Experimentelle Psychologie
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84 <strong>Experimentelle</strong> <strong>Psychologie</strong><br />
sollen. Doch steigt die Feinheit des Auflösungsvermögens<br />
mit der Stärke der einwirkenden Reize und mit der Größe des Helligkeitskontrastes<br />
zwischen den leuchtenden Punkten und dem Grund,<br />
unter günstigen Bedingungen bis zu einem Auflösungswinkel von 10".<br />
Für diesen Fall würde allerdings die obige Annahme der Trennung<br />
zweier Eindrücke durch ein dazwischen liegendes Netzhautelement<br />
nicht mehr ausreichen. Die Sehschärfe wird noch größer, wenn<br />
es sich darum handelt, die verschiedene Lage zweier Geraden zu<br />
erkennen; nach Hering deshalb, weil bei verschiedener Lage sofort<br />
eine andere Reihe von Netzhautelementen erregt wird. Die Sehschärfe<br />
ist am größten in der Netzhautmitte; bei 20° Entfernung ist sie (nach<br />
D o r) nur 1 in 40° nur<br />
/40 i jaM von dieser.<br />
,<br />
Unter „A ugenmaß" versteht man die Fähigkeit, Richtung und<br />
Größe einer Linie zu beurteilen. Im Zusammenhang mit unserem<br />
Grundproblem interessiert uns vor allem der Geradheitseindruck,<br />
den eine objektiv gerade Linie hervorruft. Er ist keineswegs<br />
immer vorhanden. Hält man ein Lineal so vor das Auge, daß man es<br />
fixiert und es gleichzeitig einen rechten Winkel zur Blicklinie bilden<br />
läßt, so erscheint das Lineal gerade. Verschiebt man es jedoch gegen<br />
den Fixationspunkt, so zeigt es eine konkave Krümmung gegen diesen.<br />
Den Ursprung des Geradheitseindruckes wollte Helmholtz aus den<br />
Augenbewegungen erklären; bewegt man das Auge einer geraden Linie<br />
entlang, so verschiebt sich das Netzhautbild in sich selbst, was bei<br />
einer gekrümmten nicht der Fall ist.<br />
Bei der Geraden entsteht so eine<br />
Linie, bei der gekrümmten müßte ein breites Band erzeugt werden. Allein<br />
wir erkennen die Gerade auch mit ruhendem Auge, und bei nicht allzu<br />
schneller Bewegung läßt auch die krumme Linie kein Band entstehen<br />
(B ü h 1 e r). Auch hier wird man mit Hering auf eine ursprüngliche<br />
Zuordnung bestimmt gelagerter Netzhautelemente zu dem Eindruck<br />
der Geradheit schließen müssen.<br />
4. Unvollkommenheiten des Einauges.<br />
Daß eine einäugig betrachtete, nicht fixierte Gerade als gebogen<br />
erscheint, und daß dementsprechend eine aus hyperbolischen Kurven<br />
hergestellte Schachbrettfigur unter bestimmten Bedingungen wie eine<br />
normale gesehen wird (Helmholtz), das sind Widersprüche zwischen<br />
der gegenständlichen Welt und ihrem psychischen Abbild,<br />
Empfindungsinadäquatheiten, wie österreichische Psychologen sich ausdrücken.<br />
Sie werden allerdings durch das zweiäugige Sehen und<br />
durch andere Hilfsmittel zumeist ausgeglichen. Eine andere Empfindungsinadäquatheit<br />
stellt sich heraus, wenn man eine Horizontale bei<br />
einäugiger Betrachtung nach dem Augenmaß teilen will. Der nach<br />
der Körpermitte zu gelegene Teil der Linie wird dann zu klein gemacht.<br />
Er hat also für das Auge einen größeren Wert als der andere Teil.<br />
Da aber sein Bild stets auf die nach auswärts gelegene Hälfte der