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Society 379

The latest issue of SOCIETY features Portugal as a focus country. It also has interviews with the new Ambassadors of Afghanistan, Ireland and Kazakhstan. Other topics are the countries of the Western Balkans, EU and culture.

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SOCIETY<br />

Zufällig nach<br />

Portugal verschickt<br />

5.402 Kinder wurden zwischen 1947 und 1956 von der<br />

österreichischen und portugiesischen Caritas von<br />

Österreich nach Portugal verschickt. Gerhard Schiesser,<br />

heute 82 Jahre alt, war eines davon.<br />

Wie kam es dazu, dass Sie als achtjähriges<br />

Kind nach Portugal verschickt<br />

wurden?<br />

Das war damals eine sehr schlechte<br />

Zeit in Österreich, es herrschte Hungersnot.<br />

Mein Vater war im Krieg, dann<br />

in Gefangenschaft und kam erst im<br />

Jahr 1948 nach Hause. Im gleichen Jahr<br />

kontaktierte uns die Caritas Österreich.<br />

Man trat an Familien heran, die Probleme<br />

mit der Ernährung und der Betreuung<br />

ihrer Kinder hatten. Dann hieß es:<br />

„Wir könnten Ihren Sohn nach Portugal<br />

schicken.“ Das war eine große Überraschung,<br />

damals war das ein wahnsinnig<br />

weiter Weg und man wusste in Österreich<br />

kaum etwas über das Land.<br />

Wie verlief die Reise und wie war die<br />

Ankunft für Sie?<br />

Die Reise war recht abenteuerlich. Wir<br />

fuhren mit dem Zug von Wien nach<br />

Genua – ungefähr 2000 Kinder waren in<br />

unserem Transport dabei. Wir erreichten<br />

Lissabon per Schiff von Genua aus.<br />

Ich erinnere mich heute noch an den<br />

Namen: Mouzinho – ein uralter Frachter.<br />

In Lissabon gingen wir an Land und<br />

wurden im erzbischöflichen Palais verköstigt.<br />

Ein Teil des Transports blieb in<br />

der Hauptstadt und deren Umgebung,<br />

einige Kinder wurden in verschiedenen<br />

Klöstern untergebracht, ein anderer<br />

Teil wurde nach Porto geführt – darunter<br />

auch ich. Dort wurden wir von<br />

Pfarrern, Personen, die der Kirche sehr<br />

nahe standen oder von Eltern ausgesucht.<br />

Natürlich waren das anständige<br />

Familien, von denen man wusste, dass<br />

die Kinder dort gut betreut werden<br />

würden – vor allem gesundheitlich. Bei<br />

mir stellten die portugiesischen Ärzte<br />

fest: „Der Bub wird sicher keine 16 Jahre<br />

erreichen.“ Ich bekam dann tagtäglich<br />

ein Rührei mit Zucker. Man versuchte,<br />

mich aufzupäppeln, was ihnen ganz gut<br />

gelang. Meine Eltern wussten nicht,<br />

wann ich wiederkomme. Es hätten drei,<br />

vier Monate sein können und dauerte<br />

letztlich elf Monate, weil man auf einen<br />

Gegentransport warten musste. Ich<br />

wurde von einem Pfarrer in eine kleine<br />

Ortschaft gebracht, die Santa Maria de<br />

la Lamas hieß, wo die Verhältnisse ärmlich<br />

waren. Täglich gingen die Kindern<br />

in den Wald, um für die offenen Feuerstellen<br />

Eukalyptusäste,- und -Rinden<br />

zu sammeln. Der Pfarrer brachte mich<br />

zum Haus seines guten Freundes<br />

Henrique Amorim, der mein Pflegevater<br />

wurde. Dessen Familie hatte eine kleine<br />

Korkfabrik und war dadurch wohlhabend.<br />

Dass ich genau dorthin kam, war<br />

rein zufällig. Das Leben ist vom Zufall<br />

geprägt. Wenn man die Chance hat<br />

und diese nicht beim Schopf packt,<br />

dann ist es vorbei. Bei der Familie<br />

Amorim begann dann mein Abenteuer<br />

in Portugal, das eigentlich mein ganzes<br />

Leben gestaltete.<br />

Wie waren Ihre ersten Eindrücke von<br />

Portugal und den Portugiesen?<br />

Als junger Mensch, der hungrig nach<br />

Portugal kam, war das Essen das Wichtigste.<br />

Was uns alle begeisterte – darüber<br />

habe ich mit vielen Freunden gesprochen<br />

– das waren die Südfrüchte.<br />

In der Zeit um 1948 kannten wir Kinder<br />

weder Orangen noch Bananen. Das war<br />

für uns etwas so Sonderbares, Exotisches!<br />

Sich an einen schön gedeckten<br />

Tisch setzen zu können und dann ein<br />

wirklich gutes Mahl zu bekommen war<br />

für einen Wiener, der getrocknete Erbsen<br />

und Trockengemüse essen musste,<br />

damit er nicht verhungert, wirklich<br />

grandios. Und ein eigenes Zimmer mit<br />

Badezimmer – das waren für uns unvorstellbare<br />

Konditionen. Uns kam der<br />

Aufenthalt wie im Paradies vor. Die Portugiesen<br />

sind mir sehr freundschaftlich<br />

in Erinnerung geblieben, speziell mein<br />

Pflegevater Henrique Amorim. Er war<br />

ein unverheirateter Mann in den besten<br />

Jahren, ein Geschäftsmann, der viel<br />

mit dem Auto unterwegs war. Dadurch<br />

sah ich schon in jungen Jahren viel von<br />

Portugal. Wenn er mit den Ministerien<br />

in Lissabon zu tun hatte, durfte ich<br />

mit seinem Citroen 11 CheVaux nach<br />

Lissabon mitfahren. Das war hochinteressant<br />

und ein richtiges Abenteuer<br />

für mich.<br />

Wie erlebten Sie die kulturelle und die<br />

sprachliche Umstellung?<br />

Ich kam mit einem kleinen Köfferchen<br />

nach Portugal und hatte kaum etwas<br />

anzuziehen. Unter anderem hatte ich<br />

eine Lederhose, die bei uns in Österreich<br />

tagtäglich getragen wurde und<br />

auch dementsprechend aussah. Tia<br />

Rosa, die Schwester von Herrn Amorim,<br />

Fotos: Gerhard Schiesser<br />

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