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FLUGZEUG CLASSIC Der Angstgegner (Vorschau)

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lichkeit zu nutzen. Die Luftaufnahmen von<br />

den zerstörten Dämmen verfehlten ihre Wirkung<br />

nicht; die Botschaft lautete: Seht her, wozu<br />

wir in der Lage sind. Dabei mutet es aus<br />

heutiger Sicht wie eine bittere Ironie der Geschichte<br />

an, dass die überwiegende Mehrheit<br />

der Toten aus zwei überschwemmten Lagern<br />

stammte: eines mit Zwangsarbeitern aus der<br />

Ukraine und ein weiteres für alliierte Kriegsgefangene.<br />

Wunsch und Wirklichkeit<br />

Allerdings wurde die Wirkung der »Operation<br />

Chastise« deutlich übertrieben. Nicht nur<br />

Squadron Leader Guy Gibson, in der Folge<br />

vorübergehend der am höchsten ausgezeichnete<br />

RAF-Pilot, irrte, als er meinte, Deutschland<br />

habe einen Schlag erhalten, von dem es<br />

sich auf Jahre hinaus nicht mehr erholen könne.<br />

Tatsächlich erholte es sich überraschend<br />

schnell. Die bereits erwähnten Pumpenanlagen<br />

waren schon bald wieder in Betrieb, die<br />

Trinkwasserversorgung und das Elektrizitätsnetz<br />

wurden innerhalb von wenigen Wochen<br />

repariert, und auch die Dämme setzte<br />

man wieder instand.<br />

Laut Albert Speer beging die RAF in diesem<br />

Zusammenhang einen weiteren Fehler:<br />

»Wenige Tage nach diesem Angriff arbeiteten<br />

bereits 7000 Mann, die ich vom Atlantikwall<br />

ins Gebiet von Möhne und Eder beordert<br />

hatte, an der Wiedererrichtung der Dämme.<br />

Noch rechtzeitig vor dem Beginn der Regenfälle,<br />

am 23. September 1943, konnte die zweiundzwanzig<br />

Meter tiefe und siebenundsiebzig<br />

Meter hohe Bresche im Möhne-Damm<br />

geschlossen werden. Infolgedessen gelang es,<br />

die Niederschläge des Spätherbstes und Winters<br />

1943 für den Bedarf des nächsten Sommers<br />

zu sammeln. Bei unserem Wiederaufbau<br />

versäumte die britische Luftwaffe ihre zweite<br />

Chance: Mit einigen Bomben hätten die exponierten<br />

Einrichtungen der Baustellen zum<br />

Einsturz gebracht, mit einigen Brandbomben<br />

die hölzernen Baugerüste in Flammen gesetzt<br />

werden können.«<br />

Wo blieb die Luftwaffe?<br />

Dr. Joseph Goebbels, der »Reichsminister für<br />

Volksaufklärung und Propaganda«, notierte<br />

am 22. Mai 1943, also fünf Tage nach »Operation<br />

Chastise«, in seinem Tagebuch: »Aus dem<br />

Reichsgebiet liegen neue Stimmungsberichte<br />

vor. Diese sind wenig erfreulich. Sowohl die<br />

Reichspropagandaämter als auch die anderen<br />

Stimmung messenden Instanzen sprechen<br />

übereinstimmend von einem Stimmungseinbruch,<br />

der augenblicklich in Deutschland<br />

stattfinde.« Goebbels nennt die Niederlage in<br />

Afrika, die Verschärfung des Luftkrieges, das<br />

zeitweilige Versagen des U-Boot-Krieges und<br />

die Herabsetzung der Fleischrationen als<br />

mögliche Ursachen. Die seinerzeit rollenden<br />

Luftangriffe auf die Städte an Rhein und Ruhr<br />

und nicht zuletzt die Zerstörung der Möhneund<br />

Edertalsperren trugen sicherlich auch<br />

noch das Ihre dazu bei. Im selben Eintrag<br />

schreibt Goebbels später: »Sehr scharfe Kritik<br />

wird augenblicklich an Göring geübt. (…) Göring<br />

lässt mit einer gewissen Lethargie die<br />

ganze Entwicklung über sich ergehen (…).« –<br />

Und in diesem Zusammenhang stellt sich die<br />

Frage: Warum griff die Luftwaffe während der<br />

Angriffe auf die Talsperren nicht ein?<br />

Nicht der erste Tiefangriff<br />

Schließlich hatte das Bomber Command der<br />

RAF bereits am 17. April 1942, fast auf den<br />

Tag genau 13 Monate vor »Operation Chastise«,<br />

bewiesen, dass man mit der damals erst<br />

vor Kurzem in Dienst gestellten Avro Lancaster<br />

auch im Tiefflug angreifen kann. Damals<br />

wurden jeweils sechs Maschinen der No. 44<br />

und No. 97 Squadron unter dem Kommando<br />

von Staffelkapitän J. D. Nettleton zu einem<br />

Spezialverband vereint, übten eine Woche das<br />

Fliegen in Baumwipfelhöhe und schlichen<br />

sich dann in nur wenigen Metern Flughöhe<br />

unter dem deutschen Radar hindurch, über<br />

den Ärmelkanal hinweg und quer durch<br />

Frankreich bis zu den MAN-Dieselmotorenwerken<br />

nach Augsburg.<br />

Zeitgleich attackierten 30 Douglas Boston<br />

mit starkem Jagdschutz Ziele in Nordfrankreich,<br />

um die Aufmerksamkeit des für die Region<br />

zuständigen JG 2 auf sich zu ziehen, was<br />

jedoch nicht vollständig gelang: Mehrere<br />

Alarmstaffeln der »Richthofener« jagten den<br />

Viermots hinterher und stellten vier von ihnen<br />

Waren bei Operation »Margin« zur Stelle:<br />

Messerschmitt Bf 109 F-4 der II./JG 2.<br />

Am 17. April 1942 schoss ein gemischter<br />

Verband des JG 2 aus Bf 109 F und<br />

Fw 190 A vier von zwölf Lancaster-Bombern<br />

ab<br />

Zeichnung H. Ringlstetter<br />

südlich von Paris. Doch die verbliebenen acht<br />

Maschinen erreichten tatsächlich Augsburg,<br />

warfen ihre Bomben auf die U-Boot-Motorenwerke,<br />

wobei während des Angriffs von der<br />

Flak zwei weitere und kurz danach noch eine<br />

dritte Maschine abgeschossen wurden. Nur<br />

fünf von ursprünglich zwölf Lancastern kehrten<br />

wieder nach Hause zurück. »Operation<br />

Margin«, so lautete der Deckname für jenen<br />

Einsatz bei Tageslicht, erwies sich als wenig<br />

effektives Experiment: Die RAF zahlte einen<br />

viel zu hohen Preis für die verhältnismäßig<br />

Die Wirkung von ›Operation Chastise‹<br />

wurde deutlich übertrieben.<br />

kurze Unterbrechung der Augsburger Produktion.<br />

Es blieb bei diesem einen Mal.<br />

Dennoch weisen die Operationen »Margin«<br />

und »Chastise« einige Parallelen auf:<br />

Wieder übten die Besatzungen extremen Tiefflug,<br />

was mit der Lancaster nicht einfach gewesen<br />

sein soll. Wieder schlichen sich die Angreifer<br />

unter dem deutschen Radar hindurch,<br />

und wieder erzielten sie einen zwar spektakulären,<br />

aber nicht sonderlich nachhaltigen<br />

Erfolg. Und auch »Chastise« wurde nicht wiederholt<br />

– die noch vorhandenen und allmählich<br />

verrottenden »Upkeeps« wurden nach<br />

Kriegsende entsorgt.<br />

Doch warum wurden die drei Angriffswellen<br />

der No. 617 Squadron nur von der<br />

Flak bekämpft? Auch wenn sie das deutsche<br />

Radarsystem erfolgreich unterflogen, blieben<br />

sie doch nicht gänzlich unbemerkt, schließlich<br />

gab es auch noch Horchposten und dergleichen<br />

mehr. Waren die paar Lancaster für die<br />

deutschen Nachtjäger kein lohnendes Ziel?<br />

Weil ihr »Lichtenstein B/C« in Bodennähe<br />

nicht sonderlich gut funktionierte? Weil sie im<br />

Einsatz gegen die Großformationen wichtiger<br />

waren, die seinerzeit die Städte entlang Rhein<br />

und Ruhr in Schutt und Asche legten? Fragen,<br />

die wohl unbeantwortet bleiben.<br />

■<br />

<strong>FLUGZEUG</strong> <strong>CLASSIC</strong> 7/2013<br />

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