Totemismus Illusion - Horst Südkamp - Kulturhistorische Studien
Totemismus Illusion - Horst Südkamp - Kulturhistorische Studien
Totemismus Illusion - Horst Südkamp - Kulturhistorische Studien
Sie wollen auch ein ePaper? Erhöhen Sie die Reichweite Ihrer Titel.
YUMPU macht aus Druck-PDFs automatisch weboptimierte ePaper, die Google liebt.
der Schnittstelle jener größeren Integration der Lokalgruppen, nämlich die noch nicht positiv<br />
regulierte Form der Gattenwahl, die allein durch das Inzestverbot und den Umfang der<br />
Lokalgruppe (Lokalgruppenexogamie) beschränkt wird und damit jede differenziertere Form<br />
der Integration (z.B. einer durch Präferenzregeln regulierten Allianz) ausschließt, welche jenen<br />
Konflikt durch segmentäre Einbindung entschärfen könnte.<br />
Über die Identifizierung der ausheiratenden Frauen mit dem Emblem des Geschlechtstotems,<br />
mit dem auch die dafür einheiratenden Frauen identifiziert werden, wird der Kreis des Frauentausches<br />
angezeigt und da keine weiteren Merkmale dafür im Gebrauch sind, auch die Abwesenheit<br />
verbindlicher Präferenzen für Tauschpartnerschaften zum Ausdruck gebracht, was<br />
dem Brauch der Lokalexogamie entspricht. Die Identifizierung der eigenen Frauen bedarf zwar<br />
keiner zusätzlichen Kennzeichnung, aber ihre Unterscheidung der eigenen von den anderen<br />
Frauen auf dem Wege der Person-Exemplar-Beziehungen ist solange erforderlich, wie die<br />
Gruppen, die Frauen tauschen, noch keine Gruppen als Allianzpartner bevorzugen. Diese<br />
Differenzierung übernimmt entweder das Individual- oder das Gruppentotem.<br />
Frazer hat den Unterschied zwischen dem Nagualismus und der Institution, die er Geschlechtstotemismus<br />
genannt hat, wohl bemerkt, aber seine Erklärung beruhte auf einer Unterstellung<br />
des Nichtwissens: "Bei vielen Stämmen Südost-Australiens betrachtete jedes Geschlecht eine<br />
bestimmte Tiergattung in derselben Weise wie der mittelamerikanische Indianer sein nagual,<br />
jedoch mit dem Unterschiede, daß der Indianer anscheinend das einzelne Tier kannte, an dem<br />
sein Leben hing, die Australier dagegen nur wußten, daß ihr Leben mit irgendeinem Tiere der<br />
Gattung verbunden war, ohne doch sagen zu können, mit welchem. Daraus ergab sich<br />
naturgemäß, daß jeder Mann alle Tiere der Gattung verschonte und schützte, mit der das<br />
Leben der Männer verbunden war. Jede Frau dagegen hütete und beschützte alle Tiere der<br />
Gattung, mit der das Leben der Frauen zusammenhing, denn keiner wußte, ob nicht der Tod irgendeines<br />
Tieres der betreffenden Gattung den eigenen nach sich ziehen werde." 282 Der<br />
Unterschied, auf den Frazer hier abstellt, beruht aber nicht auf Unwissenheit seitens der<br />
Aborigines, sondern auf der Korrespondenz der jeweiligen Totems mit verschiedenen<br />
Funktionen. Der Australier kennt sein Alter-Ego oder Exemplar seines Individualtotems<br />
durchaus, aber nicht mehr das von jedem Mitglied seines Clans oder Stammes. Trotzdem weiß<br />
er, daß jedes andere Exemplar der entsprechenden Totem-Spezies das Alter-Ego eines seiner<br />
Clan- oder Stammesgenossen nicht nur sein kann, sondern sogar sein muß, er wurde ja<br />
während der Initiation auf die väterlichen und brüderlichen Exemplare hingewiesen, weshalb es<br />
diese genauso zu achten gilt wie das seine. Desweiteren muß er, wenn er sich am<br />
Geschlechtstotemismus orientiert, die mystische Relation der anderen zu ihrem Alter-Ego gar<br />
nicht kennen, kann er diesen Aspekt der Weltanschauung also zurückstellen, weil das<br />
Geschlechtstotem ihm die Frauen und Männer anzeigt, die zu seinem Stamm gehören. Da diese<br />
Feststellung (Stammesmitglied) alle anderen Optionen impliziert, brauchen diese auch mit der<br />
Anzeige des Geschlechtstotems nicht noch einmal herausgestellt zu werden. d.h. bei dem<br />
Geschlechtstotem geht es gar nicht um die Anzeige des Verhältnisses, das sein Träger zu<br />
seinem Alter-Ego unterhält, was etwas anderes ist als die von Frazer behauptete Unkenntnis<br />
dieser speziellen Beziehung.<br />
Geht man von dem individuellen Alter-Ego-Tier aus, dann sichert nur Vererbung den eigenen<br />
Kindern entweder dasselbe Exemplar (was das Prinzip des Lebensgleichlaufs ausschließt) oder<br />
ein anderes Exemplar derselben Gattung oder Art, das quasi den Nachkömmling des elterlichen<br />
Exemplars darstellt. Sollen Sohn und Tochter nicht nur verschiedene Exemplare des Außenseelen-Tiers<br />
haben sondern Exemplare verschiedener Arten, dann müssen auch die Exemplare<br />
der Eltern verschiedener Art sein, die sie vererben können. Sollen alle Söhne ein Tier der einen<br />
Art erhalten und alle Töchter ein Tier der anderen Art, dann müssen die Eltern die Alter-Ego-<br />
Tiere nach entsprechenden Regeln vererben, die mit der parallelen Deszendenzregel dann zu-<br />
282 J.G.Frazer, Der goldene Zweig II, Frankfurt, Berlin, Wien 1977, S.998-9<br />
1<br />
6<br />
5