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Grammatiktheorie - German Grammar Group FU Berlin - Freie ...

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372 11 Diskussion<br />

immer wieder betont, dass die Elementarbäume keine Rekursion enthalten. Die Gesamtgrammatik<br />

ist aber dennoch rekursiv, da mittels Adjunktion weitere Elemente in Bäume<br />

eingesetzt werden können und – wie in (147) und (148) gezeigt – auch durch die Einsetzung<br />

in Substitutionsknoten rekursive Strukturen entstehen können.<br />

11.9 Leere Elemente<br />

Ein Punkt, der unter den Verfechtern der in diesem Buch vorgestellten Theorien umstritten<br />

ist, ist die Frage, ob man leere Elemente annehmen sollte oder nicht. Die Diskussion zu<br />

leeren Elementen ist schon recht alt. In Bezug auf Phrasenstrukturgrammatiken gab es bereits<br />

1961 Untersuchungen (Bar-Hillel, Perles und Shamir: 1961). Die Diskussion um den<br />

Status von leeren Elementen wurde seit dem ununterbrochen geführt (siehe z. B. Wunderlich:<br />

1987; 1989; von Stechow: 1989; Haider: 1997a; Sag: 2000; Bouma, Malouf und Sag:<br />

2001; Levine und Hukari: 2006; Müller: erscheint). Mitunter gibt es empirische Unterschiede<br />

zwischen Analysen, die leere Elemente annehmen, und solchen, die das nicht tun.<br />

Oft ist das jedoch nicht der Fall. Da leere Elemente in Argumentationen für oder gegen<br />

Theorien eine wichtige Rolle spielen, möchte ich die Verwendung leerer Elemente hier<br />

etwas genauer diskutieren.<br />

In der GB-Theorie wurden leere Elemente für Spuren von Bewegungen (Verbbewegung<br />

und Voranstellung von Phrasen) sowie für in elliptischen Konstruktionen getilgte Elemente<br />

angenommen. Beginnend mit den Analysen von Larson (1988) wurden immer mehr leere<br />

Köpfe eingeführt, deren Zweck es war, die Uniformität von Strukturen und bestimmte semantische<br />

Interpretationen (Bindung und Skopus) zu gewährleisten. Andere Beispiele für<br />

leere Elemente, die eingeführt wurden, um Generalisierungen aufrecht erhalten zu können,<br />

sind die leeren expletiven Elemente von Coopmans (1989, 734) und Postal (2004, Kapitel<br />

1). Diese füllen die Subjektposition in Inversionsstrukturen im Englischen, in denen<br />

die Position vor dem Verb durch eine PP und nicht durch eine overte Subjekts-NP besetzt<br />

ist. Genauso nimmt Grewendorf (1993, 1311) an, dass die Subjektsposition bei unpersönlichen<br />

Passiven und Passiven ohne Umstellung des Subjekts durch ein leeres expletives<br />

Element besetzt wird. Siehe auch Newmeyer: 2005, 91 zu einer solchen Annahme in Bezug<br />

auf das Passiv im Deutschen. Sternefeld (2006, Abschnitt II.3.3.3) nimmt an, dass es<br />

bei unpersönlichen Passiven und bei subjektlosen Sätzen wie (150) ein leeres expletives<br />

Subjekt gibt.<br />

(150) a. Mir graut.<br />

b. Mich dürstet.<br />

Auf Seite 100 haben wir Stablers Vorschlag zur Analyse von Sätzen mit intransitiven Verben<br />

besprochen. Da nach Chomsky (2008, 146) das Element, das zuerst mit einem Kopf<br />

gemerget wird, das Komplement ist, stellen intransitive Verben ein Problem für die Theorie<br />

dar. Dieses Problem wurde von Stabler dadurch gelöst, dass er annimmt, dass intransitive<br />

Verben mit einem leeren Objekt kombiniert werden (Veenstra: 1998, 61, 124). Da<br />

diese leeren Elemente nicht zur Bedeutung der Äußerung beitragen, handelt es sich hier<br />

ebenfalls um leere Expletivpronomina.<br />

In anderen Theorien gibt es Wissenschaftler, die leere Elemente ablehnen, und auch<br />

solche, die leere Elemente annehmen. In der Kategorialgrammatik vertritt Steedman Analysen,<br />

die ohne leere Elemente auskommen. Wie Pollard (1988) gezeigt hat, braucht man<br />

11.9 Leere Elemente 373<br />

bei Steedmans Analyse diverse Typanhebungen für NPen bzw. eine entsprechend hohe<br />

Anzahl von komplexen Einträgen für Relativpronomina (siehe auch Abschnitt 7.5.3). König<br />

(1999) dagegen verwendet Spuren. In der GPSG gibt es die spurenlose Analyse der<br />

Extraktion von Uszkoreit (1987, 76–77), die wir im Abschnitt 4.4 besprochen haben, aber<br />

auch die Analyse von Gazdar, Klein, Pullum und Sag (1985, 143), die Spuren verwendet.<br />

In LFG gibt es Analysen mit Spuren (Bresnan: 2001, 67) und solche ohne Spuren<br />

(siehe Abschnitt 6.3 und Abschnitt 6.5). Viele der phrasalen Analysen in HPSG sind aus<br />

dem Wunsch heraus entstanden, leere Elemente zu vermeiden (siehe Abschnitt 11.11.9).<br />

Ein Beispiel hierfür ist die Relativsatzanalyse von Sag (1997), die den leeren Relativierer<br />

aus Pollard und Sag: 1994 durch eine entsprechende phrasale Regel ersetzt. In Bender:<br />

2002 und Sag, Wasow und Bender: 2003, 464 wird dann aber wieder eine leere Kopula<br />

angenommen. Ein anderer Versuch, leere Elemente aus der HPSG-Theorie zu eliminieren<br />

bestand darin, Fernabhängigkeiten nicht durch Spuren sondern im Lexikon einzuführen<br />

(Bouma, Malouf und Sag: 2001). Wie Levine und Hukari (2006) jedoch zeigen konnten,<br />

haben Extraktionstheorien, die die Information über Fernabhängigkeiten lexikalisch<br />

einführen, Probleme mit der semantischen Interpretation von Koordinationsstrukturen. Zu<br />

Vorschlägen zur Lösung dieser Probleme siehe Chaves: 2009. Es gibt viele TAG-Analysen<br />

ohne leere Elemente im Lexikon (siehe Abschnitt 10.5 und z. B. Kroch: 1987), aber es<br />

gibt auch TAG-Varianten wie die von Kallmeyer (2005, 194), die für die Umstellung von<br />

Konstituenten in Sätzen mit Verbalkomplex eine Spur annehmen, bzw. die von Rambow<br />

(1994), die in jeder Verbphrase einen leeren Kopf annimmt.<br />

In der Konstruktionsgrammatik (Michaelis und Ruppenhofer: 2001, 49–50; Goldberg:<br />

2003a, 219; Goldberg: 2006, 10), in der verwandten Simpler Syntax (Culicover und Jackendoff:<br />

2005) und in der Cognitive <strong>Grammar</strong> werden keine leeren Elemente angenommen.<br />

Die Argumentation gegen leere Elemente verläuft so:<br />

1. Es gibt keine Evidenz für unsichtbare Objekte.<br />

2. Es gibt kein angeborenes sprachliches Wissen.<br />

3. Deshalb kann Wissen über leere Elemente nicht erlernt werden, weshalb sie auch<br />

nicht als Bestandteil unserer Grammatiken angenommen werden sollten.<br />

Hier stellt sich die Frage, ob alle Prämissen für den Schluss auch wirklich gültig sind.<br />

Betrachtet man zum Beispiel elliptische Äußerungen wie die in (151), so ist klar, dass in<br />

(151) ein Nomen ausgelassen wurde:<br />

(151) Ich nehme den roten Ball und du den blauen.<br />

Obwohl es in den blauen kein Nomen gibt, verhält sich diese Wortgruppe syntaktisch und<br />

semantisch wie eine Nominalphrase. (151) ist natürlich nicht unbedingt Evidenz dafür,<br />

dass es leere Elemente gibt, denn man könnte auch einfach sagen, dass den blauen eine<br />

Nominalphrase ist, die nur aus einem Artikel und einem Adjektiv besteht (Wunderlich:<br />

1987).<br />

Genauso, wie man feststellen kann, dass in (151) ein Nomen fehlt, kann man als Sprecher<br />

des Englischen feststellen, dass hinter like etwas fehlt:<br />

(152) Bagels, I like.

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