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Totemismus Illusion - Horst Südkamp - Kulturhistorische Studien

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funktional bestimmt werden, beschreibt er das dritte nur durch ein Ereignis und seine Folgen,<br />

so daß Levi-Strauss später nicht nur diese überraschende Wendung im Gebrauch der Bestimmung<br />

einer Erscheinung als methodisch inkonsequent kritisiert, sondern darin vor allem ein<br />

Versagen des Ethnologen erkennen will, der seiner selbst fingierten Fiktion erliegt.<br />

Um diesem Vorwurf der Phantasterei zu begegnen, um klarzustellen, daß es sich hinsichtlich<br />

dieser Sysnthese um eine genuine Erscheinung handelt, hat Baumann vom Protototemismus der<br />

Jägerkultur gesprochen, der sich zwar in der Verbindung mit der Clanorganisation in den<br />

<strong>Totemismus</strong> transformiert, von dieser Gesellschaftsordnung aber in dem Maße wieder aufgegeben<br />

wird, in dem die politische Dimension ihrer sozialen Differenzierung in den Vordergrund<br />

tritt. "Je weiter der Gruppentotemismus von seinem Ausgangspunkt absteht, desto stärker treten<br />

seine sozialen Elemente hervor und bringen die religiösen und mythischen Sinngehalte, wie<br />

sie im Prototemismus noch rein in Erscheinung treten, zum Erstarren oder gar zum Auslöschen."<br />

158 Damit stellt zwar auch Baumann den <strong>Totemismus</strong> als den Schein einer Institution<br />

dar, denn das, was ihn auszeichnet in der Clangesellschaft, gehört zum Protototemismus und<br />

das, was die Clansgesellschaft auszeichnet, ihre segmentäre Ordnung, verliert den Sinn dieser<br />

Erbschaft mit dem Moment, in dem die soziale Organisation, in dem die Allianz der Abstammungsgruppen,<br />

in dem ihre Austauschbeziehungen selbst Gegenstand der politischen<br />

Gestaltung mit eigener sozialer oder politischer Terminologie werden und damit die einst religiöse<br />

Konnotation der Symbole oder Kategorien in die soziale und politische Konnotation<br />

übergeht. Der Schein, auf den Baumann hinweist, wird von ihm wie vorher von Radcliffe-<br />

Bown mit der Übertragung protototemistischer Kategorien auf eine soziale Ordnung, in derem<br />

Gebrauch sie totemistisch werden, als notwendige Konsequenz der speziellen<br />

Ausgangssituation, unter der diese soziale Ordnung ins Leben tritt, begriffen.<br />

Während man die Positionen hinsichtlich des <strong>Totemismus</strong>, die Goldenweiser, Radcliffe-Brown,<br />

Haekel und Baumann einnehmen, in seiner Charakterisierung als Schein, der situations- oder<br />

epochalbedingt notwendig ist, zusammenfassen kann, unterstellt Levi-Strauss, daß dieser<br />

Schein nichts weiter als eine Täuschung der Ethnologen, daß er das Produkt ihrer ideologischen<br />

Einstellung gegenüber dem "Wilden" sei, indem er konsequenter als Radcliffe-Brown<br />

selbst die Konjektur zurückweist, mit der jene genannten Autoren den <strong>Totemismus</strong> aus zwei<br />

anderen Systemen hervorgehen lassen.<br />

Baumann wiederholt wie Radcliffe-Brown ein Argument von Goldenweiser, der festgestellt<br />

hatte, "that totemism, or any particular totemic complex, represented a specific sozialization<br />

of certain religious attitudes," 159 welche mit dem wachsenden säkularen Gebrauch, ihrer Umwidmung<br />

in eine Methode sozialer Integration und Differenzierung zugleich auch einen Prozeß<br />

der Säkularisierung durchmachen und schließlich ihre religiöse Bedeutung ganz verlieren,<br />

weshalb Goldenweiser dann allgemeiner die Sozialisation in Korrelation mit der jeweils vorherrschenden<br />

Form der Sozialisierung, will sagen Vergesellschaftung oder Institutionalisierung<br />

begriff, und deshalb auch von der Sozialisation emotioneller Werte (durch Ritualisierung<br />

emotional aufgeladene Objekte und Verhaltensmuster) sprach, um mit jener Definition auch der<br />

Bedingung dieses Sakularisierungseffekts gerecht werden zu können.<br />

Die Klassifizierung der sozialen Gruppen nach natürlichen Arten ist auch in der Darstellung<br />

Baumanns quasi einem Prozeß der Säkularisierung erlegen: was einst mythologische oder<br />

religöse Gründe besaß, was religösen oder rituellen Zwecken genügte, hat sich dieser Form der<br />

Legitimation entledigt, weil das Instrumentarium, das System der Klassifizierung oder<br />

Bezeichnung anderen, profanen Zwecken dienlich gemacht worden ist, nämlich der Funktionsanzeige<br />

einer spezifischen Form der Integration sozialer Differenzierung. Dieser Zustand<br />

tritt solange nicht ein, wie eine Kosmologie gültig bleibt, in der die Sozialordnung als eine<br />

mögliche Spiegelung des Makrokosmos vorgestellt und in diesem Sinne gehandelt wird.<br />

158 H.Baumann, Afrikanische Wild- und Buschgeister, Zeitschrift f. Ethnologie, 1938, S.209<br />

159 A.A.Goldenweiser, Form and Content in Totemism, ibid, S.281<br />

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