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Juni KONTAKT <strong>1996</strong><br />
Gedanken<br />
Der Zeitgeist scheint es mit unserer Kirche<br />
nicht gut zu meinen. Es fällt auf, daß nach dem<br />
Fernbleiben der Männer, nun auch immer mehr<br />
Frauen und Jugendliche nicht mehr zum<br />
Gottesdienst kommen. Was ist los? Finden sie in<br />
der Kirche nicht mehr das, was sie bestärkt und<br />
ihren Erwartungen entspricht? Vielleicht fängt<br />
es bei den kleinen Dingen an. Manchmal stelle<br />
ich mir die Frage, ob wir als Seelsorger<br />
vielleicht zu wenig die Sorgen und Nöte unserer<br />
Mitchristen sehen? Womöglich kommt auch das<br />
persönliche Gespräch zu kurz. Finden wir<br />
Antworten, die Leben helfen?<br />
Viele Beziehungen gehen in unseren Tagen<br />
kaputt, weil sich die Partner überfordern und im<br />
Umgang nicht auf die Kleinigkeiten achten. Es<br />
werden ja ungeheuer viele Ehen geschieden.<br />
Ehen, die einmal aus Liebe geschlossen wurden.<br />
Jeder meint, er könnte dem anderen<br />
alles zumuten. Er bräuchte ein Wort<br />
der Kritik nicht vornehm in ein<br />
Kompliment einwickeln, er könnte<br />
vom anderen selbstverständlich<br />
fordern, er könnte sich der Liebe<br />
des anderen sicher sein. Und dann<br />
bringt er keine überraschenden<br />
Kleinigkeiten mehr mit nach Hause;<br />
dann entschuldigt er sich nicht,<br />
wenn er zu spät kommt; dann ruft<br />
er nicht an, wenn er weiß, der andere wartet.<br />
Kleinigkeiten machen alles kaputt, wie auch<br />
umgekehrt Kleinigkeiten entscheidend sind für<br />
das Glück.<br />
Entscheidend für jede Beziehung ist das<br />
Klima. Ein christliches Klima erkennt man an<br />
einer Atmosphäre des Vertrauens. Es bedarf<br />
großer Anstrengungen; denn von Haus aus ist<br />
jeder von uns ein geborener Egoist. Und die<br />
Weise, sich zu behaupten, ist sehr diffizil. Meist<br />
haben wir Argumente. Aber oft laufen<br />
unterschwellige Mechanismen, die wir umso<br />
perfekter beherrschen, je unsicherer wir sind.<br />
Zum Beispiel kann es sein, daß wir einen<br />
Konkurrenten, der uns verunsichert, abqualifizieren,<br />
oder wir weisen ihm die Schuld zu.<br />
Vielleicht sollten wir in unserem<br />
Zusammenleben in Familie und Pfarre zwei<br />
Dinge besser beachten: Wir sollten versuchen,<br />
unsere eigenen Ängste und Strebungen zu<br />
2<br />
erforschen. Wo habe ich meine Wunden, wo<br />
habe ich meine geheimen Wünsche? Wo fühle<br />
ich mich angegriffen? Wo stelle ich Stacheln<br />
auf? Und beim Erkennen meiner eigenen Ängste<br />
und Sehnsüchte werde ich dann meine<br />
Beziehung zu Gott intensivieren. Herr, Du<br />
trägst mich doch! Warum bin ich unsicher?<br />
Warum habe ich Angst, angegriffen zu werden?<br />
Und dann ist noch ein zweites zu bedenken: der<br />
Andere. Warum agiert er so? Warum bekämpft<br />
er mich in diesem Punkt? Wo sind seine-Ängste,<br />
und wo sind seine Sehnsüchte? Was steht hinter<br />
seinen Argumenten eigentlich als Wunsch und<br />
als Interesse? Denn meist verbergen sich hinter<br />
Theorien und Gründen ganz ursprüngliche<br />
Ängste und Wünsche. Und auch dort, wo wir<br />
als christliche Gemeinde zusammenkommen,<br />
geht es wohl zuerst darum, daß man sich sicher<br />
fühlt und mit seinen Interessen am besten<br />
aufgehoben weiß.<br />
Als pfarrliche Gemeinde sollten<br />
wir versuchen, vor allem Angst<br />
abzubauen und Vertrauen zu lernen.<br />
Hilfreich kann dazu in jedem Fall<br />
das Gespräch sein. So schreibt uns<br />
der Apostel Matthäus: „Wenn du<br />
merkst, daß dein Bruder etwas<br />
gegen dich hat, so geh und versöhn<br />
dich zuerst mit ihm."<br />
Diese alte christliche Regel weiß,<br />
daß der persönliche Kontakt von<br />
Aug zu Aug mehr Gesichtspunkte sehen läßt als<br />
eine papierene Mitteilung. Und man entdeckt im<br />
anderen nicht nur den Rivalen, sondern auch<br />
den Verängstigten, den Sympathischen und den<br />
Bruder. Und es wächst Vertrauen.<br />
Möge es uns gelingen, untereinander immer<br />
mehr ins Gespräch zu kommen. Das wünsche<br />
ich uns allen in unseren Familien und in unserer<br />
großen Pfarrfamilie. Ihr<br />
Diakon Peter Graf<br />
Impressum:<br />
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