Totemismus Illusion - Horst Südkamp - Kulturhistorische Studien
Totemismus Illusion - Horst Südkamp - Kulturhistorische Studien
Totemismus Illusion - Horst Südkamp - Kulturhistorische Studien
Sie wollen auch ein ePaper? Erhöhen Sie die Reichweite Ihrer Titel.
YUMPU macht aus Druck-PDFs automatisch weboptimierte ePaper, die Google liebt.
um sind die natürlichen Kategorien für ihn besonders gut zu denken? Die Antwort, daß man<br />
Kultur und Gesellschaft in diesen Kategorien ebenso gut denken kann wie in anderen, z.B. historischen<br />
oder soziologischen Kategorien, verfehlt also die Frage. Auch in diesem Kontext<br />
war Radcliffe-Brown genauer und sachlicher zugleich, weil er das, was Levi-Strauss apodiktisch<br />
verkündete, in eine Implikation gesetzt hat und damit auch die Folgerungen, die sich aus<br />
ihr ergeben: "Granted that it is for some reason appropriate to identify social divisions by<br />
association with natural species, what is the principle by which such pairs as eaglehawk and<br />
crow, eagle and raven, coyote and wild cat are chosen as representing the moieties of dual<br />
division?" 81<br />
Levi-Strauss hat den verschiedenen Begründungen der Vorliebe für Tier- und Pflanzennamen<br />
aus der Nützlichkeit, Eßbarkeit oder Schädlichkeit der natürlichen Objekte mit Recht vorgehalten,<br />
das viele der bekannt gewordenen Totemobjekte weder eßbar noch nützlich oder<br />
schädlich sind, aber seine Antwort, daß sie ausgewählt worden sind, weil sie gut zu denken<br />
sind, stellt auch auf dieser Ebene ein vergleichbares Problem, nämlich die Antwort auf die<br />
Frage, warum gerade die Totemobjekte, die tatsächlich ausgewählt worden sind, besser zu<br />
denken sind als jene, die man bei dieser Auswahl übergangen hat. Mit Radcliffe-Brown: "Why<br />
particularly eaglehawk and crow, and other pairs?" 82<br />
Eine Kategorie ist deshalb gut zu denken, weil sie als Begriff eines Denksystems oder einer<br />
Weltanschauung eingeführt ist, weil sie im Hinweishorizont der Sprache, Terminologie oder<br />
Symbolik schon sagt, was sie in der institutionalisierten Rede oder Darstellung erst zeigen will,<br />
daß nämlich das, was sie zeigt, nur als Erscheinung der eigenen Welt oder eines ihrer<br />
Horizonte zum Vorschein kommt, zu der auch die Kategorien als Hinweisfunktionen gehören,<br />
deren gute Denkbarkeit mit dem Grad der Vertrautheit dessen korrespondieren, was jeweils<br />
gezeigt wird.<br />
Die Antwort auf die Frage nach der guten Denkbarkeit natürlicher Kategorien hat man also<br />
erst dann, wenn man das System des Denkens oder der Weltanschauung, für welche der Gebrauch<br />
natürlicher Kategorien repräsentativ ist, gefunden hat, wenn man die besondere Art des<br />
Denkens in natürlichen Kategorien, die durch eine charakteristische Erfahrung, nämlich jener<br />
Welt, welche durch sie zur Anschauung kommt, gesättigt sind, und deshalb den Discours des<br />
<strong>Totemismus</strong> abgeben, wenn man also den Diskurs (Umlauf) dieser Weltanschauung vorstellt<br />
oder wenn schließlich das "wilde Denken" selbst dargestellt wird, wie es Levi-Strauss in einem<br />
weiteren Werk unternommen hat, das sich mit diesem Problem der Klassifizierung, zu dem der<br />
<strong>Totemismus</strong> gehört, beschäftigt.<br />
Aber auch dieser Versuch des französischen Ethnologen demonstriert wiederum nur Bedingungen<br />
der Möglichkeit und Beispiele der Möglichkeiten desvon ihm so genannten konkreten<br />
Denkens. Er beantwortet nicht die Frage: "Why all these birds? Why all these animals?" Denn<br />
zur Abbildung von Gegensätzen, Widersprüchen oder Komplementären läßt sich schließlich alles<br />
nehmen, was ihre Andeutung anbietet. Gegenüber dem Nachweis, daß das wilde Denken<br />
vernünftig ist, verliert Levi-Strauss die Notwendigkeit der Begründung der besonderen Form<br />
dieses Denkens aus dem Auge, die Differenzierung der Mannigfaltigkeit der Systeme dieses<br />
"wilden Denkens", während Radcliffe-Brown in diesem Zusammenhang überraschend historisch<br />
darauf hinweist, daß die Darstellung der Welt in natürlichen Kategorien charakteristisch<br />
ist für die Religiosität der Wildbeutervölker, welche in der Wildnis die große Moral ihres eigenen<br />
Daseins suchen. In diesem Sinne bieten auch die Arbeiten von C.G. von Brandenstein über<br />
die gemeinaustralische Weltanschauung, welche er als eine Projektion einer bestimmten Konstitutions-<br />
und Temperamentenlehre nachweist, genau die Antworten auf diese von Radcliffe-<br />
Brown gestellten Fragen. Danach unterscheiden sich Adlerfalke und Krähe, weißer und<br />
schwarzer Kakadu usw. nach Temperament und Charakter, nach Elementarzusammensetzung<br />
81 A.R.Radcliffe-Brown, The Comparative Method in Social Anthropology, ibid, S.17<br />
82 A.R.Radcliffe-Brown, The Comparative Method in Social Anthropology, ibid, S.17<br />
4<br />
7