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Experimentelle Psychologie

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98 <strong>Experimentelle</strong> <strong>Psychologie</strong><br />

allmählich zu einer Raumanschauung in demselben Sinne wie<br />

die Sehenden gelangen. Operierte Blindgeborene sind näm*<br />

lieh durchaus nicht der Ansicht, daß sie mit der nunmehr<br />

optisch vermittelten Raumanschauung etwas absolut Neues<br />

in sich aufnähmen. Ebenso spricht dagegen die Existenz<br />

blindgeborener Mathematiker, die sich ohne besondere<br />

Schwierigkeit die doch aus dem anschaulichen Raum gewon*<br />

nenen geometrischen Begriffe aneignen. Auch die Modellier*<br />

und Schnitzleistungen Blindgeborener wären ohne persön*<br />

liehe Raumanschauung kaum zu verstehen.<br />

Mit der Raumanschauung ist nun zunächst gegeben, daß<br />

eine Vielheit benachbarter Tastempfindungen einen flächen*<br />

haften Eindruck bewirkt. Allerdings ist die simultane Erfas*<br />

sung der Flächen nicht sonderlich entwickelt. Viel leichter<br />

ist die Erkennung punktförmiger Eindrücke, weshalb auch<br />

die dem Blinden am meisten entsprechende (Braille sehe)<br />

Schrift punktförmige Reize verwertet, die in der Zahl von<br />

1 bis 6 nach Art der Dominofiguren angeordnet sind. Um<br />

die Form eines flächenhaften Reizes, etwa eines Polygons aus<br />

Karton, zu erkennen, führt der Blinde Tastzuckungen längs<br />

der Umrisse aus. Damit verwandelt er freilich die simultane<br />

Auffassung in eine sukzessive und führt gleichzeitig höhere<br />

psychische Prozesse ein, die wir jetzt noch nicht analysieren<br />

können. Körperliche Objekte kleineren Umfanges lehrt ihn<br />

das umschließende Tasten kennen. Hier treten zu den Ein*<br />

drücken des Hautsinnes diejenigen der Bewegungssinne.<br />

Zweifellos vermag der Tastsinn allein eine Anschauung von<br />

der dritten Dimension nicht zu geben. Ebenso sicher ist die<br />

Mitwirkung des kinästhetischen Apparates. Wie jedoch im<br />

einzelnen die dreidimensionale Raumanschauung des Blinden<br />

zustandekommt, ist uns noch weniger durchsichtig, als es bei<br />

dem Gesichtssinn der Fall war. Zur genaueren Untersuchung<br />

der räumlichen Verhältnisse dienen sodann bei kleineren<br />

Maßen die Finger mit ihren Konvergenzbewegungen, bei<br />

größeren die ebenso fungierenden Arme. Damit ist auch der<br />

Umfang des vom Blinden leicht zu beherrschenden Anschau*<br />

ungsraumes gegeben. Größere Räume kann er durch Schritt*<br />

bewegungen in die Länge und Breite sowie durch Steig* oder

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