Totemismus Illusion - Horst Südkamp - Kulturhistorische Studien
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terwerfungsgesten, während die Psychoanalyse Ichschwäche, "Versicherung gegen<br />
Kastrationsangst" (Fenichel), "Identifizierung mit dem Angreifer" (S.Ferenczi, Anna Freud)<br />
oder den "autoritären Charakter" (Adorno etc.) diagnostiziert.<br />
Wenn man das Ziel der ödipalen Phase, das die Psychoanalyse als die Verinnerlichung der<br />
Eltern und des durch sie verkörperten Über-Ichs begreift, allgemeiner bestimmt oder die Objekte<br />
der Verinnerlichung und ihre Ideale weniger spezifisch faßt, d.h. sie einerseits als primäre<br />
erzieherische Autoritäten und andererseits als die Ideale ihrer Sozialstruktur, dann lokalisiert<br />
auch die ethologische Darstellung den Übergang von der Kindheit zur Jugend in dieser Phase<br />
der Verinnerlichung des Anderen.<br />
Daß Freud eine Prägung zur Inzesthemmung verneint, kann nach dem im Freudschen Werk<br />
durchaus nicht vereinzelt dastehenden Hinweis auf die Zerstörung des Ödipuskomplexes im Es<br />
nicht mehr behauptet werden. Der Inzestwunsch und seine erfolgreiche Vernichtung ist für ihn<br />
wie für Westermarck das zentrale Problem der Sozialisation; die ersten sozialen Konflikte sind<br />
für Freud Konflikte, die durch diesen Wunsch verursacht worden sind, so daß Sozialisation<br />
und die Beherrschung des Sexualtriebs nach Maßgabe der Inzesthemmung für ihn nur austauschbare<br />
Namen eines und desselben Vorgangs sind.<br />
Die theoretischen Gegensätze: natürlicher Inzestwunsch/ natürliche Inzesthemmung (Zeitverhältnis:<br />
nachzeitig), oder: natürliche Inzesthemmung/ kulturelle Inzesthemmung (Komplementäre<br />
gleichzeitiger Wirkung), welche die Ursachen der Hemmung in der Natur oder in der<br />
Kultur suchen, haben sich als Scheingegensätze herausgestellt. Sie stellen vielmehr komplementäre<br />
Positionen in einem und demselben System dar; im Falle der ethologischen Theorie der<br />
Inzesthemmung als Prägung erscheinenen sie ausdrücklich als konstitutive Gegensätze der<br />
Theorie, welche eine natürliche Disposition (Prägung) mit den kulturellen Alternativen ihres<br />
Gebrauchs in der Form in Beziehung setzt, daß auch noch die kulturspezifisch alternativen<br />
Verhaltensmuster als mögliche Alternativen der natürlichen Disposition (Prägung) zu begreifen<br />
sind.<br />
Freuds Vorstellungen über die Ontogenese lassen sich vollständig abstrahieren von dem Versuch,<br />
sie in den Auffassungen der Ethnologie seiner Zeit über den <strong>Totemismus</strong> zu spiegeln. Die<br />
Kritik an "Totem und Tabu", soweit sie die von Freud zitierten ethnologischen Vorstellungen<br />
mit den neueren Einsichten dieser Disziplin konfrontiert, erweist sich als sich ihrer selbst<br />
unkenntliche ethnologische Selbstkritik, die die Auseinandersetzung mit der Psychoanalyse<br />
schuldig bleibt.<br />
Neuerdings weist die Ethnologie daraufhin, daß der <strong>Totemismus</strong> nicht mit Exogamie, sondern<br />
nur mit unilinearer Deszendenz kausal verknüpft ist. Dieser Hinweis entbindet die Psychoanalyse<br />
von der Anstrengung, die mit dem Totem verbundenen Verbote auch mit dem Inzestverbot<br />
in einen ursächlichen Zusammenhang zu stellen. Sie kann vielmehr das Phänomen des<br />
<strong>Totemismus</strong> betrachten, ohne dabei Hypothesen über den Ursprung der Kultur schuldig zu<br />
sein, ja den Zustand der Kultur voraussetzen und die Erscheinung vielmehr in den Kontext<br />
ihrer Theorie des Symbols stellen und den <strong>Totemismus</strong> unter dem Gesichtspunkt der Realitätsbewältigung<br />
aufzuklären versuchen.<br />
Auch dabei kann sie sich von dem Befund der Tierphobien leiten lassen. Realität erscheint<br />
zunächst als Widerstand der Wunscherfüllung und dies um so mehr je weniger sie intellektuell<br />
begriffen ist. Ein Primärerlebnis dieser Art ist das Erlebnis des Vaters als Widerstand der<br />
Wunscherfüllung und die mit dieser Erfahrung verbundene Kastrationsangst, welche durch die<br />
Identifizierung mit dem Angreifer beschwichtigt und mit der Überichausbildung überwunden<br />
wird. Die Übertragung des Vaters auf das Tier erweist sich in diesem Kontext als<br />
Konfliktreduktion, welche die Identifizierung und Aggressionsablenkung leichter einzuüben<br />
gestattet. Man darf erwarten, daß auf eine Strategie der Streßbewältigung, die sich als erfolgreich<br />
erwiesen hat, in ähnlichen Streßsituationen zurückgegriffen wird. So bietet sich das<br />
Beispiel der Übertragung der Kastrationsdrohung auf das Anderssein als Mittel der Überwindung<br />
der Angst vor dem Unbekannten förmlich an und auch ihre Beschwichtigung über die<br />
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