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Klinoskop 3/2010 - Klinikum Chemnitz

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Generation zwischen<br />

den Kriegen<br />

Beschrieben wird die Generation zwischen<br />

zwei Kriegen im Inflationsjahr 1923. Den<br />

Menschen steckt das Elend der Kriegsfolgen<br />

noch in den Knochen, und die Gesellschaft<br />

befindet sich in einer moralischen<br />

Auflösung. Unter diesen äußeren Umständen<br />

versucht der 25jährige Ludwig Bodmer, sich<br />

als Kriegsheimkehrer und somit als Teil der<br />

„verlorenen Generation“ wieder in die Gesellschaft<br />

einzugliedern. Nachdem er seinen<br />

Beruf als Lehrer aufgegeben hat, weil er den<br />

Schülern Dinge beibringen musste, an die er<br />

selbst nicht mehr glaubte, arbeitet er in einer<br />

Grabsteinfirma, die seinem Kameraden Georg<br />

Kroll gehört. Gemeinsam mit seinen alten<br />

Kameraden versucht er, die im Ersten Weltkrieg<br />

verlorene Jugend nachzuholen, denn<br />

bürgerliche Begriffe haben sie schon längst<br />

verloren und frönen eher dem Alkohol und<br />

dem Vergnügen.<br />

Nebenbei jobbt er als Organist in einer Irrenanstalt.<br />

Dort lernt Bodmer auch die schöne<br />

Genevieve Terhoven kennen und lieben.<br />

Suche nach höherer Wahrheit<br />

Sie leidet an Schizophrenie und nennt sich<br />

deshalb selbst Isabelle. Ihr Leben in einer<br />

irrationalen Zweitwelt, gespalten durch ein<br />

traumatisches Erlebnis mit der Mutter, fasziniert<br />

Bodmer, und so verbringen die beiden<br />

viel Zeit bei Gesprächen über den Sinn des<br />

Lebens, ständig auf der Suche nach einer höheren<br />

Wahrheit.<br />

Das zentrale Symbol des Romans, der Grabstein<br />

in Form eines schwarzen Obelisken,<br />

zeigt also nicht nur in Bezug auf die erzählte<br />

Zeit als warnender Finger in den Himmel.<br />

Vielmehr ist er der Zeigefinger in Form einer<br />

Rakete und weist damit auf den Wahnsinn<br />

Mein Lieblingsbuch<br />

Erich Maria Remarque – Der schwarze Obelisk<br />

Roman einer verspäteten Jugend<br />

Ich hab’ es bestimmt dreimal gelesen. Oft auch wiederholt noch mal die mir besonders<br />

wichtigen Abschnitte. Gerade jetzt: Krise. Wirtschaftlich-finanziell – aber eben nicht nur. „Der<br />

schwarze Obelisik“ spielt in Zeiten der Krise und der Hyperinflation zwischen den beiden Weltkriegen<br />

des letzten Jahrhunderts und in der Sinnkrise im Leben des jungen Ludwig Bodmer<br />

– autobiografische Elemente aus dem Leben Remarques sind hier verstärkt eingeflossen.<br />

Das Phänomen der Heimkehrer<br />

Der schwarze Obelisk beschäftigt sich mit dem Phänomen der Heimkehrer aus dem Ersten<br />

Weltkrieg, aber da er erst 1956 erschien, ist es zugleich ein Roman über die Ursachen und<br />

das Erstarken des Nationalsozialismus. In der vor dem Hintergrund der Hyperinflation von<br />

1923 spielenden Handlung werden verschiedene Reaktionen auf den gerade erst vergangenen<br />

Krieg und damit auch verschiedene Perspektiven für die Zukunft aufgezeigt.<br />

der Aufrüstung in den fünfziger Jahren hin.<br />

Auch der Prolog des Romans beschreibt den<br />

aktuellen Zustand der Gesellschaft um 1955<br />

und beinhaltet eine Mitteilung für den Leser,<br />

so dass dieser schon von vornherein weiß, wie<br />

er das Folgende zu lesen und einzuordnen hat.<br />

Nicht nur die Warnung vor atomarer und militärischer<br />

Konfrontation während des kalten<br />

Krieges sondern auch, wie ich finde, ganz aktuelle<br />

Themen, wie der Zerfall humanistischer<br />

Werte und die Sinnlosigkeit des Profitstrebens,<br />

werden in diesem Roman an der Situation<br />

während dieser Krise und Hyperinflation vortrefflich<br />

beschrieben.<br />

Ironie und Sarkasmus<br />

Remarque spart sich dabei sprachliche, stilistische<br />

und formale Experimente und konzentriert<br />

sich auf das Wesentliche: Die Darstellung<br />

der Zeit und die Vermittlung von gesellschaftlichen<br />

politischen Inhalten. So werden in Remarques<br />

Roman die politische Aussage und<br />

das Philosophieren über das Leben verknüpft<br />

zu einem Appell an die Humanität des Einzelnen.<br />

Mit viel Ironie und Sarkasmus kritisiert<br />

Remarque die Unbelehrbarkeit der Deutschen,<br />

sowohl in den zwanziger, als auch in den fünfziger<br />

Jahren. Die plötzliche Umwertung aller<br />

Werte in den Zwanzigern ähnelte der Lebensgier<br />

der Menschen in den Fünfzigern und ist<br />

auch heute noch aktuell, so dass Remarque<br />

mit „Der schwarze Obelisk“ ein literarisches<br />

Denkmal gegen das Vergessen gesetzt hat.<br />

Aus Geschehenem soll seiner Meinung nach<br />

gelernt werden, damit die gleichen Fehler<br />

nicht wieder und wieder geschehen.<br />

Verneigung vor dem Autor<br />

Mit dieser kurzen Rezension möchte ich mich<br />

nicht nur vor einem meiner Lieblingsschriftsteller<br />

verneigen, sondern auch vor einem<br />

aufrechten Deutschen. Einem Weltbürger aber<br />

auch, der unmittelbar mit der Machtergreifung<br />

der Nazis aus seiner Heimat fliehen musste,<br />

dessen Bücher 1933 auf dem ideologischen<br />

Scheiterhaufen der Nazis brannten und der<br />

immer, auch aus dem Exil heraus, gleichgesinnte<br />

gefährdete Zeitgenossen – still und<br />

bescheiden im Hintergrund agierend – unterstützte.<br />

Er versuchte Deutschland bei der Aufarbeitung<br />

der Naziherrschaft zu unterstützen,<br />

wenngleich man in der alten Bundesrepublik<br />

sehr lange brauchte, um ihn aus der Ecke<br />

des „Nestbeschmutzers“ („Im Westen nichts<br />

Neues“, „Zeit zu leben, Zeit zu sterben“, „Der<br />

Funke Leben“) herauszuholen. Das Remarque-<br />

Archiv, die Stiftung und das Museum in seiner<br />

Geburtsstadt Osnabrück, leisten für die Aufarbeitung<br />

und Verbreitung des literarisch geistigen<br />

Nachlasses von Erich Maria Remarque<br />

heute einen hervorragenden Beitrag.<br />

Im Westen nichts Neues<br />

„Im Westen nichts Neues“ war lange Zeit das<br />

meistübersetzte deutsche Buch und wurde<br />

wie viele andere Remarque-Bücher mehrfach<br />

verfilmt. Remarque hat in all seinen Werken<br />

immer den Menschen in Grenzsituationen beschrieben<br />

und die Humanität des Einzelnen<br />

sowie die Freiheit des Individuums als höchstes<br />

Gut hervorgehoben. Trotz aller Konflikte in<br />

allen Zeiten der menschlichen Gesellschaft<br />

muss man diese Sichtweise immer wieder<br />

dick unterstreichen.<br />

Ludwig Heinze<br />

Verwaltungsleiter Geriatriezentrum<br />

Sie möchten Ihr Lieblingsbuch im <strong>Klinoskop</strong><br />

den Kollegen und Lesern vorstellen?<br />

Wir freuen uns auf Ihren Vorschlag, den Sie<br />

bitte unkompliziert an die Redaktionsadresse<br />

mailen.<br />

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