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Totemismus Illusion - Horst Südkamp - Kulturhistorische Studien

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Rückblick<br />

Wo die Umwelt in den Kategorien der Natur gedacht wird, wird auch das Andere und das<br />

Fremde in diesen Kategorien gedacht.<br />

Wo nur die eigenen Verwandten Menschen sind, da kann das Anderssein des Fremden nur in<br />

den Kategorien des nichtmenschlichen Seienden dargestellt und begriffen werden, der Fremde<br />

selbst als Bestandteil dieser Sphäre, innerhalb der er wiederum die größte Überraschung<br />

darstellt, nämlich den Hinweis auf den Gestaltenwandel des Nichtmenschlichen in das<br />

Menschliche, der durch Heirat, Blutsbrüderschaft oder Handelsfreundschaft die Integration des<br />

Fremden in die Menschheit ermöglicht oder die größte Bedrohung des Menschen darstellt,<br />

welche aus der zum Verwechseln ähnlichen Gestalt des Fremden hervorgeht, der sich die<br />

feindlichen Mächte dem Menschen gegenüber bedienen können. Der Fremde in menschlicher<br />

Gestalt kann, da er kein consanguiner oder affinaler Verwandter ist, nur eine Maske der Wesen<br />

oder Geister der Wildnis sein, deren Wesen sich durch ihre Verwandlungsgabe auszeichnen,<br />

und gehört deshalb zu den gefährlichsten Erscheinungen der Wildnis (der unkultivierten<br />

Natur).<br />

Die Neutralisierung dieses Gegensatzes, in dem der Fremde zur eigenen Gemeinschaft steht,<br />

erweist sich als die ureigenste Funktion des <strong>Totemismus</strong>, der einer auf die eigene Gemeinschaft<br />

fixierten Kultur die kalkulierbare Sphäre der Gesellschaft eröffnet, d.h. einen politischen Raum,<br />

in dem die sozialen Beziehungen entlastet werden vor der ständigen Wachsamkeit gegenüber<br />

unliebsamen Überraschungen, in dem der gegenseitige Verkehr durch entsprechende Regeln<br />

des Umgangs und der Statusabschätzung von der Expedition in die Wildnis zu unterscheiden<br />

ist.<br />

Der <strong>Totemismus</strong> reflektiert jene sozialen Beziehungen, die man zur Aufrechterhaltung der eigenen<br />

Gemeinschaft mit den Fremden eingehen muß, die Institutionalisierung der Beziehungen<br />

potentieller Allianz, Beziehungen der organischen Solidarität, oder kurz mit Tönnies: den<br />

Horizont der Gesellschaft, deren Funktion es ist, den Fremden oder Feind zu neutralisieren, in<br />

ihm einen potentiellen Verwandten oder Schwager zu erkennen. Der Fremde wird auf die<br />

gleiche Weise kultiviert wie die Natur und danach begrifflich erfaßt in den Kategorien dieses<br />

Verhältnisses.<br />

In dieser Weltanschauung bleibt der Fremde aber selbst als Schwiegerverwandter noch<br />

verdächtig, obwohl seine Transformation ins Menschliche durch Anheirat ausdrücklich dargestellt<br />

wird, weil er immer noch dem Anderssein näher steht als jeder eigene Abstammungsverwandte,<br />

denn Verträge können gekündigt oder gebrochen werden. Erst die Verortung in<br />

der eigenen Ahnenreihe assimiliert den Fremden dem Eigenen.<br />

Der Raum des nichtmenschlich Seienden, ganz speziell die Wildnis, ist der Raum, in dem sich<br />

alles segensreiche wie alles bedrohliche außermenschliche Wirken manifestiert, aus dem alle<br />

Überraschung, alle unbekannten Erscheinungen hervortreten und das geregelte Leben der<br />

Menschen bedrohen.<br />

Nur rituelle Vorbereitung, religiöse Einstellung und die genaue Befolgung der Gesetze<br />

erlauben das Eintreten in diesen "heilig unbetretbaren Raum" (Pindar) und alles, was aus diesem<br />

Raum in die Sphäre des menschlich gemeisterten, überschaubaren und geregelten Lebens<br />

hinübergetragen wird, kann nur im Gebrauch von Riten der Transformation zum Gegenstand<br />

der menschlichen Ordnung werden. Dies gilt besonders für den Fremden, dessen Aufnahme in<br />

die Welt der Menschen und dessen Verwandlung in einen Menschen von einer Reihe von Übergangsriten<br />

(rites de passage) begleitet wird, welche seinen neuen Status gewährleisten und<br />

versichern.<br />

Der <strong>Totemismus</strong> erscheint als eine Ausdehnung der Selbstreflexion des eigenen Menschseins in<br />

den Kategorien des Andersseins, mit denen ursprünglich allein der Fremde bedacht worden ist,<br />

als Selbstversicherung des Menschseins im Anderssein der Menschen, die sich in einer gemein-<br />

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