Totemismus Illusion - Horst Südkamp - Kulturhistorische Studien
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und kosmologischer Stellung (siehe unten), nach sozialen Werten und ihrem Fehlen, und zwar<br />
im Kontext der Kategorien dieser Weltanschauung.<br />
Radcliffe-Browns Antwort auf die gleiche Frage von 1929 unterstellte, allerdings in allgemeiner<br />
Fassung vorgestellt, eine vergleichbare Weltanschauung als Erklärung dieser Vorliebe des<br />
Denkens in natürlichen Kategorien wie sie C.G.von Brandenstein für Australien herausgearbeitet<br />
hat. Und auf diesen Entwurf einer Erklärung durch eine spezifische Weltanschauung<br />
bezog er sich auch 1951 durchaus affirmativ.<br />
In beiden Versuchen der Erklärung des <strong>Totemismus</strong> wies er auch wieder daraufhin, daß sich<br />
aus einer konstatierbaren Voreingenommenheit nicht nur des sog. primitiven Denkens für die<br />
eigenen Kategorien der Natur, d.h. für die Kategorien ihrer eigenen Weltanschauung, weder<br />
die Vorliebe der Abbildung ihrer sozialen Beziehungen durch sie, welche den <strong>Totemismus</strong> auszeichnen<br />
(denn die Eskimo reflektieren zwar ihre Welt in natürlichen Kategorien, aber nicht die<br />
Institutionen ihrer Gruppen), noch die verschiedenen Begründungsversuche religiöser, magischer<br />
oder praktischer Art, welche die einzelnen Kulturen entwickelt haben, um ihre sozialen<br />
Beziehungen und das Verhältnis der Gesellschaft zur Natur zu reflektieren, ableiten läßt. Den<br />
unterstellten Nutzen, mit dem manche Interpreten dieser primitiven Voreingenommenheit für<br />
die Natur die Natur identifizieren, wies er in beiden Entwürfen als von außen herangetragene<br />
Perspektiven der Betrachtung zurück.<br />
Nach dieser 1929 abgefaßten Theorie von Radcliffe-Brown darf man nur unter der Bedingung<br />
von <strong>Totemismus</strong> sprechen, wenn das Denken der Gesellschaft den Menschen und seine Welt in<br />
den Kategorien der Natur reflektiert und wenn diese Gesellschaft ihre soziale Differenzierung<br />
im Horizont dieser natürlichen Kategorien, vorzüglich mit Pflanzen- oder Tiernamen, begreift.<br />
Demnach wird weder der <strong>Totemismus</strong> allein durch das Gegebensein eines Denksystems bestimmt,<br />
das sich vorzüglich in natürlichen Kategorien ausdrückt, noch allein durch eine spezielle<br />
Gesellschaftsordnung, deren Differenzierung in natürlichen Kategorien abgebildet werden<br />
kann, sondern nur durch die Synthese beider Erscheinungen, die jede für sich auch ohne <strong>Totemismus</strong><br />
existieren. Boas wies ähnlich daraufhin: "The recognition of kinship groups, and with<br />
it of exogamy, is a universal phenomenon. Totemism is not." 83 Für beide Autoren steht fest,<br />
daß die Konvergenz eines Denksystems, das sich in natürlichen Kategorien ausdrückt, mit<br />
jenem sozialen System unilinearer Abstammungsgruppen korporativen Charakters, deren Allianzmöglichkeiten<br />
und Allianzeinheiten speziell in diesen Kategorien gedacht werden müssen,<br />
weil die sozialen Kategorien schon besetzt sind und keine anderen zur Verfügung stehen, daß<br />
also diese Konvergenz die Erscheinung des <strong>Totemismus</strong> erzeugt. Die Gesellschaft kann ihre<br />
soziale und politische Innovation nur in ihrem tradierten Kategoriensystem darstellen, das, weil<br />
es hier ein natürliches ist, auch diese in natürlichen Kategorien reflektiert.<br />
Auch nach dieser Erklärung von Radcliffe-Brown erweist sich also der <strong>Totemismus</strong> als Schein<br />
und nicht als eine besondere soziale Institution, allerdings als ein Phänomen, das unter den<br />
genannten Bedingungen als Schein notwendig erscheinen muß. Dieser Schein einer eigenständigen<br />
sozialen Institution ist unter den erwähnten Bedingungen notwendig und deshalb<br />
auch nicht zu verwechseln mit der Illsuion der Gelehrten, von der Levi-Strauss spricht. Da<br />
neue, politisch bedingte Beziehungen in Kategorien der bestehenden Weltanschauung mit<br />
starker religiöser Einfärbung reflektiert werden müssen, entsteht der Schein, daß sie auch eine<br />
spezielle religiöse Bedeutung haben. Da politische Verhältnisse in religiös besetzten Kategorien<br />
reflektiert werden, entsteht der Eindruck (Schein) einer Überschwemmung des Profanen durch<br />
das Heilige.<br />
Radcliffe-Brown wiederholt, worauf Levi-Strauss ausdrücklich hinweist, eine Hypothese von<br />
Boas, nach der "die Bildung eines Systems auf sozialer Ebene die notwendige Bedingung des<br />
<strong>Totemismus</strong> ist. Deshalb schließt er die Eskimos, deren soziale Organisation nicht systematisch<br />
83 F.Boas, The Origin of Totemism, ibid, S.323-4<br />
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