Franz Schlegelberger - Staatssekretär im Reichsjustizministerium
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heute noch gibt, oder welche gar etwas anordnete, was wir heute als offenen<br />
Rechtsbruch ansehen würden.<br />
2. Normstaat und Maßnahmestaat<br />
Fraenkel hat den nationalsozialistischen Staat als Doppelstaat 57 beschrieben. Danach<br />
zerfiel dieser in zwei parallele Systeme. In dem „Normsystem“ wurde der Rechtsstaat<br />
nach 1933 unverändert fortgeführt. Hier entstehen normale Gesetze und werden normal<br />
rechtsstaatlich angewendet. Abstraktes Recht, etwa die formal irgendwie weitergeltende<br />
We<strong>im</strong>arer Reichsverfassung, gab dem Deutschen Reich auch in der NS-Zeit seine<br />
äußere, sichtbare Struktur. Parallel dazu entwickelte sich der „Massnahmestaat“ etwa in<br />
Gestalt von der Justiz entzogenen Polizeibehörden (Gestapo). Hier wird in den<br />
verwaltungsrehtlichen Formen des Rechststaates (RechtsVO, Verwaltungsakte, Erlasse,<br />
Richtlinien, schlichtes Verwaltungshandeln) die neue Ordnung des NS- Staates<br />
durchgesetzt. 58 Der Bürger merkt das erst allmählich. Strukturen und Begriffe<br />
erzeugen eine Stabilitätsilluion. Ein Begriff, der gestern A bedeutete, muss doch auch<br />
heute A bedeuten. Unveränderte äußere Formen täuschen daher unveränderte<br />
Verhältnisse vor. Das spätrömische Kaiserreich war in seinen Formen <strong>im</strong>mer noch die<br />
alte Republik, und die DDR hatte wie auch die Sowjetunion eine durchaus freiheitliche<br />
Verfassung. 59 In Diktaturen sind dadurch gekennzeichnet, dass sie Stabilitätsillusion<br />
nähren, dabei aber den Prozess der innernen Aushöhlung von positiv beetzten Begriffen<br />
und Strukturen, den „Formentleerungsprozess“, nicht allmählich sondern zeitlich<br />
forcieren. Je schneller das geschieht, desto weniger kann der Zeitgenosse der<br />
Entwicklung folgen, er kommt dann gar nicht mehr mit und verharrt in seiner<br />
Stabilitätsillusion. Er denkt bei z. B. bei dem Begriff „Verfolgung von Straftätern“ an<br />
die Verfolgung von Diebstahl usw., hat aber nicht gemerkt, dass inzwischen auch<br />
Privatgespräche strafrechtlich relevant sein können, nämlich nach dem He<strong>im</strong>tückeG 60 .<br />
Die Übergänge sind dabei fließend. Infolge des Ermächtigungsgesetzes 61 konnte die<br />
Reichsregierung (nicht der Reichskanzler/Führer allein) Gesetze ohne Parlament, also<br />
praktisch wie Verordnungen erlassen. Dieses Ermächtigungsgesetz war an sich nicht<br />
ungewöhnlich und war, wenn auch unter tumultuarischen Umständen, in den Formen<br />
der Reichsverfassung erlassen worden. Bereits unter Reichspräsident Ebert hatte es<br />
Ermächtigungsgesetze gegeben. Aus Sicht heutiger Jutisten verstießen<br />
Ermächtigungsgesetze zwar gegen die WRV. Die damalige Rechtslehre sah das<br />
57 Fränkel, Ernst, Der Doppelstaat, Neuauflage Europäische Verlagsanstalt, 2001.<br />
58 vgl. Ingo von Münch: Gesetze des NS-Staates, z.B. 3. Auflage 1994<br />
59<br />
Beispiel: Im Wirtschaftsverkehr mit den RGW-Staaten fielen westliche Unternehmen <strong>im</strong>mer wieder auf<br />
den Rechtsformschwindel der kommunistischen Staaten herein. Der kommunistische Vertragspartner<br />
firmierte als privatrechtliche Aktiengesellschaft und entschuldigte Vertragsverletzungen mit force<br />
majeure infolge Regierungseingriffs; dabei waren diese AG`s nur Abteilungen eben dieser Regierung.<br />
vgl. Aden, M. Internationales Privates Wirtschaftsrecht, 2. Aufl. 2009, S. 43 f<br />
60<br />
Gesetz gegen he<strong>im</strong>tückische Angriffe auf Staat und Partei und zum Schutz der Parteiuniformen vom<br />
20. Dezember 1934<br />
61<br />
Gesetz zur Behebung der Not von Volk und Reich vom 24. März 1933<br />
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