Totemismus Illusion - Horst Südkamp - Kulturhistorische Studien
Totemismus Illusion - Horst Südkamp - Kulturhistorische Studien
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mehr oder minder abhängig von ihrer Erfüllung, um die äußerliche Erscheinung des <strong>Totemismus</strong><br />
hervorzubringen, weshalb die Formen des <strong>Totemismus</strong> mit dem Vorhandensein einer,<br />
zweier oder dreier zusätzlicher Funktionen, die neben der nominalen Funktion erfüllt werden<br />
müssen, zu korrespondieren scheinen. Den nichtnominalistischen Theorien reicht es aber nicht<br />
aus, festzustellen, daß Gruppen nach natürlichen Erscheinungen benannt werden, sondern sie<br />
fragen nach dem Grund dieser Namenswahl, die ja eine bestimmte und begrenzte Auswahl aus<br />
dem Spektrum einer größeren Mannigfaltigkeit von Alternativen darstellt. Warum wählt man<br />
diese speziellen Arten zur Bennung aus und nicht jene, welche doch die gleiche Funktion erfüllen<br />
könnten? Die psychologischen Theorien begründen zwar die Namenswahl mit den Bedürfnissen<br />
der Übertragung, der Projektion oder allgemeiner der Abwehrhaltung, aber sie beantworten<br />
eben nicht diese Frage. Die soziologischen Theorien begründen sie mit dem Bedürfnis<br />
nach Vergegenständlichung der Gruppensolidarität oder der Identifizierung, also auch<br />
mit einer Abwehrhaltung, die sie wie die psychologische Erklärung bemühen, aber sie beantworten<br />
ebenfalls nicht diese Frage, warum diese und nicht jene Arten. Und die religionshistorischen<br />
Theorien erklären sie mit bestimmten Vorstellungen einer übersinnlich geordneten<br />
Einheit der Vielfalt des Kosmos, welche es gestatten, verschiedene Gegenstände oder Erscheinungen<br />
als wesensgleich oder partizipativ zu setzen; aber auch sie beantworten in der Regel<br />
eben nicht diese Frage, wenngleich ihre Kosmologien häufig eine Artenhierarchie ausweisen,<br />
die sie mit einer moralischen Bewertung der Arten verbinden.<br />
Insofern Lang die mythologische und religiöse Rechtfertigung für die Namensgebung von<br />
Gruppen nach natürlichen Objekten konstatiert, bietet auch er, obwohl er diese Rechtfertigung<br />
als ein nachträgliches Sekundärphänomen begreift, eine religionshistorische und zugleich eine<br />
psychologische Erklärung für den Schein des <strong>Totemismus</strong> an, da er den Rückgriff auf die religiöse<br />
Rechtfertigung der Namenswahl selbst nämlich psychologisch erklärt, und zwar als das<br />
Unbehagen vor dem Gebrauch von etwas, das man nicht erklären kann, als das Unbehagen vor<br />
dem Unbekannten, oder kurz: durch einen (aitiologischen-) Begründungszwang. Er bemüht<br />
den menschlichen Widerwillen gegen Unerklärtes, Unbekanntes, der erst dann besänftigt ist,<br />
wenn alles Bekannte seinen Platz im Kosmos erhalten hat.<br />
Schon vor diesem Hintergrund wird die Vermutung plausibel, daß die Konsequenzen der <strong>Totemismus</strong>kritik<br />
von Levi-Strauss (<strong>Totemismus</strong> als ethnologische <strong>Illusion</strong>) durch seine Reduktion<br />
dieser Erscheinung auf die nominelle Funktion begründet sind. Die Benennung von Personen<br />
und Gruppen nach natürlichen Exemplaren und Arten ist eine grundsätzliche Option der<br />
Benennung und Klassifizierung und daher auch nicht mehr als eine deren möglicher Varianten<br />
zu begreifen. Bleibt aber die Frage: warum unter den Alternativen diese Variante gewählt<br />
wurde und keine andere.<br />
Der Übereinstimmung hinsichtlich der Funktion der Klassifizierung oder symbolischen Repräsentation<br />
des Seienden, mit Levi-Strauss als Beispiel des "wilden Denkens", steht eine Variation<br />
der Antworten auf die Frage nach dem Grund und nach der Struktur der bevorzugten<br />
Namensauswahl aus dem Lexikon der Tier- und Pflanzennamen gegenüber, nach dem Grund<br />
der Abbildung der Welt in bestimmten natürlichen Kategorien. Und mit der Variation der<br />
Antworten auf diese Frage variieren auch die Theorien des <strong>Totemismus</strong>, die ihn als soziale<br />
(Darstellung und Affirmation der Gruppensolidarität), religiöse (spezieller Dema- oder Tierkult)<br />
oder psychologische Institution (psychotische Halluzination, Verschiebung des Addressaten<br />
der Aggression oder der Kastrationsangst, Repräsentation des Verdrängten, das gespielte<br />
Tier, etc.) erklären.<br />
Die Reflexion natürlicher Gegenstände in sozialen Kategorien (Anthropomorphisierung, Personifizierung,<br />
Selbstprojektion), d.h. ihre Abgrenzung durch Projektionen des Selbst auf das<br />
Andere, und die der sozialen Gebilde in natürlichen Kategorien (Abbildung des Selbst oder Eigenen<br />
durch das Andere= Rück-Projektion) zum Zwecke der Artikulation individueller oder<br />
sozialer Differenzierung oder besonderer Offenbarungen wurde bis vor kurzem noch ganz bestimmt<br />
und wird von manchem Autor auch heute immer noch <strong>Totemismus</strong> genannt, obwohl die<br />
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