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ZEITGESCHICHTE<br />
Die Folgen der »Dambuster«-Angriffe<br />
In Großbritannien ist die Erinnerung bis heute sehr<br />
lebendig. 2007 überfliegt die Lancaster I PA474 der<br />
Battle of Britain Memorial Flight zum Gedenken an<br />
»Operation Chastise« den <strong>Der</strong>went Damm (East Midlands),<br />
wo die Besatzungen der 617 Squadron ihre<br />
Angriffe mit den Rollbomben übten<br />
Foto John Dibbs<br />
Schwierigkeiten geraten würden«. Woraufhin<br />
der »Führer« verstärkten Flakschutz für die<br />
beiden Städte befahl.<br />
Selbstredend waren die vier Ruhrtalsperren<br />
als ähnlich sensibles Ziel bekannt, und der<br />
Angriff traf sie nicht gänzlich unvorbereitet.<br />
Allerdings hatte man nicht mit einer neuartigen<br />
Waffe wie »Upkeep« gerechnet, sondern<br />
sich auf eher konventionelle Angriffsmethoden<br />
eingestellt. So war beispielsweise der<br />
Möhne-Damm mit Torpedonetzen gesichert,<br />
und ursprünglich war hier auch reichlich Flak<br />
stationiert, doch gerade in dieser Hinsicht<br />
kam »Operation Chastise« für die deutsche<br />
Seite zum denkbar ungünstigsten Zeitpunkt:<br />
Kurz zuvor wurden die schweren 8,8-cm-Batterien<br />
abgezogen, zurück blieben nur leichtere<br />
Kaliber. – Den angreifenden Besatzungen<br />
der 617. Bomberstaffel kam dieser Umstand<br />
natürlich sehr gelegen.<br />
Eine Frage der Perspektive<br />
Später wird Speer in seinen »Erinnerungen«<br />
schreiben, dass die RAF mit »Operation Chastise«<br />
genau das versucht habe, was er von der<br />
Luftwaffe seit Langem vergeblich forderte:<br />
durch die gezielte »Zerstörung eines einzigen<br />
Nervenzentrums der Kriegswirtschaft, gewissermaßen<br />
nach dem Prinzip der Querschnittslähmung,<br />
den Kriegsverlauf entscheidend<br />
zu beeinflussen«. Gut vier Wochen<br />
zuvor, am 11. April 1943, hatte Speer Hitler<br />
vorgeschlagen, »ein Fachgremium von Industriellen<br />
mit der Aufgabe zu betrauen, in der<br />
sowjetischen Energiewirtschaft die entscheidend<br />
wichtigen Angriffsziele auszusuchen.« –<br />
Zwei Wochen nach dem Angriff auf die deutschen<br />
Talsperren wiederholte er seinen Vorschlag.<br />
Nach Speers eigenem Bekunden hatte<br />
er damit jedoch keinen Erfolg, weil Hitler »der<br />
Sinn für die kriegsentscheidende Bedeutung<br />
derartiger Aktionen« fehlte und auch der Luftwaffenstab<br />
»unfähig« war, »einen Luftkrieg<br />
nach technologischen statt nach überholten<br />
militärischen Gesichtspunkten zu führen«.<br />
Dem Oberkommando der RAF waren derartige<br />
Gedankengänge offenbar ebenfalls nicht<br />
fremd, denn obwohl ihre Bomberverbände<br />
schon längst nach der »Area Bombing Directive«<br />
handelten, »Tausend-Bomber-Angriffe«<br />
durchführten und im Rahmen des »Battle-ofthe-Ruhr«<br />
bereits seit Wochen großflächige<br />
Nachtangriffe auf Städte an Rhein und Ruhr<br />
flogen, führten sie eben auch Präzisionsangriffe<br />
wie »Operation Chastise« durch. In seinen<br />
»Erinnerungen« zollt Speer dieser Tatsache<br />
Respekt: »Die Engländer standen in dieser<br />
Nacht bei einem Einsatz von wenigen Bombern<br />
vor einem Erfolg, der größer gewesen wäre,<br />
als sie ihn bis dahin, bei Tausenden von<br />
Bombereinsätzen, je erreicht hatten. Sie machten<br />
dabei nur einen, mir heute noch unverständlichen<br />
Fehler: Sie teilten ihre Kräfte auf<br />
und zerstörten in der gleichen Nacht die siebzig<br />
Kilometer entfernte Edertalsperre, obwohl<br />
diese mit der Wasserversorgung der Ruhr<br />
nicht das Geringste zu tun hatte.«<br />
Die andere Seite<br />
Selbstverständlich schrieb Speer dies in Unkenntnis<br />
der gegnerischen Sicht. Den Briten<br />
war die Bedeutung der vier Ruhrtalsperren für<br />
die Rüstungsproduktion im Ruhrgebiet sehr<br />
wohl bekannt. Auch wussten sie, dass die Edertalsperre<br />
nichts damit zu tun hatte, sondern<br />
während der Sommermonate hauptsächlich<br />
dazu diente, den Wasserstand der Weser und<br />
des Mittellandkanals zu regulieren. Beides waren<br />
wichtige Schifffahrtswege, und somit war<br />
auch die Edertalsperre ein legitimes militärisches<br />
Ziel. – Wenngleich eines, das mit den vier<br />
anderen nicht in direkter Verbindung stand.<br />
Auch kannte Speer nicht das der »Operation<br />
Chastise« zugrunde liegende Konzept:<br />
Nicht umsonst hatte man die »Dambusters«<br />
in drei Angriffswellen eingeteilt, mit jeweils<br />
eigens zugewiesenen Zielen. Wäre alles problemlos<br />
nach Plan verlaufen, hätte es alle vier<br />
Ruhrtalsperren und zusätzlich die der Eder<br />
erwischt. Doch wer konnte schon vorhersehen,<br />
dass von den 19 eingesetzten Maschinen<br />
nur zwölf ihr Ziel überhaupt erreichten?<br />
Dementsprechend stand nur ein Dutzend<br />
»Upkeeps« für fünf Ziele zur Verfügung, und<br />
alleine für die Möhnetalsperre wurden fünf<br />
davon verbraucht.<br />
Kurz zuvor wurden die schweren<br />
8,8-cm-Batterien abgezogen.<br />
Die Dämme an Möhne und Eder fielen der<br />
ersten Angriffswelle zum Opfer, die büßte beim<br />
Anflug nur eine ihrer Maschinen ein. Doch von<br />
den fünf Lancaster der zweiten Welle, die sich<br />
die Sorpetalsperre vornehmen sollte, erreichte<br />
nur eine einzige ihr Ziel. Von den ebenfalls fünf<br />
Lancaster der dritten Welle, die für die Dämme<br />
von Sorpe, Lister und Ennepe vorgesehen waren,<br />
kamen immerhin drei durch, konnten aber<br />
im dichten Nebel entweder ihr Ziel nicht finden,<br />
oder die Wirkung ihrer Bomben verpuffte<br />
scheinbar wirkungslos.<br />
Trotzdem verstand es die britische Propaganda,<br />
auch den Teilerfolg in ihrer Öffent-<br />
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