Download - JUGEND für Europa
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7 Qualitative Analysen zu Auswirkungen des Dienstes und zum Kompetenzerwerb im Verlaufe des Dienstes – Ergebnisse der TeilnehmerInnenbefragung<br />
44<br />
„Eine Vereinigung der Völker findet nicht statt<br />
zurzeit, sondern nur eine auf wirtschaftliche<br />
Interessen aufgebaute, undemokratische Zusammenarbeit<br />
der Regierungen.” (241)<br />
Während der Großteil der Antworten auf diese<br />
Frage eine bloße Einstellungsänderung zur europäischen<br />
Integration anzeigt, also keinen<br />
Kompetenzgewinn erkennen lässt – und daher<br />
an anderer Stelle abgehandelt wird –, lassen die<br />
wenigen reflexiv gestalteten Antworten durchaus<br />
eine positive Veränderung im kognitiven<br />
Niveau der subjektiven politischen Meinungsbildung<br />
erkennen.<br />
Es ist also zu vermuten, dass hier nicht nur eine<br />
Einstellungsveränderung zur europäischen Integration<br />
stattgefunden hat, sondern dass der<br />
Freiwilligendienst darüber hinaus für diese Befragten<br />
auch eine Art weltbildender Funktion<br />
innehatte. Diese Jugendlichen dürften auch andere<br />
politische Themen künftig „mit mehr Blick<br />
auf Betroffene” betrachten, die erkannte Thematik<br />
der „Ausgrenzung anderer Länder” oder<br />
des Vorrangs „wirtschaftlicher Interessen” zum<br />
Beispiel auch auf die Dritte-Welt-Problematik<br />
beziehen und somit eine kognitive Transferleistung<br />
vollbringen, welche sich durchaus als<br />
themenübergreifender Kompetenzgewinn im<br />
Bereich politischer Bildung bezeichnen lässt.<br />
7.1.7 Krisenvermittelt erworbene Kompetenzen<br />
Im Umgang mit persönlichen Krisen können<br />
alte Verhaltensmuster und Gewohnheiten aufgebrochen<br />
und neue – konstruktive wie auch<br />
destruktive – soziale Verhaltens- und Persönlichkeitsstrukturen<br />
erworben werden. Die radikale<br />
und verhältnismäßig lang andauernde Veränderung<br />
des gesamten Umfeldes im Freiwilligendienst<br />
lässt vermuten, dass derartige Krisen<br />
keine Seltenheit sind. Die Frage IV.6: „Werden<br />
diese Erfahrungen im Umgang mit Problemen<br />
beziehungsweise Krisen einen wesentlichen<br />
Einfluss auf ihr weiteres Leben haben – wenn ja,<br />
in welcher Weise?” wurde dann auch – nicht<br />
sehr überraschend – von 194 der 270 Befragten,<br />
also von 72 Prozent mit „Ja” beantwortet.<br />
Aus der Schilderung dieser Krisenerfahrungen<br />
ergaben sich durch die Möglichkeit der Mehrfachcodierung<br />
insgesamt 312 Nennungen, darunter<br />
allein 289 im Bereich Kompetenzerwerb.<br />
Es zeigte sich schnell, dass das Schema zu den<br />
allgemeinen Auswirkungen des EFD (Frage<br />
VI.1) auch für die Auswertung dieser „Krisenfrage”<br />
nutzbar war.<br />
Dies ist bereits ein herausragendes Ergebnis: In<br />
beiden Fällen lassen sich den Antworten fast<br />
ausschließlich positive Effekte entnehmen; Prozesse<br />
der Entmutigung, des Verlernens bereits<br />
erworbener Kompetenzen oder zum Beispiel<br />
Einstellungsänderungen hin zu engen nationalistischen<br />
Orientierungen konnten nicht identifiziert<br />
werden, was insbesondere bei der Frage<br />
nach durchlebten Krisen keine Selbstverständlichkeit<br />
darstellt.<br />
Die Relevanz dieser Frage ergibt sich nicht zuletzt<br />
aus der Tatsache, dass in den „Krisenbereichen”<br />
des EFD möglicherweise ein verstärkter<br />
Betreuungsbedarf identifiziert werden kann.<br />
Jedenfalls lässt sich aus der sehr positiven Bewältigung<br />
dieser Erlebnisse durch die Freiwilligen<br />
sicherlich nicht die Schlussfolgerung ableiten,<br />
dass es auch weiterhin und in jedem Einzelfall<br />
quasi automatisch zu einer positiven<br />
Bewältigungsform kommen wird.<br />
Eine deutliche Mehrheit der TeilnehmerInnen<br />
gibt also an, während des Auslandsdienstes Krisen<br />
58 erlebt zu haben, und spricht den dabei gemachten<br />
Erfahrungen einen wesentlichen Einfluss<br />
auf das eigene Leben zu 59 . Ein großer Teil<br />
der Antworten lässt erkennen, dass aus dem<br />
Umgang mit solchen Krisensituationen insbesondere<br />
ein Kompetenzerwerb im Bereich<br />
„Autonomie” (45%) und „Persönliche Reife”<br />
(20%) erfolgte. Die der Kategorie Autonomie<br />
zugeordneten Antworten sind zusätzlich noch<br />
danach differenziert, ob sich der Autonomiegewinn<br />
unmittelbar auf die Fähigkeit bezieht, im<br />
künftigen Leben auch andere Krisen besser bewältigen<br />
zu können.<br />
Diese Fähigkeit im Bereich des „Lernens zu lernen”<br />
(„deutero learning”) 60 wurde mit dem Kürzel<br />
„Krisenautonomie” gekennzeichnet. Bei der<br />
ersten Durchsicht des Materials fiel auf, dass etwa<br />
die Hälfte der TeilnehmerInnen allgemein<br />
angibt, an Autonomie gewonnen zu haben,<br />
während die andere Hälfte explizit von einem<br />
Autonomiegewinn durch erlebte Krisensituationen<br />
spricht („Wachsen durch Problembewältigung”).<br />
Da sich beide Antwortalternativen –<br />
ungeachtet der lerntheoretischen Bedeutung der<br />
hier vorgenommenen Differenzierung – unmittelbar<br />
auf die Frage nach dem Einfluss von<br />
58 Mit „Krisen” wurden über „normale” Startschwierigkeiten hinausgehende<br />
Probleme bezeichnet.<br />
59 Neben dem hier abgehandelten Kompetenzerwerb sind auch<br />
Wirkungen des EFD wie etwa die Klärung des Berufsziels sowie Einstellungsänderungen<br />
etwa im Hinblick auf den Prozess der europäischen<br />
Integration im Auswertungsschema berücksichtigt.Während<br />
die mit diesen Items erfassten Veränderungen, insgesamt betrachtet,<br />
im EFD eine große Rolle spielen und weiter unten ausführlich diskutiert<br />
werden, kommt ihnen im Kontext der Krisenfrage keinerlei<br />
Bedeutung zu. Aber auch im engeren Kontext des Kompetenzerwerbs<br />
ergibt sich eine Einschränkung der Aussagekraft des Auswertungsschemas:<br />
Im Bereich der politischen Bildung, speziell hinsichtlich<br />
der Auseinandersetzung mit dem Topos „Europäische Integration”,<br />
können ebenfalls praktisch keine krisenvermittelt<br />
erworbenen Kompetenzen oder Einstellungsänderungen nachgewiesen<br />
werden.<br />
60 Bateson, G.: Ökologie des Geistes. Anthropologische, psychologische<br />
und epistemologische Perspektiven. 3.Auflage, Frankfurt am<br />
Main 1990