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Totemismus Illusion - Horst Südkamp - Kulturhistorische Studien

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gegen konnte man zahllose Rinder, Katzen, Widder, Krokodile im Lande finden." 36 Diese<br />

Einen waren die Reichs- oder Gaugötter, welche in den Tierexemplaren der Gautempel in Erscheinung<br />

(Epiphanie) traten, und die Tiere ihrer Spezies (als Exemplare der Hauskulte) aller<br />

Wahrscheinlichkeit nach eben die Totemtiere der autochtonen Stämme vor der Reichsintegration.<br />

Jedenfalls sehen wir auch hier die zweite und die vierte Alternative der semantischen<br />

Operationen wie in Polynesien gleichzeitig im Gebrauch.<br />

Das Verhältnis des Gott-Tiers zu den anderen Vertretern seiner Spezies erinnert darüberhinaus<br />

sehr stark an das der Tierherrn oder Tiergeister zu den Exemplaren, die ihnen unterstellt sind,<br />

denn Wiedemann erklärt: "Das Verhältnis zwischen den Gott-Tieren und den heiligen Tieren<br />

malte man sich... in der Art einer Monarchie aus. Das Gott-Tier war der König seiner Gattung,<br />

für die es sorgte, die es schützte und für die es im Ermordungsfalle die Blutrache zu übernehmen<br />

verpflichtet war. Diese Vendetta wurde entweder von ihm selbst in die Hand genommen<br />

und an dem Menschen vollzogen, oder sie fiel seinen Untertanen, den Geschlechtsgenossen des<br />

erschlagenen Tieres zu." 37 In dieser Relation des Tempeltieres als Tierherrn zu den anderen<br />

Vertretern seiner Spezies erscheint auch eine Pflicht-Beziehung der Lokalbevölkerung zum<br />

Tierherrn, die mit der Funktion des großen Gottes, dessen Seele im Tierleibe erscheint, nur<br />

äußerlich zur Übereinstimmung gebracht werden konnte. Ihre Koexistenz erklärt Wiedemann<br />

historisch: "Die älteste Bevölkerungsschicht des Niltales huldigte dem Tierkulte. In kleinen<br />

Kapellen, in Ortschaften und Häusern wurden im Beginne der... Nagadazeit Tiere gehegt und<br />

angebetet. In dem jeweiligen Hauptorte der verschiedenen Kleinreiche, in welche damals noch<br />

das Niltal zerfiel und welche im großen und ganzen den späteren Gauen entsprachen, hauste im<br />

Tempel das Obertier der Gegend, ein Stier, ein Krokodil, eine Katze, ein Falke und derartige<br />

Geschöpfe mehr. Im Verlaufe der genannten Periode drang von Osten her ein Eroberervolk in<br />

das Niltal ein, welches höher entwickelte und geistiger gedachte Götter mit sich brachte. Diese<br />

menschenähnlichen Gestalten, welche meist in den himmlischen Höhen weilten..., suchte man<br />

mit den alteingesessenen Tiergöttern zu verschmelzen. Man erklärte jetzt ganz schematisch das<br />

Gautier für die Verkörperung desjenigen Gottes, welchen der Stamm der Eroberer, der den<br />

Gau besetzte, am höchsten verehrte." 38<br />

Die Form des <strong>Totemismus</strong>, welche mit Wiedemann das Eroberervolk angetroffen hat, läßt sich<br />

vielleicht noch bei den präkolonialen Grussi, Mossi oder Kpelle greifen, deren Kult-Teiche<br />

oder Kult-Sümpfe, in denen die Häuptlingsclans, aber auch die anderen totemistischen Clans<br />

dieser Völker die Alter-Ego-Exemplare der Spezies ihrer Totemtiere pflegten, den ägyptischen<br />

Tierkultanlagen so erstaunlich ähnlich sind. Diese Plätze fungieren als Totemzentren, von<br />

denen aus die Tierherren oder Tiergeister über die Exemplare ihrer Art und deren Verhältnis zu<br />

den menschlichen Gruppen wachen. Wechselt die Herrschaft, dann läßt sie sich leicht<br />

legitimieren durch die Assoziation des neuen Herrn mit dem Exemplar, in dem der Tierrherr<br />

der Art erscheint, was die damit verbundene Verehrung durch die Untertanen und ihre<br />

Organisation sicherstellt.<br />

Hornung weist daraufhin: "Die ältesten Könige des geeinten Ägyptens tragen noch Tiernamen:<br />

Skorpion, Wels, Weihe (?), Kobra, >Schwingenspreizer< (d.h. wohl Raubvogel)." 39 Und<br />

Scharff betont unter Berufung auf Junkers, "daß die Tierkopfgötter zum nordafrikanisch-hamitischen,<br />

die rein menschenförmig dargestellten Götter zum altwestsemitischen Kreise gehören."<br />

40 Stellt man die soziale Funktion des <strong>Totemismus</strong> als Schnittstelle der Integration verschiedener<br />

Lokal-, Abstammungs- oder Stammesgruppen in Rechnung, dann erweist sich seine<br />

Einrichtung als willkommenes Instrument der Integrationspolitik der Eroberer, die sich des im<br />

eroberten Volk tradierten religiös konzipierten Herrschaftssystems weiter bedienen.<br />

36 A.Wiedemann, Der Tierkult der alten Ägypter, ibid, S. 22-3<br />

37 A.Wiedemann, Der Tierkult der alten Ägypter, ibid, S.25<br />

38 A.Wiedemann, Der Tierkult der alten Ägypter, ibid, S.27-8<br />

39 E.Hornung, Der Eine und die Vielen, ibid, S.96<br />

40 A.Scharff, ibid, S.19<br />

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