Experimentelle Psychologie
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<strong>Experimentelle</strong> <strong>Psychologie</strong><br />
schaft, werden gewisse Handlungen, und mögen sie auch nur<br />
innere Willensakte sein, für erlaubt, andere für nicht<br />
erlaubt gehalten, und manche der erlaubten gelten als gut,<br />
während alle nicht erlaubten als b ö s e beurteilt werden. Und<br />
zwar werden diese Urteile einschränkungslos gefällt. Ferner<br />
fühlen wir uns bedingungslos zu gewissen guten Handlungen<br />
verpflichtet und von der Vollbringung böser abge*<br />
schreckt. Über beides belehrt uns unser Gewissen. Die<br />
Stimme dieses Gewissens lautet wenigstens in seinen elemen?<br />
tarsten Forderungen bei allen Menschen aller Zeiten und<br />
aller Rassen gleich, in Einzelfällen jedoch kann dem einen<br />
eine Tat als sittlich erscheinen, die dem anderen ein<br />
Greuel ist.<br />
Mit den genannten Erscheinungen befaßte sich bisher vor allem<br />
die Ethik, während sie neuerdings von manchen Psychologen als zu<br />
ihrem Gebiet gehörig beansprucht werden. Pflichtbewußtsein, Gewissen<br />
und Gewissensbisse, Befriedigung und Reue sind nun zweifellos<br />
seelische Vorkommnisse, über deren Entstehung zunächst der Psychologe<br />
Auskunft geben muß. Aber gehört auch das ganze System der<br />
ethischen Sätze in die <strong>Psychologie</strong>? Das wird wohl ganz von dem<br />
Ursprung dieser Sätze abhängen. Sind sie in der Hauptsache von<br />
nicht-seelischen Sachverhalten abstrahiert, so fallen sie außerhalb des<br />
Rahmens der <strong>Psychologie</strong> geradeso wie die Sätze der Mathematik, der<br />
Völkerkunde, des Rechts. Sind sie aber nur aus dunklen Gefühlen,<br />
angeborenen Instinkten und undurchsichtigen latenten Einstellungen<br />
hervorgegangen, dann muß die <strong>Psychologie</strong> über jeden einzelnen von<br />
ihnen Rechenschaft geben, und die Ethik wäre höchstens eine Zusatzwissenschaft<br />
der <strong>Psychologie</strong>, die gewissermaßen das Inventar dieser<br />
Sätze aufzunehmen und über die zwischen ihnen obwaltenden Beziehungen<br />
zu spekulieren hätte. Trifft jedoch diese Auffassung nicht<br />
das Richtige, dann hat der Psychologe nur die allgemeinen Quellen zu<br />
bezeichnen, denen die ethischen Einsichten — denn das müssen sie in<br />
diesem Falle sein — entspringen, und die auffallendsten Züge des sittlichen<br />
Lebens verständlich zu machen.<br />
Es wäre nun mit keinerlei Tatsachen zu belegen, wollte man das<br />
sittliche Bewußtsein aus einem apriorischen sittlichen Gefühl ableiten.<br />
Gefühle bauen sich ja immer auf Erkenntnisgrundlagen auf. Schon<br />
eher könnte man etwa wegen der bei Tieren zu beobachtenden Anhänglichkeit<br />
zwischen Alten und Jungen an Instinkte denken. Und zweifellos<br />
ist auch die menschliche Eltern- und Kindesliebe von instinktiven<br />
Trieben stark gefördert. Allein der Instinkt — und dasselbe gälte<br />
von ererbten oder anerzogenen Gewohnheiten und latenten Einstellungen<br />
— verleiht wohl eine triebhafte Neigung zu einer bestimmten Ver-