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Experimentelle Psychologie

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Das Gebet 277<br />

2. D a s Gebet.<br />

Aus demselben rationalen Ursprung, dem der Gottes*<br />

glaube erwächst, entspringt auch das Gebet. Überzeugt sein<br />

von der Existenz eines überweltlichen höheren Wesens, in<br />

dessen Hand man mitsamt der Welt auf Gnade und Ungnade<br />

gegeben ist, und sich bittweise an es wenden, das sind zwei<br />

Dinge, die durchaus logisch Zusammenhängen. Das Irratio*<br />

nale kommt hier, wie bei der Sitte, erst dadurch hinein, daß<br />

die Gebetsweise sich nicht in gleichem Schritt mit dem<br />

Gottesbegriff entwickelt, sondern wie alles in anschauliche<br />

Formen Gekleidete und Fixierte jeder Abänderung größeren<br />

Widerstand entgegensetzt. So glaubt man zwar allmählich<br />

an die Allgegenwart des höchsten Wesens, vermeint aber mit<br />

lautem Rufen wirkungsvoller zu beten. Auch die Zufällig«<br />

keiten der Assoziationen bedingen hier wie beim Denken<br />

überhaupt manch irrationales Moment: der fortgeschrittene<br />

Gottesbegriff enthält zwar das Attribut der Unveränderlich?<br />

keit, dem naiven Beter ist es aber oft so, als müsse er Gott<br />

von einem vorgefaßten Entschluß erst abbringen.<br />

Vom Gebet zum Opfer ist nur ein kleiner Schritt, zu<br />

dem auch ganz ähnliche Überlegungen und Affekte vermögen.<br />

Hier setzt aber auch der soziale Faktor ein. Das gemeinsame<br />

Anliegen einer Familie eines Stammes führt zu gemeinsamem<br />

Gebet und gemeinsamem Opfer.<br />

Damit erhält auch die ge*<br />

meinsame Überzeugung einen Ausdruck und eine Festlegung:<br />

die Volksreligion entsteht und wird, wie jede andere Ge*<br />

wohnheit und Sitte, zur maßgeblichen, die Allgemeinheit be*<br />

stimmenden und zwingenden Norm, an der man nicht rühren<br />

kann, ohne sich zugleich an, den heiligsten Interessen der<br />

Gesamtheit zu vergreifen.<br />

Eine ganz andere Form als dieses jedem Menschen natür*<br />

liehe Bittgebet samt dem naturgemäß zu ihm gehörenden<br />

Lob* und Dankgebet entwickelt sich aus dem lebendigen<br />

Glauben an Gottes Nähe und aus dem lebendigen Bewußt*<br />

sein von dem überragenden Werte Gottes: das beschauliche<br />

oder mystische Gebet. Es will uns nicht einleuchten, daß,<br />

wie E. Lehmann meint, der Wunsch, an Gottes Kraft teil*

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