelle, an der in Verberst- bzw. Verbzweitsätzen das finite<br />
Verb steht. Man rechnet sie deshalb mit zur linken Satzklammer. Mit Hilfe dieses Begriffs<br />
von der Satzklammer kann man den deutschen Satz in Vorfeld, Mittelfeld und Nachfeld<br />
einteilen: Das Vorfeld ist der Bereich vor der linken Satzklammer. Das Mittelfeld befindet<br />
sich zwischen linker und rechter Satzklammer, und das Nachfeld ist der Bereich rechts der<br />
rechten Satzklammer. Beispiele zeigt die Übersicht in Tabelle 1.1 auf der folgenden Seite.<br />
Die rechte Satzklammer kann mehrere Verben enthalten und wird auch Verbalkomplex<br />
(verbal complex oder verb cluster) genannt.