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Grammatiktheorie - German Grammar Group FU Berlin - Freie ...

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24 1 Einleitung und Grundbegriffe<br />

(80) * Wir befinden uns.<br />

Wie die Ortsangabe realisiert werden kann, ist aber sehr frei, weder die syntaktische Kategorie<br />

noch die Art der Präposition in der Präpositionalphrase wird vorgeschrieben:<br />

(81) Wir befinden uns hier / unter der Brücke / neben dem Eingang / im Bett.<br />

Lokalangaben wie hier oder unter der Brücke werden im Kontext anderer Verben (z. B.<br />

schlafen) als Adjunkte eingestuft, für Verben wie sich befinden muss man aber wohl annehmen,<br />

dass diesen Ortsangaben der Status eines obligatorischen syntaktischen Arguments<br />

zukommt. 14 Das Verb selegiert eine Ortsangabe, stellt aber keine Anforderungen an die<br />

syntaktische Kategorie. Die Ortsangaben verhalten sich semantisch wie die anderen Adjunkte,<br />

die wir bereits kennengelernt haben. Wenn ich nur die semantischen Aspekte einer<br />

Kombination von Adjunkt und Kopf betrachte, nenne ich das Adjunkt auch Modifikator. 15<br />

Unter den Begriff Modifikator lassen sich auch die Ortsangaben bei befinden fassen. Modifikatoren<br />

sind normalerweise Adjunkte, d. h. optional, in Fällen wie denen mit befinden<br />

aber auch (obligatorische) Argumente.<br />

Zusammenfassend kann man festhalten, dass Konstituenten, die immer mit einem Kopf<br />

auftreten müssen, als dessen Argument bezeichnet werden. Genauso werden Konstituenten,<br />

die eine semantische Rolle im semantischen Beitrag des Kopfes füllen als Argument<br />

bezeichnet. Solche Argumente können jedoch optional sein.<br />

14 In ähnlichem Zusammenhang wird meist das Verb wohnen diskutiert und die Präpositionalphrase in (i.b)<br />

wird als valenznotwendig eingestuft (Siehe z. B. Steinitz: 1969, Kapitel 2, Helbig und Schenkel: 1973, 127,<br />

Engel: 1994, 99, Kaufmann: 1995, 119, Abraham: 2005, 21). Einfache Sätze mit wohnen ohne Angabe des<br />

Ortes oder der Umstände sind meist schlecht.<br />

(i) a. ? Er wohnt.<br />

b. Er wohnt in Bremen.<br />

c. Er wohnt allein.<br />

Wie (ii) zeigt, ist es jedoch nicht gerechtfertigt, sie generell auszuschließen:<br />

(ii) a. Das Landgericht Bad Kreuznach wies die Vermieterklage als unbegründet zurück, die Mieterfamilie<br />

kann wohnen bleiben. (Mieterzeitung 6/2001, S. 14)<br />

b. Die Bevölkerungszahl explodiert. Damit immer mehr Menschen wohnen können, wächst Hongkong,<br />

die Stadt, und nimmt sich ihr Terrain ohne zu fragen. (taz, 31.07.2002, S. 25)<br />

c. Wohnst Du noch, oder lebst Du schon? (strassen|feger, Obdachlosenzeitung <strong>Berlin</strong>, 01/2008, S. 3)<br />

d. Wer wohnt, verbraucht Energie – zumindest normalerweise. (taz, berlin, 15.12.2009, S. 23)<br />

Wenn man Sätze ohne Modifikator aber nicht ausschließen will, dann wäre die Präpositionalphrase in (i.b)<br />

ein optionaler Modifikator, der trotzdem zur Valenz des Verbs gezählt wird. Das scheint wenig sinnvoll.<br />

wohnen sollte also einfach als intransitives Verb behandelt werden.<br />

(i.a) dürfte deswegen schlecht sein, weil der Nutzen einer solchen Äußerung gering ist, denn normalerweise<br />

wohnt jeder Mensch irgendwo (manche leider unter der Brücke). In (ii.a) wird explizit thematisiert, dass die<br />

Familie in einer Mietwohnung lebt. Der Ort des Wohnens muss deshalb nicht als Argument von wohnen<br />

genannt werden. Wichtig ist für (ii.a) nur, ob die Familie die Wohnung weiter benutzen kann oder nicht.<br />

Genauso ist in (ii.b) die Tatsache des Wohnens und nicht der Ort wichtig.<br />

Siehe auch Goldberg und Ackerman: 2001 zu Modifikatoren, die in bestimmten Kontexten aus pragmatischen<br />

Gründen obligatorisch sind.<br />

15 Siehe auch Abschnitt 1.7.3 zur grammatischen Funktion Adverbiale. Der Begriff des Adverbiales wird normalerweise<br />

nur im Zusammenhang mit Verben verwendet. Modifikator ist ein allgemeinerer Begriff, der<br />

z. B. auch attributive Adjektive einschließt.<br />

1.7 Grammatische Funktionen 25<br />

Argumente werden in Subjekte und Komplemente unterteilt. Nicht alle Köpfe müssen<br />

ein Subjekt haben (siehe Müller: 2008b, Abschnitt 3.2), so dass die Menge der Argumente<br />

eines Kopfes durchaus auch der Menge der Komplemente eines Kopfes entsprechen kann.<br />

1.7 Grammatische Funktionen<br />

In einigen Theorien sind grammatische Funktionen wie Subjekt und Objekt Bestandteil<br />

der formalen Beschreibung von Sprache (siehe z. B. Kapitel 6). In den meisten hier besprochenen<br />

Theorien ist das nicht der Fall, jedoch werden die Begriffe für die informelle<br />

Beschreibung von Phänomenen verwendet. Deshalb sollen die Begriffe hier kurz besprochen<br />

werden.<br />

1.7.1 Subjekt<br />

Obwohl sicher jeder Leser eine Vorstellung davon hat, was ein Subjekt ist, ist eine genaue<br />

Definition des Subjektbegriffs, die möglichst auch für andere Sprachen als das Deutsche<br />

verwendbar sein sollte, nicht trivial. Für das Deutsche wurden folgende syntaktische Eigenschaften<br />

von Subjekten genannt:<br />

• Kongruenz mit dem finiten Verb<br />

• Nominativ in nichtkopulativen Sätzen<br />

• Weglassbarkeit in Infinitivkonstruktionen (Kontrolle)<br />

• Weglassbarkeit in Imperativsätzen<br />

Die Kongruenz haben wir schon im Zusammenhang mit (4) besprochen. Marga Reis<br />

(1982) hat gezeigt, dass der zweite Punkt für das Deutsche als Kriterium ausreicht. Sie<br />

macht die Einschränkung auf nichtkopulative Sätze, weil in Sätzen mit Prädikativen wie<br />

in (82) durchaus mehrere Nominativargumente vorhanden sein können:<br />

(82) a. Er ist ein Lügner.<br />

b. Er wurde ein Lügner genannt.<br />

Nach diesem Kriterium sind Dativargumente wie den Männern in (83b) keine Subjekte im<br />

Deutschen:<br />

(83) a. Er hilft den Männern.<br />

b. Den Männern wurde geholfen.<br />

Auch nach den anderen Kriterien sind Dative im Deutschen nicht als Subjekte einzuordnen,<br />

wie Reis (1982) gezeigt hat. So kongruiert den Männern in (83b) nicht mit wurde.<br />

Beim dritten der oben genannten Kriterien geht es um Infinitivkonstruktionen wie (84):<br />

(84) a. Klaus behauptet, den Männern zu helfen.<br />

b. Klaus behauptet, dass er den Männern hilft.<br />

c. * Die Männer behaupten, geholfen zu werden.<br />

d. * Die Männer behaupten, elegant getanzt zu werden.

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