Kulturschock Unterwegs im TGV... Denke ich an das Bahnfahren in Frankreich, muss ich immer ein bisschen schmunzeln. Irgendwie hat die französische Bahn eine Art sich zu präsentieren, die mich als Deutschen etwas erstaunt. Da sind zum einen die knalligen Bonbonfarben, mit denen die SNCF wirbt. Und dann die Website. Sie ist grellbunt und etwas überladen mit Animationen – wenn man die Unaufgeregtheit der Website der Deutschen Bahn gewohnt ist, kommt man sich eher wie auf einer Seite zum Download von Klingeltönen vor. Aber was kümmern mich die Farben – Hauptsache, ich komme schnell von A nach B. Und dafür ist der Hochgeschwindigkeitszug TGV das Aushängeschild der französischen Bahn. Mit ihm kann man in sensationellen drei Stunden von Paris nach Marseille fahren! Man stelle sich vor, in drei Stunden von Hamburg nach München zu reisen. In Deutschland undenkbar! Bei uns hält der ICE alle halbe Stunde einmal an – in Frankreich braust er mit wenigen Halten durch das Land. Und dabei sind die Preise der französischen Staatsbahn im Vergleich zur Deutschen Bahn recht moderat gehalten. Eine etwas eigene Spezies sind allerdings die französischen Schaffner. Ein französischer Schaffner hat nämlich andere Dinge zu tun, als ein deutscher. Er geht während der Fahrt durch die Gänge und fragt, ob alles in Ordnung sei und ob jemand noch ein Ticket benötige. Er knipst die Tickets aber nicht ab, denn das Entwerten der Fahrkarten übernimmt der Fahrgast selbst. An jedem Bahngleis stehen mehrere dieser kleinen gelben Automaten, an denen man seine Fahrkarte selbst abstempeln muss. « Compostez votre ticket » steht darauf. Jedes Mal habe ich die alberne Vorstellung, dass ich mein Ticket auf einen Komposthaufen werfen soll. Soll ich natürlich nicht, ich soll meine Fahrkarte entwerten. So ganz verstehe ich dieses System nicht: Man kauft ein Ticket, entwertet es vor Fahrtantritt selbst und trifft auf einen Schaffner, der einen eigentlich nicht kontrolliert. Obwohl, mittlerweile hat sich das geändert. Seit einem Jahr kontrollieren die Schaffner jeden Reisenden. Nur das Entwerten, das haben weiterhin die Fahrgäste selbst zu erledigen. Übrigens, die etwas gewöhnungsbedürftigen grellblauen Uniformen der Schaffner werden demnächst durch eine neue Kreation von Christian Lacroix ersetzt. Bei meiner ersten Fahrt im TGV überrascht mich noch so einige. Ich bin auf dem Weg von Paris nach Marseille und staune nicht schlecht, dass die SNCF für diese Strecke Doppelstockzüge einsetzt. Als ich durch den Zug gehe und dabei das « Erdgeschoss » benutze, stecke ich ganz schnell in der Sackgasse. Denn in den französischen Doppelstock-TGV sind die Durchgänge nur in der zweiten Ebene vorgesehen. Verwundert bin ich auch, dass das blitzschnelle moderne Gefährt innen doch etwas spartanisch eingerichtet ist. Die Sitze sind ein bisschen zu eng und ich suche vergebens einen Hebel, um die Position der Lehne zu verändern. Auch wenn die Fahrtzeit nach Marseille nur drei Stunden beträgt, bekomme ich bald Appetit auf einen kleinen Snack und ich begebe mich zum Restaurant, welches sich aber als eine Art Stehimbiss entpuppt. Zwar kann man ein paar warme Gerichte kaufen, muss die ziemlich überteuerten Gerichte aber im Stehen einnehmen. Heute weiß ich, dass man in der 1. Klasse auch am Platz bedient wird – wenn man bereits beim Ticketkauf diesen Service nachgefragt hat. Dem Fahrgast wird dann ein warmes Standardmenü serviert. Dafür wiederum gibt es im Zug verteilt mehrere Getränkeautomaten, an denen Kaffee und andere heiße Getränke zu haben sind. Das ist ein Service, den ich in Deutschland auch gerne hätte – wie oft musste ich schon Kaffeebecher durch etliche Abteile jonglieren, wenn ich vom Zugrestaurant kam. Einen Service bietet die französische Bahn seit Neuestem, der mich nun wirklich verblüfft. Mit der Aktion SmOS (www.tgv.dilelui.com) sorgt die SNCF für das Liebesglück ihrer Fahrgäste. Hat man nämlich einen Mitreisenden sympathisch gefunden, sich aber nicht getraut, ihn anzusprechen, kann man jetzt auf der Website der SNCF eine Annonce aufgeben. Über 1.500 Einträge der folgenden Art soll es schon geben: « Habe Dir auf der Strecke Paris-Nantes gegenüber gesessen. Du hast die ganze Zeit telefoniert und dabei so süß gelächelt. Würde Dich gerne näher kennenlernen. » Und damit der oder die Betreffende auch genau weiß, wer ihm da schreibt, kann man der Suchanfrage ein Passbild hinzufügen. Kann es eine überzeugendere Bestätigung dafür geben, dass Frankreich das Land der Liebe ist? Die Zeichnung in der letzten Ausgabe war eine Reminiszenz an Frédéric Rouvillois, Autor des Buches « Geschichte der Höflichkeit ». Und dieses Mal? 44 · Frankreich erleben · <strong>November</strong> / <strong>Dezember</strong> <strong>2008</strong>
Frankreich erleben · <strong>November</strong> / <strong>Dezember</strong> <strong>2008</strong> · 45