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Totemismus Illusion - Horst Südkamp - Kulturhistorische Studien

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einfachen Lokalgruppensolidarität. Im <strong>Totemismus</strong> wird das Verhältnis zum Fremden zunächst<br />

ritualisiert und so die offene Aggressivität gezügelt, schließlich wird der Feind und Fremde in<br />

der Organisation organischer Solidarität zum potentiellen Allianzpartner, als politischer Vertragspartner<br />

neutralisiert und als Mitglied der Gesellschaft eine selbstverständiche Erscheinung.<br />

Was liegt da näher als auf die tradierte Projektion des Fremden in der Gestalt oder Form<br />

nichtmenschlichen Seins zurückzugreifen, mit der man die eigene Identität gewahrt hat. Indem<br />

man sich in die Position des anderen versetzt (d.h. also die Bereitschaft zur Identifizierung mit<br />

ihm signalisiert, und dessen Projektion in gleicher Weise akzeptiert, wie man dies von ihm erwartet,<br />

nämlich daß er sich mit der zugemuteten Projektion identifiziert), hebt man mit der<br />

Aufhebung der Grenze zwischen sich und den anderen auch die pejorativen und negativen<br />

Konnotationen auf und verwandelt sie in jene positive Bedeutung, welche die soziale Beziehung<br />

exogamer Gruppen, endogamer Kreise oder Connubien und politischer Verbände<br />

darstellt. Die Option dazu bestand bereits in den Modellen des Kosmos, den man sich als<br />

schöne Ordnung alles Seienden vorstellte, das einander gegenseitig verschuldet ist und deshalb<br />

auch einander Buße zahlen muß zur rechten Zeit. Der Mangel des eigenen Seins sucht sich<br />

vergeblich mit dem Haben des Anderen zu vollenden, muß er doch feststellen, daß er mit der<br />

Gabe des Anderen nur Schulden und Pflichten gewinnt, deren Abtrag den eigenen Mangel<br />

aufrechterhält. Der Vergeltung kann nichts entkommen. So bleibt auch die einstige negative<br />

Konnotation des Anderen als Fremdem gegenwärtig, sie wird einmal um die Dimension der politischen<br />

Ausdehung verschoben, und zwar auf die anderen jenseits des endogamen Kreises und<br />

dann auch weiter festgehalten im Dienste interner Rang- und Statusunterscheidung, zur Aufoder<br />

Abwertung der Geber gegenüber den Nehmern (oder umgekehrt), die in jenen<br />

Grundsätzen, die dem Ethnographen als stehende Redewendungen überall auf der Welt begegnen:<br />

"Wir heiraten jene, weil sie unsere Feinde sind," ihren sprachlichen Ausdruck finden.<br />

Aus der Sicht der eigenen Abstammungsgruppe erscheinen die anderen, die Frauengeber stets<br />

als die weniger Guten, als die Unterlegenen, Minderbegabten (oder umgekehrt), solange<br />

wenigstens, bis aus Schwiegerverwandten echte Verwandte geworden sind.<br />

Goldenweiser spricht deshalb von einer "association of historically disperate features into a<br />

complex", 151 die als <strong>Totemismus</strong> die Funktion einer "specific form of socialization" (ibid) erfüllt,<br />

und faßt so die "association of the totemic content with a clan system" 152 als ein Phänomen<br />

der Konvergenz zusammen, welche erst die Institution des <strong>Totemismus</strong> erzeugt.<br />

Ein System natürlicher Kategorien, das diesem Zweck dienlich ist, muß also unabhängig von<br />

der sozialen Ordnung, die es bezeichnen soll, schon bestehen, damit es sich auch dafür seiner<br />

bedienen kann. Der Gebrauch natürlicher Kategorien zur sozialen Unterscheidung setzt die<br />

Gegebenheit eines allgemeinen Systems natürlicher Kategorien voraus, auf den dann das Verlangen<br />

nach der Abbildung der Funktionen sozialer Gruppen zurückgreifen kann. Die Reflexion<br />

sozialer Veränderungen oder neuer Institutionen und der Einübung in ihren Gebrauch in den<br />

Kategorien des überkommenen Weltbildes ist durchaus das Naheliegende, denn das eine ist das<br />

Tradierte und das andere jene Innovation, welche zunächst in nichts anderem als in den<br />

kuranten Kategorien reflektiert werden kann. Auf diese Bedingung hat speziell Boas<br />

hingewiesen, als er den <strong>Totemismus</strong> als "association between certain types of ethnic activities<br />

and kinship groups (in the widest sense of the term), in other cases also a similar association<br />

with groups embracing members of the same generation or locality" 153 zu bestimmen<br />

versuchte. Auch Boas wies daraufhin, daß man nicht alle totemischen Erscheinungen von<br />

derselben psychologischen oder historischen Quelle ableiten könne. Seine nähere Bestimmung<br />

des Typus der Aktivitäten und Verwandtschaftsgruppen, die sich durch sie kennzeichnen<br />

lassen, stimmt mit jener Bedingung überein, die Goldenweiser aufgestellt hat, nämlich der<br />

151 A.A.Goldenweiser, Form and Content in Totemism, American Anthropologist, 20, 1918, S.284<br />

152 A.A.Goldenweiser, Form and Content in Totemism, ibid, S.287<br />

153 F.Boas, The Origin of Totemism, ibid, S.323<br />

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