Heft als PDF-Datei - Wildcat
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vollstreckten Todesurteilen pro Jahr), willkürliche Verhaftung und Internierung<br />
von Wanderarbeitern und Oppositionellen, Aufrüstung von Bewaffneter<br />
Volkspolizei und Volksarmee, Tolerierung von Regionalfürsten<br />
und weitverbreiteten Mafiastrukturen, ergänzt durch Ansätze von Sozialpolitik,<br />
die die aufrührerischsten Schichten besänftigen soll, aber mangels<br />
Masse nicht kann − darin besteht bislang die hilflose Politik einer<br />
herrschenden Clique, die ihre Macht nicht abgeben will, aber dabei ist, sie<br />
zu verlieren.<br />
Der Kern des chinesischen Sozi<strong>als</strong>taats beruht auf den Staatsbetrieben,<br />
in denen immer noch die Hälfte der (legalen) IndustriearbeiterInnen beschäftigt<br />
ist. Neben ausreichendem Lohn bieten sie lebenslange Beschäftigung,<br />
Wohnungen, Gesundheitsversorgung und Rente. Pläne zur Schließung<br />
oder Privatisierung unprofitabler Staatsbetriebe wurden angesichts<br />
von Kämpfen immer wieder zurückgezogen. Es gab einige Entlassungswellen,<br />
aber die vorherrschende Politik ist bis heute die »Freistellung«<br />
von der Arbeit bei weiterem Anspruch auf die Sozialleistungen und<br />
manchmal einen geringen Lohn. Mittlerweile hat diese Entwicklung das<br />
chinesische Bankensystem in die Krise gebracht, da immer wieder Kredite<br />
an unproduktive Staatsbetriebe gegeben werden mußten. Der Anteil an<br />
faulen Krediten wird auf insgesamt 50 Prozent geschätzt, was 518 Mrd.<br />
Dollar entspricht 3 − fast der Hälfte des BIP von 2001! Die Regierung hat<br />
damit begonnen, diese Kredite auf staatliche Vermögensagenturen (in Art<br />
der »Treuhand«)zuübertragen, was das Problem nur verlagert. Die ohnehin<br />
hohe Staatsverschuldung wächst damit weiter − zumal gleichzeitig<br />
das Steuereinkommen nicht zuletzt aufgrund der verbreiteten Korruption<br />
von 32 Prozent des BIP im Jahr 1978 auf nur noch 12 Prozent in 1998<br />
abgesackt ist.<br />
Durch den Beitritt zur WTO steht der chinesische Staat unter dem<br />
Druck, eine schnelle Anpassung dieser alten Großbetriebe an das Produktivitätsniveau<br />
des Weltmarkts durchzusetzen, die bisher durch den<br />
Druck der Arbeiterklasse verhindert wurde − und genau daran haben sich<br />
nun die Arbeiterproteste in Daqing und Lioayang entzündet. Deswegen<br />
sind sie für das Regime und die kapitalistischen Verwertungshoffnungen<br />
so bedrohlich, weil sie zum Ausdruck und Vorbild für die vielfältigen<br />
sozialen Konflikte werden könnten, die sich in den letzten Jahren entwickelt<br />
haben.<br />
42 Beilage <strong>Wildcat</strong>-Zirkular 64