GoodTimes - Music from the 60s to the 80s 40 Jahre Musikladen (Vorschau)

Zur Hoch-Zeit dieser Aufbruchstimmung
hatte sich niemand die
Mühe gemacht, all das mal zu
bündeln, um den Fokus gezielt
darauf zu lenken. Drei mögliche
Gründe: 1) es fehlte der Glaube an
Langzeitwirkung; 2) zu verstreut
lagen die Rechte; 3) Verdacht
auf Eintagsfliegen, mangelnde
Popularität der Interpreten. Und
so entstanden
zwar „Szenen"
in allen Winkeln
des großen
Kontinents,
doch es wurde
weitestgehend
lokal abgeschottet
gewurstelt.
Arrivierte Firmen
wie Reprise,
Epic, Columbia,
Warner Bros.,
A&M und Mercury landeten en versprengte reng
Hits (meist
auf zwei- und dreistelligen Positionen), andere
Einzeltreffer hingegen kamen u.a. von Marken wie
Soma, NGC, Double Shot, Mira, deren Namen bis
dahin bestenfalls Eingeweihte vernommen hatten.
Die Jahre 1965 bis 1968 bescherten dem Trend
mit (vielleicht zu) vielen losen Enden seine beste
Zeit – mit kaum noch zählbaren Singles als ideales
Format für die Dreiminüter (Hunderte kurzlebiger
Bands haben es nie bis zu einer LP geschafft). Dann
rutschte die Sache fließend in neue Strömungen:
Westcoast-Sound, Hippie-Rock, Bluesverwandtes,
Progressive Rock – Haare, Songs und die Gesichter
vieler Gescheiterter wurden länger. Bald erinnerte
sich kaum noch jemand – Fans ausgenommen –
an dieses Mittsechziger-Phänomen, das zumindest
Teilen der US-Plattenindustrie als
Notbeatmung gedient hatte. Und
dann kam Lenny Kaye.
Bands & Songs
eins oben drauf: NUGGETS GETS
–
ORIGINAL ARTYFACTS FROM
THE FIRST PSYCHEDELIC ERA
1965–1968, die ganz große Ladung,
Aufstockung der Doppel-
LP per 4-CD-Box auf 118 Tracks!
Jetzt hatten auch Crews wie
Music Machine, The Litter, die
Sonics, Monks, Charlatans, Beau
Brummels, Kingsmen, Brogues
ihren Platz sicher – das Spektrum
war massiv erweitert.
Vertragliche Probleme – bzw.
Engstirnigkeit und/oder Missgunst
der Rechtehalter – verhinderten
z.B. den Einbau von
Mit Jac Holzman (*1931), Gründer
des Elektra-Labels und u.a. Doors-
Entdecker, bastelte Kaye 1971 an der
Idee für eine Compilation: Sie sollte
erstmals flächendeckend „Goldstücke"
aus der Zeit von 1964 bis
1968 bündeln. Die NUGGETS waren geboren! Das "Persecution Smith"
Original-Doppelalbum von 1972 enthielt 27 Songs
von 27 Bands, um die sich niemand mehr gekümmert
(Bob Seger System).
Ein kapitales, unent-
hatte. Kaye goss zunächst ein Hit-Fundament, schuldbares (Song-)
u.a. mit "I Had Too Much To Dream (Last Night)" Manko jedoch ist den
von den Electric Prunes, "Dirty Wa-
Machern
selbst
ter" (Standells), "Pushin' Too
Hard"
(Seeds), "Psychotic Reaction" (Count
Five), "Lies" (Knickerbockers), ers)
"You're
Gonna Miss Me" (13th Floor or
Elevators).
Weitere – seitdem
– populäre Namen:
Shadows Of Knight,
anzulasten:
Obwohl
damals von
jeder zweiten
Band gespielt
und auf Dutzenden
Castaways, Leaves,
ve
d
Amboy Dukes, Nazz,
Chocolate Watch Band.
fe
ch
Eher unbekannt, dennoch
mehr als nur Füllspachtel
waren die Magicians,
ians
NUGGETS – ORIGINAL ARTYFACTS FROM
THE FIRST PSYCHEDELIC ERA 1965–1968
Third
Rail,
Michael & The
Messengers
und andere.
Volle 26 Jahre
später. 1998
setzte
das
Rhino-Label
Garagen-Klassi-
assi
sikern,
allen voran
"96 Tears" (? &
The
Mysterians),
"99th Floor" (Moving
Sidewalks/
pre-ZZ Top) und
verschiedener Singles verfügbar,
fehlt auf der Originalveröffentlichung
und sogar in der Monster-
Box die Garagen-
Hymne schlechthin:
"Gloria".
Namen & Nachfolger
Hundertschaften einst mitwirkender Musiker sind
längst vergessen, andere hinterließen per NUGGETS
frühe Fußspuren: John Fogerty (mit den Golliwogs),
Leslie West (Vagrants), Al Kooper (Blues Project),
Ted Nugent (Amboy Dukes), Todd Rundgren (Nazz),
Bugs Henderson (Mouse & The Traps), Warren Zevon
(Lyme & Cybelle). Damals fast vergessen, verbuchten
ihre Songs und Sounds viel später Vorbildcharakter.
Zunächst für die UK-Punks
und New Waver ab 1976.
Und in den 80er/90er Jahren
nahmen – um nur ganz wenige
zu nennen – Bands wie
u.a. die Chesterfield Kings,
Cramps, Fuzztones, Lyres,
aber auch Unclaimed, Green
On Red, Dream Syndicate,
Naked Prey, Gun Club, Giant
Sand & Co. die gelegte Fähr-
te wieder auf. Auch noch frischeren
Formationen wie etwa den White Stripes,
Black Keys, Strokes und dem Black Rebel Motorcycle
Club darf man eine nicht unwesentliche Affinität
zum Garagen-Rock der Vergangenheit attestieren.
Und das NUGGETS-Projekt selbst war ebenfalls
eine Initialzündung. Bis heute fand es eine Flut von
Nachfolgern/Nachahmern, legale wie illegale. Vinylund
CD-Reihen stürzen sich seitdem immer wieder
auf zum Teil obskurste Songs von noch obskureren
Sixties-Gruppen: „Pebbles", „Boulders", „Rubble",
„Mindrocker", „Ripples", „Perfumed
Garden" usw. erschienen
– oft auf windigen Labels, x-fach
durchgemischt, zu Mehrfach-CDs
und sogar Boxen verarbeitet.
Die NUGGETS kopierten sich
auch selbst: NUGGETS II – ORI-
GINAL ARTYFACTS FROM THE
BRITISH EMPIRE AND BEYOND,
1964–1969 (Rhino, 2001; 109
Titel) richtete den Fokus auf die
Alte Welt. Was
dabei für das UK weitgehend passte,
muss niemand für andere Territorien als gelungen
betrachten: Mangelnde Kenntnis – und offenbar die
fehlende Bereitschaft, sich intensiv zu informieren
– führte hier zu indiskutablen Versäumnissen und
Auslassungen (Deutschland, Österreich, Schweiz,
Niederlande, Frankreich, Skandinavien, Übersee).
Zum Jubiläum gibt es jetzt noch einmal das
intensive NUGGETS-Original (Einzel-CD und
Doppel-LP) als geballte Ladung – mit 27
Tracks von 27 Kultbands wie den Seeds, Electric
Prunes, Amboy Dukes (Killerversion von
"Baby, Please Don't Go"), Standells, Leaves,
Count Five und allen anderen Wegbereitern.
GoodTimes 6/2012 ■ Music from the 60s to the 80s ■ Seite 99