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Totemismus Illusion - Horst Südkamp - Kulturhistorische Studien

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Die Formen der Beziehung zwischen Mensch und Totemwesen unterscheiden sich je nachdem,<br />

ob das Totemwesen eine Pflanze oder ein Tier ist: "Die Totempflanze ist immer individuell:<br />

eine bestimmte Pflanze gehört einem Menschen an, wird für ihn gepflanzt. Nicht so bei Tieren:<br />

wer den Leoparden als Totem hat, verehrt alle Leoparden, ob er daneben noch seinen eigenen<br />

Leoparden kennt und besonders verehrt, weiß ich nicht; dagegen wird von dem Elephantenverehrer<br />

ausdrücklich gesagt, daß er >seinen< Elephanten aus der Herde erkennt." 288 Das<br />

Verhältnis zur Pflanze erscheint immer als ein Verhältnis der Person zu einem Exemplar, das<br />

Verhältnis zum Tier dagegen zunächst als Verhältnis zwischen einer Person und einer Gattung<br />

oder Art und in dieser Relation dann auch als Verhältnis einer Person zu einem bestimmten<br />

Exemplar dieser Art. Stellt man zusätzlich in Rechnung, daß das Kasen eines Kpelle regulär<br />

vererbt wird, dann erscheint das Verhältnis zum Tier oder zur Pflanze außerdem auch als ein<br />

Verhältnis zwischen einer Kpelle- Gruppe und einer Tier- oder Pflanzenart, welche den Vertretern<br />

der Gruppe die Alter-Ego-Exemplare liefern. Von dieser Tatsache her gesehen, erweist<br />

sich der Respekt vor der Art, aus der das eigene Kasen stammt, als Respekt vor der eigenen<br />

Patri- respektive Matri-Gruppe.<br />

Die Zuschreibung des Individualtotems erfolgt bei den Kpelle nach der parallelen Deszendezregel:<br />

"Das Tiertotem (wie auch das Tabu) vererbt sich vom Vater auf den Sohn und von der<br />

Mutter auf die Tochter," 289 während die Clanzugehörigkeit matrilinear gerechnet wird: "Die<br />

Kinder aus einer Ehe gehören nach alter Kpelle-Anschauung zu der Sippe der Mutter und nicht<br />

zu der des Vaters." 290 Das Eigentum wiederum erben die Kinder patrilinear. Das Schema<br />

nebenan faßt die Angaben kurz zusammen.<br />

Auch der Matri-Clan (Heirat: uxorilokal) ist bei den<br />

Am1 bn2 Bo3<br />

Bm1<br />

bm2<br />

A,B = Clans, Clantotemgruppen (matrilinear)<br />

m,n,o = Eigentum (patrilinear)<br />

1,2,3 = Individualtotems (parallele Filiation)<br />

A,B = Männer; a,b = Frauen<br />

Kpelle eine Totemgruppe: "Neben dem Totem der<br />

Kleinfamilie, d.h. dem von Vater auf Sohn und von<br />

Mutter auf Tochter sich vererbenden, gibt es noch ein<br />

Totem der ganzen Sippe. So haben die Fuana den<br />

Hund als ihr Sippentotem, und es scheint, daß dieses<br />

bei gewissen Feiern der Sippe genossen wird." 291 Andere<br />

Clans halten Fischteiche oder Krokodile in der<br />

Nachbarschaft ihrer Dörfer und von den Fischen und<br />

Krokodilen sprechen sie als ihren Ahnen oder<br />

Clantotemtieren.<br />

Die matrilineare Abstammungsrechnung und Clansegmentierung der Kpelle wird durchkreuzt<br />

von der patrilinearen Vererbung des Eigentums und der parallelen Zuschreibung des Individualtotems,<br />

welche die Söhne entgegen der Abstammungsgregel enger an die Väter bindet,<br />

von denen sie auch das Tabu, tea, erben, das seine Gemeinschaft als Patrisippe zusammenfaßt<br />

und damit speziell jene Beziehungen herausstellt, welche die Abstammungszuschreibung<br />

ignoriert, nach der der Mutterbruder die patria potestas über die Schwesterkinder besitzt.<br />

Auch bei den Kpelle erfüllt das Individualtotem die gleiche integrative Funktion wie in Australien,<br />

nämlich die der Assoziation verschiedener, hier matrilinearer Abstammungsgruppen.<br />

Diese Funktion des Individualtotems wird bei den Kpelle noch von der Tabuzuschreibung sekundiert,<br />

welche sich weder mit der Zuschrift des Individualtotems noch mit der des Clans<br />

deckt. Westermann hebt deutlich hervor, "daß das Tabu nicht mit dem Totem zusammenfällt:<br />

ein Mann hat z.B. den Leopard als Totemtier und die Streifenantilope als Tabu; entsprechend<br />

ist auch die Totemgemeinschaft durchaus verschieden von der Tabugemeinschaft. Die letztere<br />

fällt nach Meinung der Eingeborenen und zweifellos auch tatsächlich zusammen mit wirklicher<br />

gemeinsamer Abstammung: die Besitzer des gleichen Tabu sehen sich untereinander als<br />

288 D.Westermann, Die Kpelle, Göttingen, Leipzig 1921, S.218-9<br />

289 D.Westermann, Die Kpelle, Göttingen, Leipzig 1921, S.218<br />

290 D.Westermann, Die Kpelle, Göttingen, Leipzig 1921, S.55<br />

291 D.Westermann, Die Kpelle, Göttingen, Leipzig 1921, S.219<br />

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