Sie wollen auch ein ePaper? Erhöhen Sie die Reichweite Ihrer Titel.
YUMPU macht aus Druck-PDFs automatisch weboptimierte ePaper, die Google liebt.
Wie Elektronik die Musik veränderte<br />
Von Michael Fuchs-Gamböck<br />
Chicago 1980, eine alte, versiffte Lagerhalle namens<br />
Warehouse. Hier lebte zu jener Zeit noch<br />
der Disco-Sound des vorangegangenen Jahrzehnts<br />
weiter, den die zuckende Öffentlichkeit in den<br />
meisten Clubs auf diesem Planeten längst abgeschrieben<br />
hatte. An Frankie Knuckles<br />
den Wochenenden<br />
allerdings bediente<br />
hier ein außergewöhnlicher<br />
DJ die<br />
Regler und sorgte<br />
regelmäßig für ein<br />
volles Haus, das bis<br />
ins Morgengrauen<br />
vor ekstatischen<br />
Tänzern wackelte:<br />
Frankie<br />
Knuckles.<br />
Der stets<br />
freundliche<br />
Schwarze<br />
(Jahrgang<br />
1955) aus<br />
New York,<br />
den es<br />
Mitte der 1970er nach Chicago verschlagen hatte,<br />
war ein begnadeter DJ mit feinem Gehör und<br />
ein prima Live-Entertainer. Schon bald wurde ehrfürchtig<br />
von seiner Arbeit als „<strong>the</strong> sound that plays<br />
down <strong>the</strong> house” gesprochen. So entstand der Terminus<br />
„House”, der bald weltweit die Clubs und<br />
DJ-Ohren durchrüttelte. House wurde der legitime<br />
Nachfolger von Disco, dessen elektronische Variante.<br />
Gern wurde House zusätzlich mit Funk, Gospel<br />
und Soul vermengt. Hauptsache, es kam optimistisch<br />
rüber!<br />
Doch auch andere<br />
Musikstile der<br />
Vergangenheit speisten<br />
sich zu Beginn der<br />
Achtziger mit elektronischen<br />
Klängen:<br />
So nahm Rap-Urvater<br />
Afrika Bambaataa<br />
1982 den legendären<br />
Song "Planet Rock”<br />
auf. Dieser Titel war<br />
der glänzende Ritter des<br />
Elektro: Afrika Bambaataa<br />
eine explosive Mixtur aus<br />
Funkbeats einer Drum-Machine,<br />
gespickt mit würzigen<br />
HipHop-Gesangslinien und<br />
– beim ersten Hören paradox<br />
– kühlen<br />
Syn<strong>the</strong>sizerklängen<br />
aus Düsseldorf,<br />
Afrika Bambaataa<br />
nämlich Samples von Kraftwerks<br />
"Trans Europa Express”.<br />
In David Toops’ HipHop-Bibel<br />
„Rap Attack” äußerte sich der<br />
New Yorker Rapper über diesen<br />
zunächst irritierenden musikalischen<br />
Einfluss: „Ich glaube<br />
nicht, dass Kraftwerk wussten,<br />
wie wichtig sie 1977 für uns<br />
Schwarze waren. Aber bei Gott, sie waren es! Sie<br />
werden es immer sein!”<br />
Dieser eine Song löste die Ur-Electro-Welle aus.<br />
Ebenso wie Afrika Bambaataa vermengten auch<br />
Musiker wie Grandmaster Flash & The Furious Five,<br />
Run-DMC und Arthur Baker HipHop,<br />
Rock kühle elektronische Klänge und<br />
noch mehr Beat-Lastiges zu einer scharfen<br />
Sound-Sauce – und nannten das<br />
Resultat „Electro”. Dieses Genre wurde<br />
ebenfalls konsequent in verschiedenste<br />
musikalische Richtungen weiterentwickelt<br />
und ist heute – auch kommerziell<br />
– eines der wichtigsten Standbeine der<br />
Musikbranche. Folgerichtig wurden 1986<br />
HipHop und House vermischt – Bezeichnung:<br />
Hip House. Im Folgejahr begann<br />
sich diese Musikrichtung weltweit in<br />
Szeneläden durchzusetzen.<br />
Seite 104 ■ <strong>GoodTimes</strong> 6/2012 ■ <strong>Music</strong> <strong>from</strong> <strong>the</strong> <strong>60s</strong> <strong>to</strong> <strong>the</strong> <strong>80s</strong><br />
Am Ende der 1980er avancierte die<br />
elektronische Musik unter dem Etikett<br />
„Techno” zur Jugendleitkultur. Vor<br />
allem in der Tanzmusik wurden computergenerierte<br />
oder -verarbeitete Sounds von Produzierenden,<br />
DJs und Tanzenden bevorzugt. Was durch<br />
Avantgardekreise in den Siebzigern und Achtzigern<br />
begonnen worden war – von Pionieren wie Kraftwerk,<br />
Suicide, Giorgio Moroder, Cabaret Voltaire und Heaven<br />
17 –, wurde nun auch kommerziell ausgeschöpft.<br />
Mit Techno hatten Trend-Spürhunde endlich<br />
ein Phänomen geortet, das alle Bedingungen<br />
einer ernstzunehmenden Jugendkultur aufwies:<br />
Techno war kreativ, innovativ und avantgardistisch,<br />
aber nicht völlig unzugänglich. Er war schon bald<br />
nach seinem ersten Auftauchen keine Untergrundbewegung<br />
mehr, selbst wenn manche der Pioniere<br />
sich rasch nach diesen Zeiten zurücksehnten.<br />
Die Techno-Raver bildeten in den späten<br />
1980ern und in den kompletten 1990ern zwar<br />
keineswegs die einzige Jugendszene, aber der allgemeinen<br />
Einschätzung nach die größte und bedeutendste.<br />
Die Konsolidierung von Techno als<br />
führende Jugendbewegung und die Entwicklung<br />
zum Massenphänomen (ohne Berührungsängste<br />
selbst in der bürgerlichen Presse) belegte anschaulich<br />
ein Beitrag in der „Süddeutschen Zeitung”. Sie<br />
Grandmaster Flash &<br />
The Furious Five Run-DMC Arthur Baker<br />
titelte im Frühjahr 1995: „Techno – eine Spaßbewegung<br />
wird zum festen Bestandteil des verpönten<br />
Mainstreams.” Die Macht der wummernden Beats<br />
hatte mitten in der Gesellschaft eingeschlagen!<br />
Techno als Pop-musikalisches Phänomen ging<br />
einen völlig anderen Weg im Umgang mit<br />
elektronischen Klängen als seine nahezu „akademischen”<br />
Vorgänger des Kalibers eines Karlheinz<br />
S<strong>to</strong>ckhausen oder auch Kraftwerk. Identisch war<br />
jedoch der kreative Anspruch aller „Elektroniker”:<br />
zu erkennen, welche Vielfalt syn<strong>the</strong>tischer Soundmöglichkeiten<br />
das elektronische Instrumentarium<br />
bot – gemessen an herkömmlicher, „handgemachter”<br />
Pop- und Rockmusik. Das komposi<strong>to</strong>rische<br />
Element war in der Elektronik-Szene weitaus weniger<br />
entscheidend als vielmehr das Ausloten von<br />
Klangvariationen, eine fast uneingeschränkte Experimentierlust<br />
und natürlich als Fundament ein<br />
unschlagbarer Groove.