STÄDTEBAU UND STADTENTWICKLUNGSolidarische Stadtentwicklung – Nutzen <strong>de</strong>s QuartiermanagementsSoziale Stadt weiterentwickeln!Soziale Desintegration ist in vielen Städten ein Problem, und <strong>de</strong>r sozialen Segregation entgegenzuwirken,eine große Herausfor<strong>de</strong>rung. Das Quartiersmanagement hat sich als ein probates Mittel herausgestellt,Stabilisierungsprozesse, Struktur- und Verhaltensän<strong>de</strong>rungen in Quartieren anzustoßen. Anhand<strong>de</strong>s vor rund 15 Jahren ins <strong>Leben</strong> gerufenen Berliner Quartiersmanagements wer<strong>de</strong>n Kernelemente,Wirkungsweisen und die Rolle <strong>de</strong>r Wohnungswirtschaft dargelegt.Philipp MühlbergGruppenleiter Referat Soziale StadtSenatsverwaltung fürStadtentwicklung und UmweltBerlinSoll die Fragestellung <strong>de</strong>r armutssegregiertenStadtteile aus sich heraus beantwortet wer<strong>de</strong>n,wird das Problem sozialer Desintegration nichtzu lösen sein. Städte und Gemein<strong>de</strong>n müssen<strong>de</strong>n Ursachen von Segregation entgegenwirkenund auf gleichwertige Entwicklungschancen allerQuartiere drängen. Quartiersmanagement (QM)wird gelegentlich als Sozialkl<strong>im</strong>b<strong>im</strong> abgetan, alsalternative Finanzierungsmöglichkeit migrantischerBauchtanzprojekte etc. Anhand <strong>de</strong>r Kernelemente<strong>de</strong>s Berliner QM und <strong>de</strong>r Beschreibung ihrerWirkungsweise wird ver<strong>de</strong>utlicht, wie QM Strukturanpassungenhervorruft, die Verän<strong>de</strong>rungen <strong>im</strong>massenhaften Verhalten von Bewohnern zeitigen,also <strong>de</strong>r herrschen<strong>de</strong>n Verhältnisse in einem Quartier.Die Wohnungswirtschaft stellt <strong>im</strong> QM nichtnur einen starken Partner dar, son<strong>de</strong>rn ist einer <strong>de</strong>rHauptprofiteure dieses Stabilisierungsprozesses.Ihr Engagement ist maßgeblich für <strong>de</strong>n Erfolg.Wofür brauchen wir QM?Das Berliner QM ist eine Interventionsstrategie, dievom gemeinsamen Engagement <strong>de</strong>s Lan<strong>de</strong>s, <strong>de</strong>rBezirke sowie <strong>de</strong>r Stadtteile lebt und in Gebietendurchgeführt wird, in <strong>de</strong>nen soziale Benachteiligung<strong>de</strong>n Alltag prägt. Mit ihr wer<strong>de</strong>n Prozesseorganisiert, die Nachbarschaft entstehen lassen,damit <strong>de</strong>n Stadtteil stabilisieren und eine umfassen<strong>de</strong>präventive Wirkung entfalten. Eine hoheDichte sozialer Probleme kann in einem Stadtteildazu führen, dass sich <strong>im</strong> Alltag die Standards <strong>de</strong>sZusammenlebens nicht mehr von allein reproduzierenund das <strong>Leben</strong> zunehmend parallelen Gesetzenfolgt. Die Struktur und das Regelangebotkommunaler Daseinsvorsorge reicht nicht mehraus. Es bedarf beson<strong>de</strong>rer Unterstützung, um einegleichwertige Entwicklung <strong>de</strong>r Stadtteile und <strong>de</strong>rdort leben<strong>de</strong>n Menschen gewährleisten zu können.Nur mit zusätzlichen Unterstützungssystemen wirddie sich selbst beschleunigen<strong>de</strong> Entstehung vonArmutsinseln – mit <strong>de</strong>r Ten<strong>de</strong>nz zur gesellschaftlichenExklave – vermie<strong>de</strong>n. Aus einem anonymenNebeneinan<strong>de</strong>r o<strong>de</strong>r gar schon Gegeneinan<strong>de</strong>r wirdmit <strong>de</strong>r Interventionsstrategie <strong>de</strong>s QM ein neuesMiteinan<strong>de</strong>r. Das neu geschaffene, solidarische Zusammenlebenhilft dabei, schwierige individuelle<strong>Leben</strong>slagen zu überwin<strong>de</strong>n. Soziales Kapital hilft,die mangeln<strong>de</strong> Verfügbarkeit an ökonomischemKapital zu kompensieren.Im Kern geht es um Hilfe zur Selbsthilfe, alsoEmpowerment eines Stadtteils einschließlich seinerInstitutionen und <strong>de</strong>r Kommunalverwaltung,<strong>de</strong>m <strong>Leben</strong> <strong>im</strong> Quartier wie<strong>de</strong>r eine gesellschaftskonformeRichtung zu geben. Im Rahmen <strong>de</strong>s QMwer<strong>de</strong>n vielfältige Netzwerke etabliert, die dasGrundgerüst autonomer Gemeinwesenarbeit bil<strong>de</strong>n.Es geht um <strong>de</strong>n Schulterschluss zwischenVerwaltung, Politik und <strong>de</strong>n Institutionen einesStadtteils – von <strong>de</strong>r Schule bis zur Polizei und <strong>de</strong>nReligionsgemeinschaften, um einen solidarischenStadtteil entstehen zu lassen. Dies gelingt, wenninnerhalb <strong>de</strong>r Verwaltung eine fachübergreifen<strong>de</strong>Zusammenarbeit geschaffen wird. Eine stabileKooperation zwischen unterschiedlichen Fachpolitiken:vom Jugendamt über das Sozialamtbis hin zum Hoch- o<strong>de</strong>r Tiefbauamt. In diesemSinne steht QM als Verwaltungsreformansatz.Fachübergreifen<strong>de</strong> Kooperation wird <strong>im</strong> Rahmen<strong>de</strong>s QM eingeübt und dabei zum grundlegen<strong>de</strong>nBestandteil <strong>de</strong>s Verwaltungshan<strong>de</strong>lns.„Auch wir sind Soziale Stadt!” Das Quartiersmanagement vernetzt erfolgreich verschie<strong>de</strong>ne Akteure in Viertel,die oft nur als Problemquartiere wahrgenommenen wer<strong>de</strong>n – stabile Strukturen entstehen<strong>12</strong> <strong>12</strong> | <strong>2013</strong>
Beispiel BerlinFür die Entstehung sozial benachteiligter Gebietein Berlin sind zwei gesellschaftliche Entwicklungenverantwortlich. Der Zusammenbruch <strong>de</strong>r Wirtschaftsstrukturnach <strong>de</strong>m Mauerfall: Allein <strong>im</strong> produktionsgeprägtenBereich verloren ca. 350.000Beschäftigte ad hoc ihren Job. Betroffen war vorallem die migrantische Arbeiterschaft, meist ohneje<strong>de</strong> berufliche Qualifikation. Daraus resultierteeine beson<strong>de</strong>re Benachteiligung am Arbeitsmarkt,die ethnisch eingefärbt erscheint, jedoch eigentlichsoziale Ursachen hat. Für die urbane Entwicklungbest<strong>im</strong>mend war in <strong>de</strong>n 1990er Jahren <strong>de</strong>rVerlust eigenständiger Erwerbstätigkeit, verbun<strong>de</strong>nmit massenhafter Verarmung beson<strong>de</strong>rer Bevölkerungsgruppen.Als weiterer relevanter Prozesssind die großen Bauinvestitionen zu nennen:In <strong>de</strong>n zurückliegen<strong>de</strong>n 20 Jahren entstan<strong>de</strong>n ca.240.000 zusätzliche Wohnungen in Berlin und <strong>de</strong>mUmland. Der neue, einheitliche Wohnungsmarktund das zusätzliche Wohnungsangebot führten zusteigen<strong>de</strong>r Fluktuation, in <strong>de</strong>ren Folge es zu einer<strong>de</strong>utlichen Ausdifferenzierung <strong>de</strong>r Wohnmilieuskam. Die, die es sich leisten konnten, gaben ihrWohnquartier auf und zogen fort. Zurück bliebendie sogenannten A-Gruppen: Auslän<strong>de</strong>r, Arbeitsloseund Arme. Die gesellschaftliche Spaltung schlugsich zunehmend <strong>im</strong> Stadtraum nie<strong>de</strong>r – eine für dasNachkriegsberlin neue Situation. Verarmung undFluktuation führten zu Stadtteilen, in <strong>de</strong>nen dieGefahr wuchs, dass das <strong>Leben</strong> in ihnen zunehmenddurch soziale Erosionsprozesse geprägt war.Kernbestandteile <strong>de</strong>s Berliner QMSeit 1999 unterstützt Berlin armutssegregierteStadtteile mit <strong>de</strong>m Maßnahmenkonzept BerlinerQM, das sich aus <strong>de</strong>n Erfahrungen und Finanzierungsmöglichkeiten<strong>de</strong>s europäischen urban-Programmes und <strong>de</strong>s Bun<strong>de</strong>sprogrammes SozialeStadt speist. Das Konzept lässt sich mit <strong>de</strong>mDreiklang partizipativ, fachübergreifend und lokalzusammenfassen und macht sich an <strong>de</strong>n folgen<strong>de</strong>nKernbestandteilen fest:• An 1. Stelle steht die lebensweltliche Abgrenzung<strong>de</strong>s Interventionsgebietes. Eine Gebietsabgrenzung,die die Möglichkeit bietet, auseinem Stadtteil an sich einen Stadtteil für sichentstehen zu lassen. Eine opt<strong>im</strong>ale Gebietsgrößeliegt zwischen 10.000 und 15.000 Einwohnernund bedarf einer städtebaulichen Struktur,die die Ausprägung lokaler I<strong>de</strong>ntität för<strong>de</strong>rt.• Als 2. Baustein ist die verwaltungsexterneGebietsbetreuung durch ein multi-ethnischesTeam als zentralen Ansprechpartner und Organisator<strong>de</strong>r Stabilisierungsstrategie <strong>im</strong> Quartierzu nennen. Die Teams arbeiten konzeptionellund konzentrieren sich auf die Aktivierung <strong>de</strong>rKein Sozialkl<strong>im</strong>b<strong>im</strong>! Um endogene Potenziale <strong>de</strong>r Nachbarschaften zu heben, benötigt man Kümmerer. Das QM hilftz. B. bei Kiezfesten, Open-air-Galerien <strong>im</strong> Quartier, Veranstaltungen <strong>de</strong>r Stadtteilmütter o<strong>de</strong>r BürgerwerkstättenBewohnerschaft – das Empowerment und dieVernetzung <strong>de</strong>r lokalen Institutionen.• Der 3. Verfahrensbaustein besteht in <strong>de</strong>r verbindlichen,ämterübergreifen<strong>de</strong>n Zusammenarbeitinnerhalb <strong>de</strong>r Kommunalverwaltung. Ineiner Kooperationsvereinbarung zwischen <strong>de</strong>mLand und <strong>de</strong>m jeweiligen Bezirk sind Ziele undStruktur <strong>de</strong>s Verfahrens nie<strong>de</strong>rgelegt. Dabeisind für je<strong>de</strong>s einzelne Gebiet die konkretenArbeitsstrukturen vorgegeben.• Der 4. Baustein ist ein fortzuschreiben<strong>de</strong>s,integriertes Handlungs- und Entwicklungskonzeptals Arbeitsgrundlage. Es enthält eineSchwächen- und Stärkenanalyse und führt Meilensteine<strong>de</strong>r Gebietsentwicklung auf. Fernerwer<strong>de</strong>n die starken Partner <strong>de</strong>s Verfahrens undzusätzliche Ressourcen benannt. Das Konzeptwird vom Team erarbeitet und mit Bewohnernund Verwaltung abgest<strong>im</strong>mt. Schon die Erarbeitung<strong>de</strong>s Konzeptes trägt dazu bei, dassProbleme aus unterschiedlichen Perspektiventhematisiert wer<strong>de</strong>n und nach gemeinsamenLösungsansätzen in neuen Kommunikationsstrukturengesucht wird.WAS BRINGT QM? – THESEN AUS 14 JAHREN ERFAHRUNGENQM ist Strukturanpassung: QM ist ein umfassen<strong>de</strong>r Ansatz, <strong>de</strong>r vom ersten Tag an Spuren <strong>im</strong>Verwaltungshan<strong>de</strong>ln und <strong>im</strong> Stadtteil hinterlässt. Im Laufe <strong>de</strong>s Verfahrens entwickeln sich darausprägen<strong>de</strong> Handlungsmax<strong>im</strong>en, die nachhaltig wirken und die Standards <strong>de</strong>s Zusammenlebensneu ausrichten.QM lebt von Kommunikation: QM ist ein kommunikatives Programm, das neue Formen <strong>de</strong>rZusammenarbeit und <strong>de</strong>s Zusammenlebens <strong>im</strong> Stadtteil, innerhalb <strong>de</strong>r Verwaltung und zwischenbei<strong>de</strong>n anregt und zu etablieren hilft. Zivilgesellschaftliche Netzwerke entstehen, die <strong>de</strong>m <strong>Leben</strong><strong>im</strong> Quartier eine neue Richtung geben.QM braucht einen lebensweltlichen Ansatz: QM integriert sinnvoll unterschiedliches Verwaltungshan<strong>de</strong>lnund unterschiedliche Ressourcen, es entfalltet seine Wirksamkeit nur mit einemintegrativen För<strong>de</strong>ransatz, <strong>de</strong>r sowohl investive als auch investitionssichern<strong>de</strong>, soziointegrativeMaßnahmen zu einer ganzheitlichen Intervention verknüpft.QM ist Verwaltungsreform: QM erweitert die kommunale Handlungsfähigkeit, „empowert“Verwaltung, eine gleichwertige Entwicklung von Stadtteilen gewährleisten zu können, in<strong>de</strong>msich authentische Kompetenzen eines Stadtteils und Ressortkompetenz in einer Stabilisierungsstrategieergänzen. QM arbeitet neue Aufgaben kommunaler Daseinsvorsorge heraus, entwirftdafür innovative Strategien, die in Regelaufgaben <strong>de</strong>r Daseinsvorsorge überführt wer<strong>de</strong>n müssen,um <strong>de</strong>m sozialen und ethnischen Integrationserfor<strong>de</strong>rnis gerecht zu wer<strong>de</strong>n.Ökonomisches und soziales Kapital sind gleichrangig: Netzwerke und Geld sind <strong>im</strong> Verfahrengleichwertig. Die För<strong>de</strong>rung <strong>de</strong>s zivilgesellschaftlichen Miteinan<strong>de</strong>rs, die Stärkung <strong>de</strong>s Gemeinwesenshilft bei die Etablierung von Strukturen <strong>im</strong> Stadtteil, die Verantwortung übernehmen.QM ist notwendig für Integrationsstadtteile: QM ist als temporäre Strategie gestartet, gleichwohlsind in best<strong>im</strong>mten Stadtteilen die sozialen Integrationsaufgaben nicht abschließend zuleisten – beson<strong>de</strong>rs in transitorischen Quartieren. Sie müssen aufgrund hoher Bevölkerungsfluktuation<strong>im</strong>mer wie<strong>de</strong>r zusätzliche soziale Integrationsleistungen für die Gesamtstadt erbringen.Diese Quartiere bedürfen langfristig einer beson<strong>de</strong>ren öffentlichen Zuwendung. Für sie ist dasMo<strong>de</strong>ll QM zu entfristen.Verelendung ist kein Automatismus: QM beeinflusst mittelbar kaum die sozioökonomischenParameter eines Stadtteils, <strong>de</strong>n Zusammenfall von Verarmung und Entsolidarisierung vermages jedoch zu vermei<strong>de</strong>n.<strong>12</strong> | <strong>2013</strong>13