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Bei Fragen wen<strong>de</strong>n Sie sich bitte an kristina.en<strong>de</strong>rle@personalmagazin.<strong>de</strong><br />
36<br />
PERSONALDIAGNOSTIK<br />
„Keine Geheimsprache“<br />
INTERVIEW. „Micro Expressions“ können in <strong>de</strong>r Personalarbeit nützlich sein –<br />
wenn man sie nicht überschätzt. Professor Uwe P. Kanning zeigt die Grenzen.<br />
personalmagazin: Für welche Aufgaben<br />
können Personaler die Erkenntnisse zu<br />
<strong>de</strong>n „Micro Expressions“ nutzen?<br />
Uwe P. Kanning: Studien zeigen, dass man<br />
die Fähigkeit, „Micro Expressions“<br />
wahrzunehmen, trainieren kann. Ihr<br />
Einsatzgebiet liegt am ehesten in <strong>de</strong>r<br />
Gesprächsführung. Hierbei wäre es allerdings<br />
wichtig, dass man die beobachteten<br />
Gesichtsausdrücke nicht einfach<br />
wie eine Geheimsprache interpretiert,<br />
von <strong>de</strong>r man glaubt, man wür<strong>de</strong> sie<br />
beherrschen. Sinnvoller ist es, die Eindrücke<br />
als Hypothese zu begreifen und<br />
sie <strong>de</strong>m Gesprächspartner zu spiegeln.<br />
personalmagazin: Wie könnte dies dann<br />
beispielsweise aussehen?<br />
Kanning: Der Vorgesetzte könnte im<br />
Personalentwicklungsgespräch zum<br />
Beispiel <strong>de</strong>n Eindruck äußern, dass<br />
sein Mitarbeiter sich gera<strong>de</strong> möglicherweise<br />
nicht wohlfühlt o<strong>de</strong>r von <strong>de</strong>n<br />
Vorschlägen <strong>de</strong>s Chefs nicht überrascht<br />
ist. In diesem Fall wür<strong>de</strong> man also nicht<br />
mit Unterstellungen arbeiten, son<strong>de</strong>rn<br />
die eigenen subjektiven Eindrücke<br />
vergleichbar zur Technik <strong>de</strong>s aktiven<br />
Zuhörens einsetzen, um <strong>de</strong>n Gesprächsverlauf<br />
positiv beeinflussen zu können.<br />
personalmagazin: Was sollten Personaler<br />
noch beachten, wenn sie „Micro Expressions“<br />
in <strong>de</strong>r Eignungsdiagnostik<br />
einsetzen wollen?<br />
Kanning: Sie sollten „Micro Expressions“<br />
nicht einsetzen, um die Kompetenzen<br />
<strong>de</strong>r Bewerber einzuschätzen. Ziel <strong>de</strong>r<br />
Eignungsdiagnostik ist es, zeitlich überdauern<strong>de</strong><br />
Kompetenzausprägungen<br />
Prof. Dr. Uwe P. Kanning<br />
ist Professor für Wirtschaftspsychologie<br />
an <strong>de</strong>r Hochschule Osnabrück. Die<br />
Personaldiagnostik gehört zu seinen<br />
Forschungsschwerpunkten.<br />
zu messen und nicht etwa flüchtige<br />
Emotionen, die nur Sekun<strong>de</strong>nbruchteile<br />
andauern. Hinzu kommt das Problem<br />
<strong>de</strong>r mangeln<strong>de</strong>n Objektivität: Die<br />
Diagnose läuft ausschließlich über die<br />
Wahrnehmung <strong>de</strong>s Diagnostikers, ohne<br />
dass man hier objektivieren<strong>de</strong> Messinstrumente<br />
zum Einsatz bringen könnte.<br />
Verschie<strong>de</strong>ne Diagnostiker können<br />
leicht zu unterschiedlichen Ergebnissen<br />
kommen. Zu<strong>de</strong>m kann ein und <strong>de</strong>rselbe<br />
Diagnostiker in Abhängigkeit von seiner<br />
situativen Aufmerksamkeitsspanne<br />
unterschiedliche Interpretationen vornehmen.<br />
Es ist ferner nicht belegt, dass<br />
die Interpretation von „Micro Expressions“<br />
die Validität eines Auswahlverfahrens<br />
im Sinne einer besseren Prognose<br />
beruflichen Erfolgs erhöht. Dies<br />
erscheint auch eher unwahrscheinlich.<br />
personalmagazin: Oft wer<strong>de</strong>n „Micro<br />
Expressions“ im Zusammenhang damit<br />
erwähnt, Lügen ablesen zu können. Ist<br />
das überhaupt möglich?<br />
Kanning: Da es sich beim Lügen nicht<br />
um eine grundlegen<strong>de</strong> Emotion <strong>de</strong>s<br />
Menschen han<strong>de</strong>lt, ist auch nicht zu<br />
erwarten, dass ein einheitliches Muster<br />
<strong>de</strong>r Muskelanspannungen existiert, in<br />
<strong>de</strong>m sich das Lügenverhalten spiegelt.<br />
Bestenfalls lässt sich eine minimale<br />
Verän<strong>de</strong>rung in <strong>de</strong>r Mimik erkennen,<br />
bei <strong>de</strong>r aber nicht zweifelsfrei zu interpretieren<br />
ist, worauf sie beruht. Die<br />
möglichen Alternativinterpretationen<br />
sind zahlreich. Hinzu kommt, dass<br />
Menschen sich sicherlich dahingehend<br />
unterschei<strong>de</strong>n, wie stark sie ihre Mimik<br />
kontrollieren können. Die Annahme,<br />
dass die Mimik immer die Wahrheit<br />
verraten wür<strong>de</strong>, ist ein Mythos.<br />
personalmagazin: Lassen „Micro Expressions“<br />
auf Charakterzüge schließen?<br />
Kanning: Das ist nicht möglich. Bei<br />
„Micro Expressions“ han<strong>de</strong>lt es sich um<br />
<strong>de</strong>n Ausdruck aktueller emotionaler Reaktionen.<br />
Charakterzüge sind hingegen<br />
abstraktere, zeitlich überdauern<strong>de</strong> und<br />
situationsübergreifen<strong>de</strong> Verhaltensorientierungen.<br />
Man wür<strong>de</strong> ja auch<br />
nicht annehmen, dass ein Mensch, <strong>de</strong>r<br />
gera<strong>de</strong> mit Genuss ein Stück Sahnetorte<br />
isst, generell ein Vielfraß sei.<br />
Das Interview führte Kristina En<strong>de</strong>rle da Silva.<br />
personalmagazin 06 / 12