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SERIE<br />
<strong>Der</strong><br />
Luftkrieg<br />
von 1939–1945<br />
»Gomorrha« war nicht der erste Luftangriff auf Hamburg. Hier eine Lancaster während eines<br />
Angriffs in der Nacht vom 30. auf den 31. Januar 1943<br />
Foto RAF<br />
sind; doch nach einer ausgeklügelten Choreografie<br />
sind irgendwann alle in der Luft.<br />
Die einzelnen Staffeln schließen sich zusammen,<br />
weitere stoßen nach und nach hinzu, jede<br />
Besatzung sucht und findet die ihr zugewiesene<br />
Position. Dabei ist es keineswegs<br />
egal, welche Maschine wo fliegt, denn die<br />
Fracht im Bombenschacht ist nicht bei allen<br />
gleich. Einige transportieren bis zu vier Tonnen<br />
schwere Luftminen, andere Sprengbomben<br />
verschiedener Kaliber und wieder andere<br />
Stabbrandbomben, Phosphorkanister …<br />
Diese Mischung muss in einer bestimmten<br />
Reihenfolge abgeworfen werden, um die gewünschte<br />
Wirkung zu erzielen. Dementsprechend<br />
ist die Formation durchdacht, und ihre<br />
Umsetzung erfordert Disziplin. Nach und<br />
nach formieren sich die einzelnen »Wellen«,<br />
reihen sich in der Höhe gestaffelt hintereinander<br />
ein, und allmählich gewinnt die ganze<br />
»Walhalla« an Gestalt. Schließlich setzt sie<br />
sich in Bewegung: Die Pfad- und Zielfindermaschinen<br />
fliegen vorneweg, die anderen folgen<br />
ihnen im Abstand von etwa fünf Minuten,<br />
ein neuerlicher »Bomberstrom« zieht in<br />
die Nacht hinaus.<br />
Am »Seeburg«-Auswertetisch laufen die Daten der »Würzburg«-Geräte zusammen. Freund und Feind<br />
werden als grüner bzw. roter Punkt von unten auf die gläserne Tischplatte projiziert Foto PK-Aufnahme<br />
Die deutsche Seite ahnt die Gefahr<br />
Zur gleichen Zeit in Stade an der Niederelbe:<br />
Im Mammut-Gefechtsbunker der 2. Jagddivision,<br />
einer von fünf Schaltzentralen der deutschen<br />
Reichsverteidigung, wächst ebenfalls<br />
die Anspannung. Hier laufen die Meldungen<br />
von Horchposten, Radarstellungen und sonstigen<br />
Beobachtungs- und Frühwarnsystemen<br />
zusammen; von hier aus werden die Gegenmaßnahmen<br />
der ihr unterstellten Flakeinheiten<br />
und Jagdfliegerverbände koordiniert. Den<br />
gewaltigen Innenraum des Bunkers, der mit<br />
seinen höhengestaffelten Sitzreihen ein wenig<br />
an ein Theater erinnert, teilt eine riesige<br />
Milchglasscheibe in zwei Hälften. Darauf ist<br />
die Landkarte des Deutschen Reichs zu sehen,<br />
vom darüber gelegten Quadratnetz der<br />
Jägerführung in Planquadrate unterteilt.<br />
Mittels Lichtpunkten werden die wandernden<br />
Positionen von einfliegenden Feindflugzeugen<br />
und eigenen Maschinen auf diese<br />
Scheibe projiziert. Dafür sitzen auf der einen<br />
Seite der Glaswand Dutzende von Luftwaffen-Nachrichtenhelferinnen.<br />
Jede von ihnen<br />
hat zwei »Bildpunktwerfer« vor sich – Ur -<br />
ahnen heutiger Laserpointer – und stehen jeweils<br />
in direktem Telefonkontakt mit einer<br />
Funkmessstellung (Radar). Sobald diese einfliegende<br />
Bomberverbände ortet, möglichst<br />
weit draußen vor der Küste, werden die entsprechenden<br />
Angaben dem Gefechtsstand<br />
übermittelt. Die vermutete Anzahl an Feindflugzeugen<br />
wird genannt, deren Kurs und<br />
Flughöhe sowie das Jägerquadrat, in dem sie<br />
sich gerade befinden. Lautet eine solche Meldung<br />
beispielsweise »Etwa 120 Flugzeuge in<br />
Gustav Cäsar fünf, Kurs Ost, Höhe 5000«,<br />
dann richtet die jeweilige Nachrichtenhelfe -<br />
rin ihre Bildpunktwerfer auf das entsprechende<br />
Jägerquadrat in der Lagekarte auf der<br />
großen Milchscheibe. Fortan symbolisieren<br />
rote Lichtpunkte die aktuelle Position des<br />
Gegners, dessen Bewegungen werden laufend<br />
aktualisiert.<br />
»Gefechtsopernhäuser«<br />
Auf der anderen Seite der Glaswand kann<br />
man die roten Punkte deutlich sehen. Hier sitzen<br />
die Jägerleitoffiziere in langen Reihen und<br />
über ihnen der Kommandeur mit seinen Verbindungsoffizieren,<br />
die mit sämtlichen Jagdverbänden,<br />
Nachtjagdstellungen und dem<br />
Flugmeldedienst im Einflussbereich der Jagddivision<br />
verbunden sind. Nochmals eine Etage<br />
höher sitzen wiederum Dutzende weiterer<br />
»Lichtpunktwerfer«, die mit grünen Lichtpunkten<br />
die Position der eigenen Maschinen<br />
markieren. <strong>Der</strong> hier betriebene Aufwand ist<br />
immens, und Spötter bezeichnen diese Gehirne<br />
der deutschen Reichsverteidigung schon<br />
mal als »Gefechtsopernhäuser«, oder sie werden<br />
nach dem Oberbefehlshaber der deutschen<br />
Nachtjagd »Kammhuber-Lichtspiele«<br />
genannt. Allerdings hat sich die komplexe Organisation<br />
schon in so mancher Luftschlacht<br />
hervorragend bewährt.<br />
Im Gefechtsbunker der 2. Jagddivision beginnt<br />
der Abend des 24. Juli 1943 zunächst ruhig.<br />
Seit dem schweren Angriff auf Aachen<br />
vor elf Tagen hat sich nichts Gravierendes<br />
mehr ereignet. Ist das nun ein gutes oder ein<br />
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