15.04.2018 Aufrufe

GRO GRATISROMAN_Taschenbuch_MUSTER

  • Keine Tags gefunden...

Erfolgreiche ePaper selbst erstellen

Machen Sie aus Ihren PDF Publikationen ein blätterbares Flipbook mit unserer einzigartigen Google optimierten e-Paper Software.

der Ärzte, wurde sie daraufhin nach Hause entlassen.<br />

Dort nahm sie bereits nach wenigen Stunden die Zyankalikapsel zu<br />

sich, die sie offenbar schon vor längerer Zeit bei einer Organisation<br />

gekauft hatte, die für humanes Sterben eintrat. Außer mit ihrem kurz<br />

gehaltenen Brief hatte sie sich von niemandem verabschiedet.<br />

Da Charlotte nicht Mitglied einer Kirche war, predigte kein Pfarrer auf<br />

ihrer Beerdigung. Eine freiberufliche Rednerin hielt die Trauerrede.<br />

Isolde Berger war eine elegante Dame Mitte fünfzig, der man anmerkte,<br />

dass sie Charlotte persönlich gekannt hatte. Die Betroffenheit über<br />

ihren Tod war ungekünstelt und absolut glaubhaft. Dies übertrug sich<br />

auf die Trauergesellschaft und ging von dort zurück. Wir alle schienen<br />

wie in einem Kreis miteinander verbunden. Niemals zuvor hatte ich<br />

an einer solchen Beerdigung teilgenommen.<br />

Und dieses Gefühl geschlossener Trauer war es vielleicht auch, das es<br />

am Ende möglich machte, dass sich auf dem Weg von der Kapelle zum<br />

Grab etwas fast Gelassenes über uns alle legte. Etwas, zu dem nichts<br />

so gut passte wie der wunderbare Sonnenschein und die Vögel, die<br />

in den Bäumen ihr Liedchen trällerten und so das Leben selbst anpriesen.<br />

Als wir vor dem geöffneten Grab standen, gingen mir noch einmal die<br />

Worte Isolde Bergers durch den Kopf. Das Besondere daran war die<br />

große Offenheit gewesen. Auch die heiklen Punkte, die es im Leben<br />

jedes Verstorbenen gibt und die sonst auf Beerdigungen hinter mehr<br />

oder weniger vagen Andeutungen versteckt werden, hatte sie angesprochen:<br />

„Vor allem hat Charlotte es nie wirklich verwunden, dass sie nach<br />

einem schlimmen Streit mit ihrem Mann vor seinem plötzlichen Tod<br />

keine Gelegenheit mehr zur Versöhnung hatte. Sie machte sich unglaubliche<br />

Vorwürfe, weil sie sich schuldig fühlte an diesem Streit. Ob<br />

sie es wirklich war oder nicht, erscheint dabei fast unwichtig, denn sie<br />

selbst fühlte sich schuldig.“<br />

Danach hatte sie eine Pause von vielen Sekunden gemacht.<br />

„Aber die Geschichte geht weiter“, sagte sie schließlich und manch<br />

94

Hurra! Ihre Datei wurde hochgeladen und ist bereit für die Veröffentlichung.

Erfolgreich gespeichert!

Leider ist etwas schief gelaufen!