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Totemismus Illusion - Horst Südkamp - Kulturhistorische Studien

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die Hoheit eines Neger-Häuptlings ist. Das Clan-Totem drückt demnach ein Herrschaftsverhältnis<br />

aus und die Zuschreibung der Bambuti unter die verschiedenen Hörigkeiten, es erfüllt<br />

also eine herrschaftspolitische und deshalb auch eine gesellschaftliche Funktion (beschreibt eine<br />

besondere Form der organischen Solidarität, die zugleich Stausschranken aufrechterhält).<br />

Da die Hörigkeit in letzter Instanz auf Gewalt zurückgeht und verschiedene Bantuclans oder<br />

Häuptlingsschaften hinsichtlich der Assoziation von Pygmäen konkurrieren, versuchen die<br />

einzelnen Bantu-Clans ihr Verhältnis zu den Pygmäen neben dem für die Bantuherrschaft typischen<br />

politischen Einsatz der Großzügigkeit auch rituell zu festigen, indem sie gemeinsame Beschneidungen<br />

organisieren und damit persönliche Bantu-Bambuti-Bindungen herstellen, die bei<br />

den Balese "Kare" genannt werden.<br />

"Jedem Negerknaben wird ein Pygmäe zur Seite gegeben, beide werden zugleich beschnitten,<br />

zuerst der Neger, dann der Pygmäe... Von da an nennen sich beide >Kare< und bleiben unzertrennlich<br />

miteinander bis zum Tode verbunden... Jeder Pygmäe hat seinen Lese-Kare und<br />

der jeder Lese einen Pygmäen-Kare, die hl. Verpflichtungen gegeneinander eingehen." 141<br />

Der politische Zweck dieser Veranstaltung ist offensichtlich, nämlich die rituelle Stiftung eines<br />

Herr-Knecht-Verhältnisses, und die Tatsache, daß der Totemclan sich genau mit diesem<br />

Personenkreis, d.h. den Bambuti-Kare eines bestimmten Neger-Clans, deckt, spricht auch für<br />

die folgende Überlegung von Schebesta: "Möglicherweise schlossen sich die Sippen, die mit einem<br />

bestimmten Neger-Clan zusammenlebten, dadurch zu einem Pygmäen-Clan zusammen,<br />

daß sie das Totem der Neger übernahmen oder sich ein neues wählten." 142<br />

Für diese Vermutung scheint besonders die rituelle Versicherung der Pygmäengefolgschaft zu<br />

sprechen, da mit der Teilnahme an der Beschneidung auch eine Übernahme der Weltanschauung<br />

verbunden ist, die auf diesem Wege Eingang in die Pygmäenkultur gefunden haben<br />

könnte. Der Rückgriff auf rituelle Mittel erscheint schon deshalb geboten, weil sich der<br />

Bambuti dem Neger entsprechend seiner schweifenden Lebensweise leicht entziehen kann.<br />

Kommt er auch auf diesem Wege nicht mehr aus seinem Hörigkeitsverhältnis heraus, so kann<br />

er doch die interessierten Bantu-Clans gegeneinander auspielen und deren Streit zu seinen<br />

Gunsten nutzen. So bleibt also den Negern nur die Möglichkeit einerseits sich untereinander zu<br />

verständigen, was über die Stammesgrenzen hinaus aber schwer möglich ist, andererseits einen<br />

Zustand friedlicher und hierarchischer Koexistenz zu garantieren und rituell abzusichern.<br />

Diese Hypothese von Schebesta, welche er selbst später zurückgenommen hat, wird aber auch<br />

gestützt durch die Tatsache, daß die Totems der Kivu-Pygmäen mit denen ihrer Bantu-Nachbarn<br />

übereinstimmen und im Falle der Bachwa sogar die Herkunft der Bachwa (Batwa)-Totems<br />

mit Schebesta ziemlich sicher auf die Nkundu zurückgeführt werden kann. 143<br />

Der soziologische Grund, der für Schebestas Vermutung spricht, erscheint in dem Widerspruch<br />

zwischen der allianz-mobilen Sippenautonomie, der Verknüpfung der obligatorischen<br />

Exogamie nur mit ihr und der Clanorganisation, welche die traditionell gewohnte Freizügigkeit<br />

der Bambuti erheblich beeinträchtigt und mit der Praxis und den durch sie gewährten<br />

Vorzügen der Tauschheirat unvereinbar ist; denn die Tauschheirat ist die adäquate Form der<br />

Allianzbildung autonomer exogamer Lokalgruppen. Wenn der Clantotemismus bei den<br />

Pygmäen alt gewesen wäre, hätte man anstelle der exogamen Lokalgruppen unilineare exogame<br />

Lineagegruppen unter der Bedingung der konstatierten Clanendogamie vorfinden müssen,<br />

wovon aber bei keinem der Pygmäenstämme die Rede sein kann.<br />

So erscheinen sowohl der <strong>Totemismus</strong> als auch die Clanorganisation als Fremdkörper der<br />

Bambutikultur, welche ihre soziale Organisation bislang nur oberflächlich modifiziert haben<br />

und ihre Funktion ausschließlich in der Abbildung der politischen Zwangsbeziehungen der<br />

Bambuti zu den Negern erfüllen.<br />

141 P.Schebesta, Der Urwald ruft wieder, ibid, S.70<br />

142 P.Schebesta, der Urwald ruft wieder, ibid, S.110<br />

143 Siehe: P.Schebesta, Vollblutneger und Halbzwerge, Salzburg, leipzig 1934, S.215<br />

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