Download - JUGEND für Europa
Download - JUGEND für Europa
Download - JUGEND für Europa
Sie wollen auch ein ePaper? Erhöhen Sie die Reichweite Ihrer Titel.
YUMPU macht aus Druck-PDFs automatisch weboptimierte ePaper, die Google liebt.
7 Qualitative Analysen zu Auswirkungen des Dienstes und zum Kompetenzerwerb im Verlaufe des Dienstes – Ergebnisse der TeilnehmerInnenbefragung<br />
Die im Folgenden diskutierten Kompetenzen<br />
persönlichkeitsbildender und sozialintegrativer<br />
Art ergeben sich aus der induktiven Auswertung<br />
und Kategorienbildung 47 der offenen Frage<br />
VI.1: „Welche Auswirkungen hat Ihrer Auffassung<br />
nach der Freiwilligendienst auf Ihr weiteres<br />
Leben (persönlich und beruflich)?” Diese<br />
Frage wurde von 249 der 270 Befragten – größtenteils<br />
sehr ausführlich und motiviert – beantwortet.<br />
Durch die Möglichkeit der Mehrfachcodierung<br />
(wenn aus der Antwort ein Kompetenzgewinn<br />
in unterschiedlichen Dimensionen<br />
erkennbar war) ergab sich eine Gesamtzahl von<br />
485 Nennungen; jede dieser Nennungen verweist<br />
also auf einen individuellen Kompetenzgewinn.<br />
48<br />
7.1.1.1 Persönliche Autonomie<br />
Aus der Erfahrung, in einem fremden Land mit<br />
einer fremden Sprache auch ohne die Hilfe der<br />
Eltern und Freunde zurechtzukommen, wird<br />
eine Ich-Stärke und Selbstständigkeit gewonnen,<br />
die auch zukünftig bei der Bewältigung<br />
schwieriger Situationen hilfreich ist („Man stellt<br />
sich Problemen anders als vorher”).<br />
Auch wenn im folgenden Zitat von „Durchboxen”<br />
die Rede ist, wird aus dem Kontext ersichtlich,<br />
dass dies kein „Durchboxen” gegen<br />
andere ist, sondern ein auf Autonomie und<br />
Eigeninitiative gegründetes Bewältigen einer<br />
unbekannten Situation:<br />
„Ich war zum ersten Mal in meinem Leben weg<br />
von zu Hause, musste mein Leben selbst in die<br />
Hände nehmen und mich alleine ‚durchboxen‘.<br />
Ich bin viel selbstständiger geworden und bereit,<br />
die Initiative für mein eigenes Leben zu übernehmen.<br />
Außerdem habe ich ganz neue Seiten<br />
an mir entdeckt, zum Beispiel durch den Umgang<br />
mit behinderten Menschen. Positive Rückmeldungen<br />
haben mir viel Selbstsicherheit gegeben.”<br />
(057)<br />
47 Die für qualitative Auswertungsverfahren charakteristische<br />
induktive Kategorienbildung, die ja immer vom (in diesem Fall: kommunikations-<br />
und lerntheoretischen) Hintergrundwissen der ForscherInnen<br />
angeleitet bleibt, führt inhaltlich zu etwas anderen<br />
Begriffen, als dies bei einer ausschließlich auf dem Vorwissen der<br />
ForscherInnen beruhenden Formulierung von Items im Kontext geschlossener<br />
Fragen der Fall ist. Es kann daher nicht verwundern,<br />
dass die im folgenden aufgeführten Kompetenzen nicht identisch –<br />
sehr wohl aber kompatibel – mit den im Auswertungsteil zu den geschlossenen<br />
Fragen angewandten Begrifflichkeiten (in Kapitel 6)<br />
sind.<br />
48 Neben diesen 485 Nennungen zum Kompetenzerwerb konnten<br />
aus den Antworten zu dieser Frage noch eine Reihe weiterer Wirkungen<br />
und Einstellungsänderungen des EFD abgelesen werden,<br />
die an späterer Stelle thematisiert werden. Bezieht man diese<br />
Effekte mit ein, so ergibt sich für Frage VI.1 eine Gesamtzahl von<br />
769 Nennungen, das heißt, dass jede/r der befragten Freiwilligen in<br />
diesem Fragenzusammenhang im Durchschnitt etwa drei positive<br />
Effekte des EFD auf das eigene weitere Leben genannt hat.<br />
Erst die räumliche und zeitliche Distanz zum<br />
Alltag und die veränderte Umwelt ermöglichen<br />
es offensichtlich, die eigenen Potenziale zu entdecken,<br />
da sich zu Hause in dem Maße gar nicht<br />
die Gelegenheit dazu bietet:<br />
„Ich habe einige Eigenschaften von mir entdekkt:<br />
Selbstständigkeit, Geduld, mit Höhen und<br />
Tiefen fertig werden können, Anpassungsfähigkeit...”<br />
(249)<br />
Im folgenden Zitat drückt sich die Fähigkeit<br />
aus, mit unklaren, mehrdeutigen und ambivalenten<br />
Situationen beziehungsweise Anforderungen<br />
anderer umzugehen (Ambiguitätstoleranz).<br />
Trotz bestehender Zweifel und „schrecklich<br />
anstrengender Arbeitstage” ist es ein „gutes<br />
Gefühl”, durchgehalten und etwas Sinnvolles<br />
gemacht zu haben:<br />
„Schöne Erinnerungen, das ‚gute Gefühl’, etwas<br />
sehr Sinnvolles, Hilfreiches gemacht zu haben,<br />
trotz Zweifel und schrecklich anstrengender Arbeitstage<br />
durchgehalten zu haben, sich nicht<br />
entmutigen zu lassen. Ein schönes Land wirklich<br />
kennen gelernt zu haben.” (082)<br />
Es wird der starke Wille deutlich, etwas durchzustehen,<br />
was man sich vorgenommen hat, auch<br />
dann, wenn Probleme auftreten:<br />
„Ich habe das Gefühl, auf eine wichtige Erfahrung<br />
zurückzublicken und etwas geleistet beziehungsweise<br />
durchgehalten zu haben. Ich bin<br />
stolz darauf, dass ich mich getraut habe, für zehn<br />
Monate ins Ausland zu gehen.” (106)<br />
Obwohl die meisten Befragten diese Zeit im<br />
Ausland durchaus auch als schwierig erlebt<br />
haben, folgt daraus in den seltensten Fällen ein<br />
defensives Vermeidungsverhalten zum Beispiel<br />
durch den Abbruch der Situation, deren Bewältigung<br />
als schwierig erlebt wurde, beziehungsweise<br />
des EFD als ganzem.<br />
Statt einer möglichen „Ich-Einschränkung” 49 ,<br />
die eine Schwächung vorhandener Kompetenzen<br />
und Fähigkeiten bedeutet hätte, gewinnen<br />
sie aus der Bewältigung schwieriger Situationen<br />
eine Stärkung des Selbstbewusstseins und der<br />
Selbstständigkeit und erweitern somit die vorhandenen<br />
Kompetenzen. Im Kontext dieser<br />
Antworten lässt sich nur zwei Mal ein Hinweis<br />
darauf finden, dass hiermit eine egoistische<br />
Selbstbehauptung („Ellenbogenmentalität”) intendiert<br />
wird, sich etwa gegen den Willen und<br />
auf Kosten anderer durchzusetzen.<br />
49 vgl. Freud, Anna: Das Ich und die Abwehrmechanismen. Frankfurt<br />
am Main 1984 (1936)<br />
37