Download - JUGEND für Europa
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8 Lernprozesse und Kompetenzerwerb aus Sicht der Entsendeorganisationen<br />
60<br />
„Erst nach dem Freiwilligenjahr sagen viele<br />
Jugendliche, dass sie jetzt wissen, dass sie aus<br />
Deutschland kommen.”<br />
Ebenso entsteht eine schärfere Wahrnehmung<br />
interkultureller Fähigkeiten bei anderen:<br />
„Die Freiwilligen merken [auf Grund ihrer<br />
Kontakte im Gastland], dass jeder, der ein bisschen<br />
Ausland in sich trägt, auch jemand ist, der<br />
Kommunikationsbrücken schafft, und dass sie<br />
nach ihrer Rückkehr auch ein bisschen diese<br />
Funktion haben.”<br />
8.3.2.3 Kompetenzen im Bereich der<br />
beruflichen Qualifikationen und der<br />
Berufsvorbereitung<br />
Die Aneignung bestimmter, für den späteren<br />
Eintritt in das Berufsleben wichtiger Grundqualifikationen<br />
wird von vielen Gesprächspartnern<br />
hervorgehoben.<br />
Abgesehen von Fällen, in denen unmittelbar für<br />
eine bestimmte Berufslaufbahn verwertbare Erfahrungen<br />
gemacht wurden (z.B. anerkannte<br />
Praktika im Bereich der Kranken- und Altenpflege),<br />
liegen diese Qualifikationen zumeist auf<br />
einer abstrakten Ebene. Sie betreffen das Erlernen<br />
und Einüben von<br />
- Flexibilität,<br />
- Kommunikationsfähigkeit,<br />
- Einsatzbereitschaft,<br />
- Arbeitsrhythmus,<br />
- Pünktlichkeit und Verlässlichkeit,<br />
- Teamfähigkeit,<br />
- räumlicher Orientierungsfähigkeit,<br />
- selbstverantwortlichem Handeln,<br />
- eigenverantwortlichem Lernen.<br />
Einige der Träger berichten, dass Jugendliche<br />
mit der Teilnahme am EFD überprüfen wollen,<br />
ob für sie die Wahl eines Berufes im sozialen Bereich<br />
in Frage kommt. Falls die Berufswahl mit<br />
der Tätigkeit im EFD in Einklang steht, können<br />
Sozialkompetenzen erworben werden, die für<br />
die spätere Ausübung des Berufes relevant sind.<br />
Hier sind vor allem das Kennenlernen der<br />
Klientel und der Umgang mit ihr zu nennen.<br />
Darüber hinaus – so eine andere Gesprächspartnerin<br />
hinsichtlich Einsatzstellen in der Jugendund<br />
Familienhilfe – machen die Freiwilligen<br />
durchaus auch komplexere Erfahrungen, wenn<br />
sie etwa das „Sozialsystem um das Projekt herum”<br />
(in diesem Fall z.B. das Justizsystem des<br />
Gastlandes) kennen lernen.<br />
Der Erwerb von Schlüsselqualifikationen wird<br />
auch in der Auswertung der TeilnehmerInnenbefragung,<br />
bei den standardisierten wie bei den<br />
offenen Fragen, deutlich. Die TeilnehmerInnen<br />
stellen die Qualifikationen allerdings eher selten<br />
in einen expliziten beruflichen Zusammenhang,<br />
sondern sehen sie vielmehr als persönlichkeitsbildende<br />
und sozialintegrative Kompetenzen<br />
an. Der Erwerb von unmittelbar berufsrelevanten<br />
Fähigkeiten und Qualifikationen spielt für<br />
die Freiwilligen nur eine nachgeordneten Rolle.<br />
Zugleich mit der Differenzierung der interkulturellen<br />
Wahrnehmung wird nach Einschätzung<br />
einiger Gesprächspartner auch die Wahrnehmung<br />
des europäischen Integrationsprozesses<br />
geschärft. Die Teilnahme an einem EFD wird<br />
dabei teilweise als bedeutsamer eingeschätzt als<br />
die Wirkung anderer Formen der internationalen<br />
Jugendbegegnung:<br />
„Zweifelsohne [wird eine Art von ‚<strong>Europa</strong>kompetenz‘<br />
erworben]. Auch mehr, und ganz entschieden<br />
mehr, als [bei] Jugendbegegnungen mit<br />
kürzerer Dauer. Das ist aus meiner Sicht nicht<br />
miteinander zu vergleichen.”<br />
Die gestiegene „<strong>Europa</strong>kompetenz” 76<br />
bezieht<br />
sich nach Meinung der Träger jedoch zumeist<br />
nicht in erster Linie auf Kenntnisse über europäische<br />
Politik oder Institutionen oder auf das<br />
Bewusstsein, an einem europäischen Projekt<br />
teilzunehmen. Der europäische Horizont werde<br />
noch am ehesten in zwei Handlungsfeldern des<br />
EFD greifbar: bei international zusammengesetzten<br />
Seminaren 77 oder bei der Zusammenarbeit<br />
mit Freiwilligen aus anderen Ländern im<br />
Rahmen der gleichen Einsatzstelle beziehungsweise<br />
der gleichen Aufnahmeorganisation.<br />
Ebenso konstitutiv könne die persönliche Mobilitätserfahrung<br />
erlebt werden:<br />
„Wir haben in der Einführung dezent auf den<br />
europäischen Hintergrund hingewiesen. Die<br />
Antworten waren larmoyant bis ignorant. Die<br />
Freiwilligen hatten überhaupt keinen Begriff.<br />
Diese Form der Mobilität war ihnen völlig<br />
fremd. Aber sie haben langsam verstanden, dass<br />
<strong>Europa</strong> nicht nur etwas für eine Elite ist.”<br />
„Für [die Freiwilligen] der wesentliche Effekt<br />
ist, dass für sie persönlich der Grenzübertritt<br />
sehr viel leichter geworden ist. Und sie wissen,<br />
wie sie sich in einem anderen Land schnell etablieren<br />
können. Und wie sie mit Dingen umgehen,<br />
die sie nicht als Tourist erleben.”<br />
76 womit hier eine positive Einstellung zur europäischen Bürgerschaft<br />
gemeint ist<br />
77 In der Regel beim Einführungstraining im Gastland sowie bei<br />
den „Zwischentreffen”. Die Zusammenarbeit mit weiteren Freiwilligen<br />
aus dem Herkunftsland im Rahmen der gleichen Aufnahmeorganisation<br />
wird von einigen Gesprächspartnern dagegen unter dem<br />
Gesichtspunkt des interkulturellen Lernens als ausgesprochen<br />
kontraproduktiv eingeschätzt.