Heft als PDF-Datei - Wildcat
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dass sie am Abend bei der asamblea alles in Frage stellen, aber am<br />
nächsten Morgen wieder zur Arbeit gehen (müssen), wo sie die Regeln<br />
der kapitalistischen Ordnung respektieren. Die Arbeit − und damit die<br />
Reproduktion der kapitalistischen Verhältnisse − läuft trotz Straßenblokkaden<br />
und täglicher Demonstrationen weiter. Der kapitalistische Alltag<br />
wird an vielen Punkten in Frage gestellt − aber nicht im Betrieb. Bei<br />
dieser zentralen Frage bleibt der Horizont auf ’richtiges Arbeiten’ beschränkt,<br />
auf einen Kapitalismus, der wenigstens funktioniert.<br />
Die Frage, ob sich die Arbeiter <strong>als</strong> solche zu Wort melden und ihre<br />
Macht <strong>als</strong> Produzenten einsetzen, ist weiterhin unklar. Krise, Deindustrialisierung<br />
und Armut erzeugen in den Betrieben ein Klima von Ohnmacht<br />
und Defensive. Ausserdem sind die Kontrolle der Gewerkschaften und<br />
vor allem der Peronismus bis heute stark, besonders bei denen, die nichts<br />
haben. In den Armenvierteln hängen große Bilder von Evita Perón; nicht<br />
selten hängen die Idole Evita und Che direkt nebeneinander.<br />
Trotz der breiten Ablehnung von ’Politik’ ist die Gefahr, dass die<br />
Bewegung doch wieder durch eine parlamentarische Alternative eingefangen<br />
oder durch eine ’politische Lösung’ kanalisiert wird, nicht ausgeschlossen.<br />
Die meisten Politiker können sich auf der Straße nicht blicken<br />
lassen, weil sie dort beschimpft, bespuckt und angegriffen werden, aber<br />
ein paar linke Abgeordnete gelten <strong>als</strong> persönlich integer, absolut unkorrupt<br />
und politisch korrekt, und die laufen in den Mobilisierungen rum und<br />
sammeln Punkte. Der Vorschlag von Trotzkisten, eine ’Verfassungsgebende<br />
Versammlung’ (Asamblea Constituyente) einzuberufen, würde die<br />
Eigeninitiative der bereits existierenden asambleas in die Unterstützung<br />
einer politischen Lösung umleiten, und damit zur Institutionalisierung der<br />
Bewegung führen. Die Geschichte der Interbarrial, wo politische Machtspielchen<br />
reproduziert und die asambleas ausgebremst wurden, läßt da<br />
nichts Gutes erwarten.<br />
Aber trotz alledem: den Aufbruch, der seit dem 19./20. in Gang gekommen<br />
ist, wird niemand so leicht zurückdrehen können. Die Menschen<br />
werden sich nicht wieder von der Straße wegschicken und zu Zuschauern<br />
ihrer eigenen Geschichte machen lassen. Die Politik hat abgewirtschaftet,<br />
die Krise ist dramatisch und der Kapitalismus hat keine Lösung zu bieten.<br />
Es kann jederzeit zu einer weiteren sozialen Explosion kommen. Die<br />
Situation ist offen.<br />
A aus K, Ende Mai 2002<br />
Juli 2002 23