Experimentelle Psychologie
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Die Raumlokalisatiön im allgemeinen 115<br />
Wenn man<br />
aus der Erfahrung bekannten Orte der peripheren Reizung.<br />
hier von einem „Gesetz der exzentrischen Projektion“ redet, darf man<br />
nicht glauben, wir nähmen den Reiz zuerst innerhalb der Nervenbahn<br />
wahr und verlegten ihn dann wieder hinaus an das Nervenende, sondern<br />
unmittelbar mit der Erregung des Nerven taucht das Bild der<br />
durch die Erfahrung bekannten normalen Reizungsstelle wieder auf.<br />
Es ist somit dieses Gesetz nur ein besonderer Fall des allgemeinen<br />
Lokalisationsgesetzes. Hiermit erklären sich auch einfach die bekannten<br />
Täuschungen Amputierter, die in den vielleicht schon Jahre lang<br />
abgenommenen Gliedern noch Schmerz und Druck u. ä. zu empfinden<br />
meinen. ^<br />
j<br />
Aus dem allgemeinen Lokalisationsgesetz versteht man auch die<br />
scheinbare Raumwahrnehmung anderer Sinne. In Wirklichkeit<br />
bietet nur der Gesichts- und der Tastsinn räumliche Inhalte.<br />
Wer beide Sinne entbehrte, könnte nie zu einer Raumanschauung gelangen.<br />
Sie bliebe ihm ebenso unbekannt wie dem Blindgeborenen die<br />
Farben. Die richtige Lokalisation der Geschmacks-, Schmerz- und<br />
Temperaturreize (wobei bemerkt sein mag, daß die Lokalisation um so.<br />
schärfer ist, je lebenswichtiger der Reiz) bedarf keiner weiteren Erläuterung.<br />
Der Raum, der sich aus solchen einzelnen Raumdaten ergeben<br />
könnte, wäre beim Sehenden letztlich nur der Gesichtsraum, beim<br />
Blindgeborenen der Tastraum. Das nämliche gilt aber auch vom Ohr,<br />
das uns über die Entfernung und Richtung unsichtbarer Schallquellen<br />
benachrichtigt. Die besondere Aufgabe der Forschung besteht hier<br />
nur darin, die empirischen Anhaltspunkte zu ermitteln, nach denen im<br />
einzelnen Entfernung und Richtung der Schallquelle beurteilt wird.<br />
Ein erster Anhaltspunkt für die Entfernung ist die Intensität des Reizes:;<br />
je schwächer ein bekannter Reiz, um so weiter muß er entfernt sein.<br />
Es besteht hier ein ganz ähnliches Verhältnis wie zwischen der Sehgröße<br />
und der Entfernung. Darum kann man sich auch hier ebenso<br />
täuschen wie dort: ein, leises Pochen an der Türe erscheint als furchtbarer,<br />
doch weit entfernter Kanonendonner, und auch das Umgekehrte<br />
bleibt an sich möglich, je nachdem wir entweder die tatsächliche Entfernung<br />
oder die wirkliche Stärke des Schallreizes falsch ansetzen. In<br />
Wirklichkeit zeigt sich indes nicht immer dieses einfache Verhältnis<br />
eingehalten. Gleichartige, aber verschieden starke Töne werden nicht<br />
notwendig in verschiedene Entfernung lokalisiert. Zu dieser Verbesserung<br />
der Lokalisation verhelfen die jeden Ton begleitenden Obertöne*<br />
Diese sind bekanntlich nicht alle gleich laut und werden darum je in<br />
verschieden weiter Entfernung unhörbar: die niederen verstummen<br />
zuerst. Aus diesem Umstand entwickelt sich ein tatsächlich benutztes,<br />
aber als solches nicht erkanntes Kriterium für die Schätzung der Entfernung.<br />
Ernst Mach hat das mit einem treffenden Ausdruck als<br />
die „Luftperspektive für Töne“ bezeichnet. Deshalb läßt sich auch umgekehrt<br />
durch Verstärkung der Obertöne eines Klanges der Eindruck<br />
größerer Entfernung erzielen. Von höchster Bedeutung für die Loka-<br />
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