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Totemismus Illusion - Horst Südkamp - Kulturhistorische Studien

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Status einer sozialen Körperschaft aufgeben können. Halten sie ihn aber aufrecht, dann decken<br />

sich beide Funktionen: die Reflexion ritueller Arbeitsteilung und die der organischen Solidarität<br />

der Gesellschaft.<br />

Wenn man den <strong>Totemismus</strong> auf die Funktion der Ausarbeitung einer sozialen Klassifizierung<br />

reduziert, dann versäumt man den Nachweis der hinreichenden Gründe seiner Erscheinung und<br />

dann sieht man sich auch gezwungen, den Gebrauch der Tier- und Pflanzennamen in diesen<br />

Beispielen der Wildbeuterkultur totemistisch zu nennen, weil auch sie unstreitig soziale Differenzierungen<br />

und Normen in Begriffen natürlicher Arten reflektieren. Vom <strong>Totemismus</strong> ausschließen<br />

kann man sie nur dann, wenn man die Institution des <strong>Totemismus</strong> speziell durch die<br />

Abbildungsbeziehungen, welche autonome soziale Gruppen mit natürlichen Arten bezeichnen,<br />

bestimmt, deren soziale oder politische Beziehungen aber unabhängig von den totemistischen<br />

Inhalten funktionieren, derer sich die sozialen Gruppen zu ihrer gegenseitigen Abgrenzung<br />

bedienen. Die Ausgangssituation wäre also: ein Weltbild, dargestellt in natürlichen Kategorien<br />

und eine soziale Ordnung mechanischer Solidarität, reflektiert in Kategorien der<br />

Verwandtschaft. Treten die Gruppen mechanischer Solidarität mit anderen Gruppen äquivalenter<br />

sozialer Ordnung in ein ständiges Austauschverhältnis, das seinerseits eine soziale<br />

Institution nun aber organischer Solidarität wird, dann verlangen die sozialen Beziehungen<br />

dieses neuen Verhältnisses (organischer Solidarität) nach festen Begriffen oder Namen, die<br />

man nur aus dem Repertoire der noch nicht als soziale Kategorien besetzten Begriffe der<br />

gemeinsamen Weltanschauung nehmen kann. Reflektieren diese Gesellschaften ihre Welt in<br />

natürlichen Kategorien, dann werden die Metaphern für das neu zu benennende soziale<br />

Verhältnis billigerweise aus dem vorhandenen Repertoire der natürlichen Kategorien genommen,<br />

so daß der Schein jener Institution entsteht, welcher man den Namen <strong>Totemismus</strong><br />

gegeben hat. Mit Radcliffe-Brown: Wildbeuter-Lokalgruppen, die ihre Welt in natürlichen<br />

Kategorien reflektieren, reflektieren neue soziale Institutionen wie z.B. ihren Zusammenschluß<br />

zu festen Verbänden der Heiratsallianz in dem Kategoriensystem ihrer Weltanschauung, d.h.<br />

sie bezeichnen die neu entstandenen Beziehungen und Gruppen organischer Solidarität mit<br />

natürlichen Kategorien. Die Reflexion der organischen Solidarität ihrer neu entstandenen<br />

Deszendenzgruppen in natürlichen Kategorien bringt also das hervor, was man sich angewöhnt<br />

hat, <strong>Totemismus</strong> zu nennen. Das soziale Stadium der Gesellschaften der Eskimo, Andamanen,<br />

Pygmäen oder Menri hat aber eben diesen Schritt zu einer durch Heiratsallianz<br />

institutionalisierten Gesellschaft organisch-solidarischer Abstammungsgruppen noch nicht<br />

vollzogen, weshalb man ihre Reflexionen sozialer Beziehungen in natürlichen Kategorien vom<br />

<strong>Totemismus</strong> mit Baumann als protototemistisch abgrenzen kann.<br />

Die Reflexion ergänzender interner sozialer Differenzierung von Wildbeutergruppen erfolgt,<br />

wie die oben zitierten Beispiele zeigen, im System natürlicher Kategorien und hebt die auf<br />

diese Weise reflektierten Gruppen und Beziehungen von den Gruppenzuschreibungen in die<br />

elementaren Familien- und Lokalgruppen über Verwandtschaftsnamen ab. Diese Erweiterung<br />

sozialer Beziehungen und ihre Option zusätzlicher Gruppen findet bei den oben erwähnten<br />

Stämmen noch keinen organisatorischen Abschluß, reflektiert die zentrifugalen Tendenzen<br />

innerhalb der Horden, die erst als organisiertes Verhältnis autonomer Gruppen, als Verhältnis<br />

ihrer gegenseitigen politischen Beziehungen oder Allianzoptionen aufgefangen werden in der<br />

zentripetalen Zuordnung der Teile zu einem solidarischen Ganzen, das sich als dieses Ganze<br />

ergänzender Solidarität, dessen Vorstellung als Kosmos bereits gegenwärtig ist, von allen<br />

anderen Beziehungen und Ordnungen unterscheiden und, sofern in natürlichen Kategorien<br />

reflektiert, auch mit Radcliffe-Brown als <strong>Totemismus</strong> begreifen läßt. Der Gebrauch natürlicher<br />

Kategorien zu diesem Zweck erfüllt eine integrative, ergänzende Funktion, reflektiert, was<br />

Durkheim organische Solidarität nannte, nämlich die Integration der sich selbst als Verwandtschaft<br />

identifizierenden Gruppen mit Fremden zu einem Allianzverband, die deshalb in anderen<br />

Kategorien als denen der Verwandtschaft oder Abstammung abgebildet werden muß, weil er<br />

auch eine andere Form der sozialen Organisation repräsentiert als die Organisation der<br />

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