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Totemismus Illusion - Horst Südkamp - Kulturhistorische Studien

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Inzesthemmung erscheint hier also als Aggressionshemmung. Der verinnerlichte Verzicht auf<br />

die Frauen der eigenen Gruppe korrespondiert mit der Aggressionshemmung in der eigenen<br />

Gruppe. Für dieses Ergebnis des bewältigten Ödipuskomplexes sucht Freud im <strong>Totemismus</strong>,<br />

der für ihn in erster Linie als Totemtötungsverbot und Totemexogamie erscheint, die sozialen<br />

und religiösen Institutionen einer bestimmten kulturgeschichtlichen Epoche der Menschheit,<br />

welche die Bewältigung des Ödipuskomplexes in dieser Epoche auf diese Weise institutionell<br />

stabilisiert haben.<br />

Weil vor allem die ethnologische Rezeption dieses Buchs von Freud das kulturhistorische<br />

Gedankenspiel, d.h. seinen Versuch einer historischen Konjektur, als Kernstück seiner Theorie<br />

ausgibt, soll hier daran erinnert werden, daß Freud selbst ihn nur als ein Gedankenexperiment<br />

bezeichnet hat, auf das seine psychoanalytische Deutung des <strong>Totemismus</strong> sehr wohl verzichten<br />

kann. Aus psychoanalytischer Sicht nämlich "könnten die bloßen Impulse von Feindseligkeit<br />

gegen den Vater, die Existenz der Wunschphantasie, ihn zu töten und zu verzehren, hingereicht<br />

haben, um jene moralische Reaktion zu erzeugen, die <strong>Totemismus</strong> und Tabu geschaffen hat.<br />

Man würde so der Notwendigkeit entgehen, den Beginn unseres kulturellen Besitzes, auf den<br />

wir mit Recht stolz sind, auf ein gräßliches, alle Gefühle verletzendes Verbrechen zurückzuführen.<br />

Die kausale, von jenem Anfang bis in unsere Gegenwart reichende Verknüpfung<br />

litte dabei keinen Schaden, denn die psychische Realität wäre bedeutsam genug, um alle diese<br />

Folgen zu tragen." 176 Dieser Hinweis wird von der ethnologischen Rezension Freuds grundsätzlich<br />

unterschlagen, offensichtlich deshalb, weil er die Bemühungen um die Widerlegung<br />

seines konjekturellen Gedankenexperiments als Schattenboxen auswiese, denn Freuds Theorie<br />

wird in dem Buch "Totem und Tabu" erst da angreifbar, wo er seinen ethnologischen Gewährsleuten<br />

folgt und deren Informationen als Variablen seiner psychologischen Gleichungen<br />

benutzt. Die ethnologische Kritik übersieht also, daß sie nicht die psychoanalytische Theorie<br />

trifft, sondern nur die Hypothesen ihrer eigenen Zunft, nämlich ihre Aussagen darüber, was den<br />

<strong>Totemismus</strong> ausmacht: Pflanzen oder Tier-Verehrung, Tötungs- und Speisetabu, Abstammung<br />

von Tier oder Pflanze, Exogamie der Totemgruppe, symbolischer oder emblematischer<br />

Charakter der natürlichen Erscheinung, welche den Gruppennamen liefert, unilineare Deszendenz<br />

von Pflanze oder Tier usw.<br />

Selbst der Versuch seiner Konjektur wurde durch die typischen Modellvorstellungen über die<br />

Entwicklung des Menschen, welche die zeitgenössische Ethnologie und Anthropologie anboten,<br />

inspiriert.<br />

Da für Freud der Ödipuskonflikt das psychologische Kardinalproblem der menschlichen<br />

Entwicklung und Vergesellschaftung darstellt, versucht er eine Konjektur, indem er das<br />

Ödipustheorem mit zwei weiteren Theorien, der Theorie über die Urhorde von Darwin und<br />

Atkinson und der Theorie über das Totemmahl von Robertson- Smith, in Beziehung setzt.<br />

"Allein, wenn man die von der Psychoanalyse gegebene Übersetzung des Totem mit der<br />

Tatsache der Totemmahlzeit und der Darwinschen Hypothese über den Urzustand der<br />

menschlichen Gesellschaft zusammenhält, ergibt sich die Möglichkeit eines tieferen Verständnisses,<br />

der Ausblick auf eine Hypothese, die phantastisch erscheinen mag, aber den Vorteil<br />

bietet, eine unvermutete Einheit zwischen bisher gesonderten Reihen von Phänomenen<br />

herzustellen." 177<br />

Die ersten Ansätze einer Inzestschranke konstatierte er mit Darwin: "Darwin schloß aus den<br />

Lebensgewohnheiten der höheren Affen, daß auch der Mensch ursprünglich in kleineren<br />

Horden gelebt habe, innerhalb welcher die Eifersucht des ältesten und stärksten Männchens die<br />

sexuelle Promiskuität verhinderte." 178 Diese durch Eifersucht bedingte Vertreibung der anderen<br />

Männchen aus der Horde wird von ihm unter Berufung auf Atkinson als Vorstufe der<br />

176 S.Freud, Totem und Tabu, Frankfurt 1981, S.162<br />

177 S.Freud, Totem und Tabu, Frankfurt 1981, S.145<br />

178 S.Freud, Totem und Tabu, Frankfurt 1981, S.130<br />

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