NEUBAU UND SANIERUNGQuelle: Architekt Fabrizio Rossi Prodi, Florenz / ROSSIPRODI ASSOCIATI SRLProjektierte Holzbau-Wohnsiedlung mit vier neungeschossigen Tü rmen in Mailand, Computerann<strong>im</strong>ationGrenzenloses EuropaMehrgeschossiges Holzgebäu<strong>de</strong> „Via Cenni“ –ein Leuchtturmprojekt in MailandDer mehrgeschossige Holzbau erlebt <strong>de</strong>rzeit einen regelrechten Boom. Nicht nur in Deutschland, <strong>de</strong>rSchweiz und Österreich, son<strong>de</strong>rn auch in Italien. Dort wird <strong>de</strong>rzeit „Via Cenni“, das größte WohnbauprojektEuropas, fertiggestellt. Es ist das erste Mal, dass in Italien in so großem Stil mit Holz gebaut wird.Gabriele Kunzfreie JournalistinHamburgNoch vor wenigen Jahren beschränkte sich <strong>de</strong>rHolzbau meist auf Wohnbauten mit wenigenGeschossen. Inzwischen wird <strong>im</strong>mer höher gebaut– vor allem in Städten. Das liegt nicht alleindaran, dass Holz ein nachhaltiger Baustoff ist: In1 m 3 Holz ist <strong>im</strong>merhin 1 t CO 2 gespeichert. Derhohe Vorfertigungsgrad erlaubt auch eine kurzeBauzeit. Außer<strong>de</strong>m hat Holz ein gutes Dämmungsverhalten.Als ein in seiner D<strong>im</strong>ension bislang einzigartigesProjekt in Europa gilt „Via Cenni“ in Mailand. Dortentstand in nur sechzehn Monaten eine Wohnsiedlungmit vier neungeschossigen Türmen. „Via Cenni“befin<strong>de</strong>t sich <strong>im</strong> Westen Mailands – unweit <strong>de</strong>sbekannten „Stadio San Siro“, <strong>de</strong>r He<strong>im</strong>stätte <strong>de</strong>rbei<strong>de</strong>n Mailän<strong>de</strong>r Fußballclubs AC Mailand undInter Mailand. Die rund 17.000 m 2 große Siedlungliegt an <strong>de</strong>r Grenze zwischen Stadtzentrum undPeripherie und hat sehr unterschiedliche „Nachbarn“.Im Nordosten befin<strong>de</strong>t sich das Depot <strong>de</strong>sATM, <strong>de</strong>m öffentlichen NahverkehrsunternehmenMailands, südwestlich eine Kaserne, nordwestlichein alter Bauernhof und südöstlich eine Kleingar-30 <strong>12</strong> | <strong>2013</strong>
tensiedlung. Den Menschen, die dort leben undarbeiten, fehlen Möglichkeiten <strong>de</strong>r Begegnung.Deshalb soll <strong>de</strong>r große, rund 1.000 m 2 große Parkrund um die Holztürme nicht nur <strong>de</strong>n Bewohnern,son<strong>de</strong>rn allen Mailän<strong>de</strong>rn offenstehen. So dasKonzept <strong>de</strong>s Architekten Fabrizio Rossi Prodi ausFlorenz, <strong>de</strong>r als Sieger aus <strong>de</strong>m internationalenArchitekturwettbewerb hervorging.Günstige Wohnungen„Via Cenni“ umfasst <strong>12</strong>4 Wohnungen zwischen50 und 100 m 2 Größe, Gemeinschaftsräume,Mietergärten und <strong>de</strong>n Park. Die Erdgeschosse <strong>de</strong>sKomplexes bieten Platz für Geschäfte und Gemeinschaftseinrichtungen.Die Miete <strong>de</strong>r Wohnungenist günstig: Sie liegt bei 7 €/m 2 ohne Nebenkosten.Ein Teil <strong>de</strong>r Wohnungen kann später von <strong>de</strong>n Mieternzu einem Vorzugspreis gekauft wer<strong>de</strong>n. AlleWohnungen verfügen über Fußbo<strong>de</strong>nheizungenund Lüftungsanlagen. Das Gebäu<strong>de</strong> wur<strong>de</strong> mit <strong>de</strong>rEnergieeffizienzklasse A klassifiziert, das heißt,das Gebäu<strong>de</strong> wird weniger als 30 kWh/m 2 /a verbrauchen.Im Juni 20<strong>12</strong> wur<strong>de</strong> mit <strong>de</strong>n Bauarbeitenbegonnen; fertiggestellt wur<strong>de</strong> das Projekt <strong>im</strong>September dieses Jahres. Ab Oktober ziehen dieersten Bewohner ein.Das Bauvorhaben wur<strong>de</strong> <strong>im</strong> Rahmen <strong>de</strong>s regionalenImmobilienfonds „Fondo Fe<strong>de</strong>rale di Lombardia“realisiert – umgesetzt durch die „PolarisInvestment Italia SGR SPA“. In diesem Private-Public-Partnership-Mo<strong>de</strong>ll sind Banken, Unternehmenund die Region beteiligt. Auftrag <strong>de</strong>sFonds ist es, Wohnraum vor allem für wirtschaftlichbenachteiligte Familien o<strong>de</strong>r Einzelpersonenin <strong>de</strong>r Lombar<strong>de</strong>i zu schaffen. Das Projekt richtetsich in erster Linie an ein junges Publikum: großeund kleine Familien, Singles, junge Paare und behin<strong>de</strong>rteMenschen.Tragwerk aus Brettsperrholz„Via Cenni“ sieht neben <strong>de</strong>n vier neungeschossigenTürmen auch vier zweigeschossige Bauten vor, diedie Türme miteinan<strong>de</strong>r verbin<strong>de</strong>n. Gebaut wird inHolz-Massivbauweise mit großflächigen Brettsperrholzelementen(BSP-Platten). Das Holz dafürkommt hauptsächlich aus Österreich, aus <strong>de</strong>mSägewerk <strong>de</strong>r finnisch-schwedischen Firma StoraEnso in Bad St. Leonhard <strong>im</strong> Kärntner Lavanttal.Verbaut wur<strong>de</strong>n rund 6.100 m 3 Brettsperrholz,die mit rund 140 Lkw-Ladungen aus Kärnten angeliefertwur<strong>de</strong>n.Be<strong>im</strong> Projekt an <strong>de</strong>r „Via Cenni“ wur<strong>de</strong>n keineSpeziallösungen getestet, son<strong>de</strong>rn alle <strong>de</strong>rzeitverfügbaren Techniken opt<strong>im</strong>al genutzt, erklärtAndrea Bernasconi, Professor für Holzbau an <strong>de</strong>rFachhochschule Yverdon in <strong>de</strong>r Schweiz und Leiter<strong>de</strong>s für die BSP-Bauweise verantwortlichenIngenieurbüros Borlini & Zanini. Das Tragwerk<strong>de</strong>r Gebäu<strong>de</strong> besteht aus BSP-Platten und wur<strong>de</strong>geschossweise erstellt. Vorgefertigte Wän<strong>de</strong> undDecken bil<strong>de</strong>n ein so genanntes Kastentragwerk.Es ist auf einem Untergeschoss aus Stahlbeton verankert.Innen ist die Holzkonstruktion mit Gipskartonplattenverklei<strong>de</strong>t. Auf die Gebäu<strong>de</strong>hüllewur<strong>de</strong> eine Putzfassa<strong>de</strong> aufgebracht.Je<strong>de</strong>r <strong>de</strong>r vier Türme ist 27 m hoch und misst13,5 x 19 m <strong>im</strong> Grundriss. Äußerlich sind sich dieTürme sehr ähnlich. Dennoch wur<strong>de</strong> je<strong>de</strong>r einzelnberechnet. Auf diese Weise soll die Regelmäßigkeitin <strong>de</strong>r tragen<strong>de</strong>n Struktur gewährleistet wer<strong>de</strong>n.Diese Regelmäßigkeit ist nicht nur be<strong>im</strong> Grundriss,son<strong>de</strong>rn auch von Stockwerk zu Stockwerk strikteinzuhalten, so Bernasconi. Die Wandstärken variierenvon Stockwerk zu Stockwerk, innerhalbeines Stockwerks sind sie jedoch i<strong>de</strong>ntisch. Für dieWän<strong>de</strong> <strong>im</strong> Erdgeschoss wur<strong>de</strong> 20 cm dickes Brettsperrholzverwen<strong>de</strong>t. Nach oben hin abnehmendsind es <strong>im</strong> zweiten, dritten und vierten Stock nurnoch 18 cm und <strong>im</strong> Dachgeschoss <strong>12</strong> cm dickeElemente. Sämtliche Wan<strong>de</strong>lemente bestehen aus5-schichtigen BSP-Platten. Die Decken sind in je<strong>de</strong>mStockwerk unterschiedlich angeordnet. Aufdiese Weise sind die Lasten recht homogen auf dieWän<strong>de</strong> verteilt. Die Decken weisen unterschiedlicheSpannweiten auf. Für Spannweiten bis 5,8 mwur<strong>de</strong> 20 cm starkes Brettsperrholz eingesetzt,für solche bis 6,7 m 23 cm dicke Elemente.Das Tragwerk muss sämtliche Anfor<strong>de</strong>rungen anerdbebensicheres Bauen erfüllen, <strong>de</strong>nn Mailandgilt wie ganz Italien als Erdbebenzone. Für dieKonstruktion war daher eine Son<strong>de</strong>rgenehmigung<strong>de</strong>r obersten Zentralbehör<strong>de</strong> für das Bauwesenin Rom erfor<strong>de</strong>rlich. Um die Sicherheit bei einemErdbeben zu gewährleisten, entwickelten Bernasconiund sein Team eine neue Verbindungstechnik:kompakte T-Profile aus Stahl. Sie ersetzen dieherkömmlichen einzeln gesetzten Winkelprofile.Treppen und Liftschächte aus HolzIn <strong>de</strong>r „Via Cenni“ sind auch die Treppenhäuserund Liftschächte aus Brettsperrholz, <strong>de</strong>nn in Italiengibt es keine Son<strong>de</strong>rbest<strong>im</strong>mungen für <strong>de</strong>nBrandschutz bei Holzbauten. Die vorgeschriebeneBrandschutzklasse von 60 Minuten wur<strong>de</strong> durchdie Doppelbeplankung mit GipskartonplattenWi<strong>de</strong>rstandsklasse RE60 erreicht. In Deutschlandund Österreich, wo die Brandvorschriften strengersind, wer<strong>de</strong>n Treppenhäuser und Liftschächtemeist mit mineralischen Baustoffen ausgeführt.So bestehen Treppenraum und Aufzugsschacht<strong>im</strong> „Holz 8“, <strong>de</strong>m mit acht Geschossen höchstenHolzhaus Deutschlands in Bad Aibling aus Betonfertigteilen.Auch <strong>im</strong> <strong>de</strong>rzeit höchsten HolzhausÖsterreichs, einem siebengeschossigen WohnbauVia Cenni ist <strong>de</strong>rzeit <strong>de</strong>r größte mehrgeschossigeWohnungsbau aus Holz in Europa, Bild <strong>de</strong>r Bauphasein <strong>de</strong>r Wagramer Straße in Wien, wur<strong>de</strong>n die Treppenhauskerneaus Stahlbeton gefertigt.Hoch hinausDass ausgerechnet in Italien ein so hohes Holzhausgebaut wor<strong>de</strong>n ist, ist kein Zufall. In <strong>de</strong>r Planungsphasewar noch eine Son<strong>de</strong>rgenehmigung<strong>de</strong>r obersten Baubehör<strong>de</strong> Italiens erfor<strong>de</strong>rlich, daüber vier Stockwerke hinaus gebaut wur<strong>de</strong>. Doch<strong>im</strong> Dezember 2011 wur<strong>de</strong>n unter Präsi<strong>de</strong>nt MarioMonti die Höhenbeschränkungen für Holzbautenaufgehoben. Italien ist nicht das einzige Land, in<strong>de</strong>m die Bauhöhe keiner Beschränkung unterliegt.Das Gleiche gilt auch für Großbritannien – egal mitwelchem Material gebaut wird. Es ist daher nichtverwun<strong>de</strong>rlich, dass <strong>de</strong>r <strong>de</strong>rzeit höchste Holzbaumit neun Stockwerken in London steht. Das 2009gebaute Stadthaus Murray Grove ist 30 m hoch;seine acht Stockwerke aus Brettsperrholz sind aufeinem Sockelgeschoss aus Stahlbeton verankert.Selbst die zentral gelegenen Treppenhäuser undAufzugsschächte sind aus Holz. 2011 wur<strong>de</strong> mit<strong>de</strong>m Bridport House ein weiterer Achtgeschosserin <strong>de</strong>r britischen Metropole fertiggestellt. Erstmalswur<strong>de</strong> hier auch das Erdgeschoss in Holzausgeführt.Bauen mit Holz ist nicht billig. Oft liegen die Baukostenüber <strong>de</strong>nen <strong>de</strong>r herkömmlichen Bauweise.Bei <strong>de</strong>r „Via Cenni“ konnte jedoch <strong>de</strong>r vorgegebeneKostenrahmen eingehalten wer<strong>de</strong>n. Laut ArchitekturbüroRossi Prodi wird die Siedlung rund16 Mio. € o<strong>de</strong>r 1.100 bis 1.200 €/m 2 kosten.Auch aus diesem Grund ist „Via Cenni“ zweifellosein weiterer Höhepunkt in einer ganzen Reihe vonmehrgeschossigen Holzwohnbauten in europäischenMetropolen.Quelle: Architekturbüro Rossi Prodi, Florenz; Foto: Riccardo Ronchi<strong>12</strong> | <strong>2013</strong>31