Totemismus Illusion - Horst Südkamp - Kulturhistorische Studien
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nichts zu tun." 170 Die psychoanalytische Behandlung dieser Kinder ergab, daß der eigentliche<br />
Gegenstand der Furcht nicht das Tier war, sondern der Vater, "wenn die untersuchten Kinder<br />
Knaben waren." 171 Diese Furcht vor dem Tier stellte sich in den Fällen kindlicher Tierphobien<br />
übereinstimmend als eine Verschiebung ihrer Furcht vor dem Vater heraus. Das Tier erwies<br />
sich also in diesem Kontetxt als Vaterersatz, ein Ergebnis, das für Freud der Schlüssel zur<br />
Auflösung des Rätsels "<strong>Totemismus</strong>" wurde.<br />
Über den Vergleich von Tabu und Neurose machte Freud aber vorher schon deutlich, welcher<br />
Art die Neigungen seien, die das Tabu verbiete. Das Tabu erscheint nämlich grundsätzlich als<br />
ein Angriffsverbot, als ein Aggressionsverbot, es bezieht sich auf die egoistischen oder die Ich-<br />
Bedürfnisse, während die Neurose sexuelles Verlangen hemmt, mit einem Überwiegen<br />
sexueller Erregung kämpft. Das Tabu richtet sich an ein ausgereiftes Ich, die Neurose repräsentiert<br />
dagegen infantile Regressionen. "Beim Tabu hat die verbotene Berührung offenbar<br />
nicht nur sexuelle Bedeutung, sondern vielmehr die allgemeine des Angreifens, der Bemächtigung,<br />
des Geltendmachens der eigenen Person." 172 Das Tabu kanalisiert die Ich- oder Aggresssionstriebe,<br />
so daß es hinter dem Ersatzobjekt des Totems das Subjekt zu suchen gilt, das<br />
von Aggressionen seitens der Totemgruppe bedroht erscheint. Dieses Subjekt wird als das gleiche<br />
Subjekt eingekreist, das für die Gewissensbildung verantwortlich ist, nämlich als diejenigen,<br />
welche das Tabu, d.h. die Ver- und Gebote, während der Erziehung durchsetzen. "Das<br />
Tabugewissen ist wahrscheinlich die älteste Form, in welcher uns das Phänomen des Gewissens<br />
entgegentritt." 173 Das Totem wird also als ein Objekt der Projektion vorgestellt, das jene<br />
Sozialisationsinstanz als Aggressionsobjekt ersetzt, welche die auf sie gerichteten aggressiven<br />
Gefühle auf sich zieht. Diese Funktion erfüllt aber das Tier als Vaterersatz paßgenau, wie das<br />
Beispiel der Tierphobien zeigte. "Wenn das Totemtier der Vater ist, dann fallen die beiden<br />
Hauptgebote des <strong>Totemismus</strong>, die beiden Tabuvorschriften, die seinen Kern ausmachen, den<br />
Totem nicht zu töten und kein Weib, das dem Totem angehört, sexuell zu gebrauchen,<br />
inhaltlich zusammen mit den beiden Verbrechen des Ödipus. " 174<br />
Nachdem der eigentliche Adressat der Aggressionen, den die Verkleidung des Totems versteckt,<br />
als Vater oder Sozialisationsinstanz kenntlich geworden ist, problematisiert Freud das<br />
Problem des <strong>Totemismus</strong> als eine kollektive Alternative individueller Sozialisation, d.h. als<br />
Beispiel für eine kollektive Regulierung des Ödipuskonflikts, denn die Ursache der Furcht vor<br />
dem Vater, die auf das Tier verschoben und in dieser verstellten Weise objektiviert wird, sucht<br />
die Psychoanalyse nach ihrer klinischen Erfahrung grundsätzlich in dem Konflikt, den sie Ödipuskonflikt<br />
nennt. Freud stellt heraus, "daß das totemistische System sich aus den Bedingungen<br />
des Ödipuskomplexes ergeben hat wie die Tierphobien des >kleinen Hans< und die<br />
Geflügelperversionen des >kleinen Arpad