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Totemismus Illusion - Horst Südkamp - Kulturhistorische Studien

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umgekehrt das axiomatisch konstruktive Denken als eine Option des Wilden, so bleibt doch die<br />

kulturgeschichtliche Signatur oder das kulturgeschichtliche Merkmal des Denkens, daß es<br />

nämlich zu bestimmten Zeiten oder in bestimmten Epochen von dem Gebrauch natürlicher Kategorien<br />

beherrscht wird und deshalb für die Zivilisation nicht gleichermaßen stilbestimmend ist<br />

wie für das goldene Zeitalter natursichtigen Daseins, dem sich die Gegenwart mühsam wieder<br />

auf dem Umweg des ökologischen Denkens annähert.<br />

Nachdem auf die grundsätzliche Möglichkeit konkreter Wissenschaften hingewiesen worden<br />

ist, bleibt es aber auch weiterhin nicht nur legitim, sondern auch notwendig, die Kulturen<br />

danach zu unterscheiden, welche Formen des Denkens und des Wissens in ihnen vorherrschen,<br />

um sie durch die Formen, die sie beherrschen, unterscheiden zu können, bleibt es also weiterhin<br />

erforderlich, die Manifestationen des Geistes, nach ihren Formen, die sie leiten, zu<br />

unterscheiden, denn auch die Kultur ist dem Begriff nach eine Form der Manifestation des Geistes.<br />

Der Hinweis auf die Voreingenommenheit des Geistes für die natürlichen Kategorien und<br />

ihren kulturgeschichtlichen Schwerpunkt in der Wildbeuterkultur durch Radcliffe-Brown<br />

verdankt sich also nicht einer europäischen Voreingenommenheit gegenüber dem Wilden, denn<br />

er ist ein Hinweis auf ein dominantes Merkmal dieser Kultur, das Levi-Strauss selbst als<br />

"wildes Denken" beschrieben hat, genauso wenig wie die Hypothese, die den <strong>Totemismus</strong> als<br />

das Resultat der Vermählung dieser Voreingenommenheit mit der Clanorganisation darstellt,<br />

von dem das europäische Denken deshalb so fasziniert worden ist, weil es ihm eine Fülle der<br />

Ausdrucksmöglichkeiten offenbarte, derer es sich selbst nur noch in den Formen der Verdrängung<br />

oder der ästhetischen Institutionen der gegenwärtigen Gesellschaft zu bedienen<br />

wagte.<br />

Baumann hat in der bereits zitierten Schrift, die Kulturmerkmale jener Wildbeuterkultur,<br />

allerdings recht äußerlich und ohne innere Kohärenz zusammengestellt, der wir die Möglichkeit<br />

des <strong>Totemismus</strong> als sozialer Erscheinung, und nicht als soziologischem Schein oder soziologischer<br />

<strong>Illusion</strong>, verdanken: ein mehr oder minder entwickelter Hochgottglaube, der Herr oder<br />

die Frau der Tiere, Tierheroen oder Tiergeister, tiergestaltige Schutzgeister, Tierverwandlung,<br />

Alter-Ego- oder Buschseelen (Kingsley), Wiedergeburt der Seele in Tiergestalt, Tiervermehrungsriten,<br />

Jagdversöhnungsriten, Bestattung des toten Tieres oder wenigstens einiger<br />

Teile von ihm, Tierpantomime und Tiertanz und schließlich das Zusammengehörigkeitsgefühl<br />

von Mensch und Tier.<br />

In seiner bei Baumann allerdings äußerlichen Addition der Indizien stehen diese Merkmale des<br />

Protototemismus für das System der Weltanschauung, das C.G.von Brandenstein in Australien<br />

im Spektrum seiner Innenansicht herausgearbeitet hat und auf das, wenn auch weniger<br />

ausführlich und dafür mehr kursorisch und exemplarisch Radcliffe-Brown sich bezogen hat,<br />

weshalb man wohl den Schluß wagen darf, daß man sich in Baumanns Perspektive eben nur<br />

dessen Katalog des Protototemismus zu vergegenwärtigen braucht, um mit Radcliffe-Brown<br />

vom rituellen Verhältnis zur Natur zu sprechen, und um diesem Verhältnis jene konstitutive<br />

Rolle zuzuweisen, welche für den Schein des <strong>Totemismus</strong> in der Clanorganisation verantwortlich<br />

ist; denn solange dieses rituelle Verhältnis zur Natur sinnerfüllend und bindend ist,<br />

unterscheidet es sich nicht von dem Verhältnis, das die Wildbeuterkultur auszeichnet, was<br />

besonders der <strong>Totemismus</strong> in Australien demonstriert. Aber in dem Moment, in dem nur noch<br />

seine Nomenklatur zur ordnenden Differenzierung, d.h. rein säkular, gebraucht wird, erscheint<br />

sie des Kontextes entledigt, der sie einst hervorgebracht hat, kann dieses rituelle Verhältnis zur<br />

Natur auch keine Rolle mehr spielen; denn durch die Säkularisierung der Nomenklatur ist auch<br />

die Verbindung entgültig abgerissen, die jenem Verhältnis ursprünglich den Schein des <strong>Totemismus</strong><br />

verliehen hat. So bleibt der Hinweis auf den generally recognized and undeniable fact<br />

that the basic part of the content of a totemic complex comprises, in the majority of instances,<br />

certain attitudes toward nature," 161 ein Hinweis auf ein Transformationsgeschehen oder<br />

161 A.A.Goldenweiser, Form and Content in Totemism, ibid, S.294<br />

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